Heute wäre – Äähmm

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Von Peter J. Betts – Heute wäre – Äähmm – Innehalten beson­ders ange­sagt? Heute ist mit gewich­ti­gen Worten oder vie­len Wörtern das drei­und­vier­zig­ste World Economic Forum (WEF) in Davos eröff­net wor­den. Unter den rund zwei­ein­halb Tausend erwünsch­ten Teilnehmenden sind, neben sechs Mitgliedern des Bundesrates unter «fer­ner lie­fen», aus­ser­ge­wöhn­lich vie­le rus­si­sche Oligarchen und Regierungsmitglieder (hät­te bei­na­he «Potentaten» geschrie­ben) ver­tre­ten. Wie vie­le Unerwünschte – Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger mit Blick von aus­sen und dem Potential zu krea­ti­vem Handeln – es sein wer­den, ist noch nicht bekannt. Russland hat in die­sem Jahr den Vorsitz der G‑20. Es ent­zieht sich mei­ner Kenntnis, ein wie gros­ser Anteil der rus­si­schen Bevölkerung unter der hier oder jener in Zimbabwe übli­chen Armutsgrenze lebt. Ziel und Sinn der Veranstaltung, sagt Herr Klaus Schwab, Gründer des WEF, sei von allem Anfang an gewe­sen, eine «bes­se­re Welt» zu ermög­li­chen. Man tut dies in klei­nen Schritten. Kein Wunder. Auf der Erde ist bezüg­lich Gattung Mensch und ihrer Einwirkung auf den erstaun­li­cher­wei­se noch immer recht gros­sen Teil der ande­ren Lebewesen und den struk­tu­rel­len Gegebenheiten recht viel in durch­aus von die­ser Gattung ver­schul­de­te Schieflage gera­ten. Nicht nur die – viel­leicht auch – als posi­tiv bewert­ba­ren Entwicklungen in Industrialisierung, Technologie, Ressourcennutzung, Wirtschaft wach­sen expo­nen­ti­ell an. Auch die ein­deu­tig nega­ti­ven: Differenz zwi­schen Superreichen und Superarmen, Machthabenden und Machtlosen, nach­hal­ti­ger Bewirtschaftung und aus­beu­te­ri­scher, Verantwortungsvollen und Verantwortungslosen, Überfluss und Not. Gemäss Herrn Schwab ste­he für das dies­jäh­ri­ge Forum «wider­stands­fä­hi­ge Dynamik» im Zentrum. In der Aktivität: ja nicht inne­hal­ten! Kein Äähmmm! Offenbar sucht man ange­sichts der aktu­el­len glo­ba­len Wirtschaftskrise inten­siv nach höch­stens schein­bar neu­en Rezepten, trotz – oder gera­de wegen – der ver­zwick­ten Lage wei­ter­hin für die Wesentlichen des Systems glo­ba­les Leben in Saus und Braus zu ermög­li­chen. Ich erin­ne­re mich an den spöt­tisch-kri­ti­schen Kalauer der Wehrmachtsoldaten wäh­rend des abor­ti­ven Russlandfeldzuges: «Vorwärts Kameraden, wir müs­sen zurück!» Resilienz ist in Davos also das Schlagwort. Resilienz wird die «Toleranz» eines Systems einer Störung gegen­über genannt: das System muss gegen­über Störungen von innen oder aus­sen unemp­find­lich blei­ben. Ein System muss nach einer Störung immer zum Grundzustand fin­den. Für die WEF-Gang bedeu­tet das: unge­brem­stes Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste. Mir lie­be Bekannte haben in Bern ange­sichts des WEF 2004 eine wun­der­ba­re Performance rea­li­siert, von der Stadtregierung als unan­ge­bracht und des­halb zu unter­bin­den ein­ge­stuft: Eines Morgens stan­den etwa in der Länggasse eine ver­hält­nis­mäs­sig gros­se Anzahl Normplakate. Wie so oft. Normgrösse und ‑aus­füh­rung der Plakatständer in Weltformat, pro­fes­sio­nell mon­tiert. Die Plakate waren für Betrachtende und PassantInnen (schein­bar?) iden­tisch mit der offi­zi­el­len WEF-Plakatschwemme. Gleiche Farbe, Schriftart und ‑grös­se; unten links «WEF-Annual Meeting 21–25 January 2004 Davos Switzerland»; unten rechts ein tief­blau­es Rechteck mit dem Logo des Forums und fol­gen­dem Text: WORLD / ECONOMIC / FORUM und dar­un­ter, aber klei­ner: COMMITTED TO / IMOPROVING THE STATE / OF THE WORLD. Den Plakattext brauch­te man ja nicht zu lesen. Oder? Hätte man gele­sen, wäre man auf für das WEF aty­pisch offen­her­zi­ge Aussagen gestos­sen, etwa: «5% unse­rer Teilnehmer sind Frauen, Afrikaner oder NGOs.» Oder «Eigentum ver­pflich­tet zur Ausbeutung.» oder «Zuviel Demokratie ist schlecht fürs Geschäft.» oder «Menschenrechte sind Handelshemmnisse.» oder «Die Reichen müs­sen noch rei­cher wer­den.»