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Hundeland

Von Barbara Roelli – Die Restaurants bedie­nen ihre Gäste wie­der an den Tischen draus­sen. Ich sit­ze an einem sol­chen Tisch, in der Sonne, mein Wintermantel liegt wie eine abge­streif­te Schlangenhaut über der Stuhllehne. Mit win­ter­blas­sem Teint genies­se ich den Tag mit sei­nen 17 Grad. Ich leh­ne zurück und bestel­le mir zum Apéro ein Panaché. Ich atme tief ein und rie­che war­me Erde, den nahen See und Hundekot. Wenn man Hundekot wie­der rie­chen kann, wenn er näm­lich von der Sonne erwärmt ist – und nicht kalt wie im Winter – dann ist der Frühling da.

Aber eigent­lich soll­te die­ser Geruch ver­bannt sein – hat doch jeder Hundebesitzer die­se Hundesäckli dabei, mit dem er den Kot auf­he­ben und im näch­sten Abfalleimer ent­sor­gen kann. Ein dis­kre­ter Vorgang: Man schlüpft mit der Hand in ein Hundesäckli, als ob man einen Lederhandschuh anzie­hen wür­de, hebt den damp­fen­den Kotstrang auf – und zieht mit der ande­ren Hand das Säckli über den Kot. Jeder direk­te Kontakt von Kot und Hand wird somit ver­mie­den.

Trotzdem stinkt es. Warum? Weil es zu vie­le Hunde hat. Unter jedem zwei­ten Tisch in die­sem Restaurant liegt einer zwi­schen den Stuhlbeinen; gähnt, legt den Kopf auf die Pfoten oder hechelt mit Blick zu sei­nem Besitzer. «Fuss», «Platz», «Brav» höre ich beim Spazieren am See, vor der Metzgerei, im Bus, im Zug. Die Schweiz ist ein Hundeland. Aller Gattig Leute haben Hunde. Hunde sind Helfer, Kinderfreund und Kinderersatz, Ersatzpartner, Lebensbegleiter, Accessoire. Und Hunde sind vor allem eins: Haustiere; vom Menschen dome­sti­zier­te Tiere. Der Mensch nahm sich den Hund und sprach: «Du sollst mein Freund sein, ich wer­de dich füt­tern und pfle­gen, wenn du tust, was ich dir sage.» Und die­sen Teufelspakt ist der Hund ein­ge­gan­gen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein: Nie mehr in Freiheit leben zu kön­nen, Frauchen und Herrchen zu gehor­chen, olle Spielchen mit­zu­ma­chen wie «Pfötchen geben». Mir scheint, im Besitz eines Hundes kann der Mensch sei­ner Herrscherrasse gerecht wer­den: Er erzieht das Tier dazu, ihm zu gehor­chen. Er macht das Tier von sich abhän­gig, indem er bestimmt, wann das Tier zu essen bekommt. Wenn Hundi brav ist, gibts auch mal ein Hundeguetzli. Der Hund wie­der­um gibt dem Menschen das Gefühl, dass er ihn braucht; sei­ne Aufmerksamkeit, sein Wohlwollen, sei­ne Liebe. Und die Liebe des Hundes ist bedin­gungs­los – denn der Hund kann sich nicht aus­su­chen, in wes­sen Obhut er kommt. Irgendwann wird er an die Leine genom­men, wird in der Hundeschule wil­lig gemacht und wird Teil der Zivilisation. Der Hund passt sich dem Rhythmus des Menschen an: Aufstehen, früh­stücken, Spazieren gehen, vor der Post war­ten, vor dem Lebensmittelladen war­ten, vor der Bank war­ten, war­ten, wenn Mensch mit ande­ren redet, war­ten, bis es essen gibt, hin­le­gen, vom Menschen gestrei­chelt wer­den, war­ten aufs Spazieren gehen, Spazieren gehen, war­ten bis Mensch Stöckli auf die Wiese wirft, Stöckli für Menschen holen, Gassi gehen, Mensch war­tet.

Während ich am Tisch draus­sen den letz­ten Schluck mei­nes Panachés trin­ke, beob­ach­te ich einen sol­chen Menschen, der neben sei­nem Hund steht und war­tet. Dann zückt der Mensch das Hundesäckli und der Hund zieht ihn an der Leine zum näch­sten Baum. Auf ein­mal bin ich mir nicht mehr sicher, wer hier wen dome­sti­ziert.

Foto: Barbara Roelli
ensuite, April 2014