… Die Aktion war rasch unter­bun­den wor­den. Glücklicherweise waren die PerformancekünstlerInnen Recht und Ordnung wie­der mal ein biss­chen zuvor­ge­kom­men: Es ent­stand eine herr­li­che Serie von Postkarten, ver­schick­bar: gezielt über Jahre hin­weg. Darunter ein paar Meisterwerke, zum Beispiel: vor dem rie­sig-lan­gen, dun­kel-stumpf-gel­ben Langlastwagen der Post-Finanz mit der Aufschrift «Pac Economy» das hell­gel­be Performance-Plakat mit der Aufschrift «Führend im Abbau von Arbeitsplätzen», dahin­ter ein ent­laub­ter Baum. Kein Innehalten. Resilienz ist in Davos also auch in die­sem Jahr das Schlagwort. Resilienz bedeu­tet die Fähigkeit zu ent­wickeln oder sie ein­fach zu haben, ange­sichts von Krisen gleich oder sogar noch bes­ser zu funk­tio­nie­ren: Ausstrahlen von Heiterkeit, auch wenn die Liebe sei­nes Lebens am Vortag ver­stor­ben ist; ein auf­ge­stell­tes Kundengespräch, auch mit dem eben erhal­te­nen Kündigungsschreiben in der Tasche; feu­ri­ge Erstaugustrede hal­ten, auch wenn man seit gestern sei­ne Diagnose von Pankreaskrebs kennt. Über zwan­zig Millionen Arbeitslose auf der Erde, ein gros­ser Teil davon Jugendarbeitslose? Morgen wer­de ich für schlan­ke­re Strukturen bei unse­rer Belegschaft plä­die­ren. Und so wei­ter. Ja kein Innehalten! Meine Individualziele: Selbstoptimierung, end­lich mei­ne Psyche effi­zi­ent öko­no­mi­sie­ren; mein Selbstmanagement begin­ne ich mit dem Erarbeiten eines idea­len Body-Mass-Indexes, mit geziel­tem Lauf- und aus­ge­wo­ge­nem Krafttraining, mit Intensivweiterbildungskursen an drei Abenden pro Woche und syste­ma­ti­schem Kommunikations- oder Austauschprogramm mit mei­ner Lebensabschnittspartnerin. Ja kein Innehalten! Es geht nichts über wider­stands­fä­hi­ge Dynamik, im Individual- und im Kollektivbereich. So wird man – viel­leicht – Davos-taug­lich. Hermann Gref, ein wohl recht pro­mi­nen­ter Teilnehmen des dies­jäh­ri­gen WEF, Leiter der gröss­ten rus­si­schen Bank, der staat­lich kon­trol­lier­ten «Sberbank», outet sich aus­gie­big gegen­über der NZZ. Sein Motto: «Was pri­va­ti­siert wer­den kann, muss pri­va­ti­siert wer­den.» Eine sei­ner hier zitier­ten Aussagen: «…Wir brau­chen in den näch­sten fünf Jahren vie­le Reformen, sehr schwie­ri­ge Reformen. Das rus­si­sche Investitionsklima in Russland muss eines der besten in Europa wer­den, sonst bekom­men wir kei­ne lang­fri­sti­gen und direk­ten Investitionen. Und ohne die errei­chen wir kein sta­bi­les Wachstum.…» und spä­ter: «… wir arbei­ten nicht 8 Stunden pro Tag, son­dern zwischen12 und 16, auch an Wochenenden. Ich habe hart gear­bei­tet, um die Philosophie der Sberbank zu ändern, von einer staat­li­chen Philosophie zu einer Marktphilosophie. Der Bestand die­ser Philosophie kann nur durch pri­va­te Investoren garan­tiert wer­den…» Der unbe­irr­ba­re Glaube an Wachstum ohne Verluste… Definitiv: Kein Innehalten! Übrigens: eine begab­te Künstlerin, die auch in Bern gear­bei­tet hat und jetzt in Leipzig an der Kunsthochschule stu­diert, dreht einen kur­zen Film zu «Äähmm!». (Den Titel habe ich ihr hier gestoh­len). Ihr ist bewusst, dass Innehalten als Voraussetzung ein zen­tra­les Element in jedem schöp­fe­ri­schen Prozess ist. Man beginnt in guter Absicht einen Satz, stockt, sagt «Äähmm!» und viel­leicht erschliesst sich – für sich und sein Gegenüber – eine Idee, die nicht unbe­dingt auf der Hand liegt. Ob wohl für das WEF (das mehr mit Erstarren als mit Erschaffen zu tun hat, also weni­ger mit Kreativität, dafür umso inten­si­ver mit dem Gegenteil) Äähmm als ein sinn­vol­ler Schritt denk­bar wäre? Ob man die Künstlerin dazu über­re­den könn­te, für das näch­ste WEF den Kurzfilm, beglei­tet mit ihrem Essay zum glei­chen Thema, anzu­bie­ten, wäre es auch nur für einen Unterhaltungsabend?

Foto: zVg.
ensuite, März 2013

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