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Herr der Metalle

Von Bettina Hersberger – Station Worb Dorf: Schon von Weitem ist sie zu erken­nen, die grün-gel­be Metallpalme aus einer aus­ge­dien­ten Strassenlaterne. Die Industriedächer über­ra­gend, glänzt sie in der gleis­sen­den Mai-Sonne als Wegweiserin zu einem Garten der beson­de­ren Art: Dem Metallgarten des Künstlers Roger Bertsch ali­as «Eisenbezogen».
Alles begann mit dem Schild «Schrott-Renovationen». Was bis 1992 noch die Produktionshalle der Verzinkerei Worb war, ist seit­her der Schaffensraum von Roger Bertsch. Metallkünstler oder Eisenplastiker wird er genannt, er selbst bezeich­net sich als «Eisenbezogen». Bertsch macht sich nicht viel aus dem Wort «Kunst» und sei­ner Definition. «Kunst ist für mich, wenn eine allein­er­zie­hen­de Mutter ihre Kinder so gross­zieht, dass die­se mit 18 in die Gesellschaft ent­las­sen wer­den kön­nen», sagt er. Auch sonst ist er weni­ger ein Mann der gros­sen

Worte, viel­mehr ein Mann der gros­sen Taten, ein Macher eben; boden­stän­dig, aus­ge­gli­chen, ein Naturbursche, der auch mal auf dem Traktor sitzt. Eigentlich woll­te er Bauer wer­den, damals, aber es ist anders gekom­men. Ein Musikstudium am Berner Konservatorium aus Leidenschaft und eine Schlosserlehre aus Vernunft haben ihm den Weg für sein zukünf­ti­ges Schaffen geeb­net. Bertsch weiss, was er will. Und er macht, was er will. Er packt sei­ne Vorhaben cou­ra­giert an, sucht – und fin­det – Wege, sei­ne Visionen umzu­set­zen. Das macht ihn aus.

Anfangs hat er nicht nur in der alten Verzinkerei gear­bei­tet, son­dern auch gewohnt. Die finan­zi­el­le Belastung einer zusätz­li­chen Wohnung hät­te sei­nen Rahmen gesprengt. Was wäre, wenn er noch­mals zurück, noch­mals von vor­ne begin­nen könn­te? «Wahrscheinlich wür­de ich es wie­der so machen, wie ich es gemacht habe. Vielleicht wür­de ich aber auch Antiquitätenhändler wer­den.» So viel­sei­tig wie der 47-jäh­ri­ge Künstler selbst ist auch sein Raum. Wenn Bertsch sich in die Rolle des Gastgebers begibt für geschlos­se­ne Gesellschaften, dann ver­wan­delt sich der Metallgarten in ein Kulinarium. Gläser und Besteck glän­zen auf weis­sen Tischtüchern, Kerzenflammen lodern, impo­san­te Blumenbouquets, ein bun­tes Buffet vol­ler Köstlichkeiten und der musi­ka­li­sche Beitrag sind ein Schmaus für alle Sinne. Am Tag danach zeu­gen nur noch ein Wäschezuber mit frisch gewa­sche­nen weis­sen Tischtüchern, ein blank geputz­ter Tresen und die Blumenbouquets vom fei­er­li­chen Anlass. Der Metallgarten ist wie­der ganz der alte.

Wüsste man nicht, dass in die­ser alten Fabrikhalle aus glü­hen­den Eisen neue Skulpturen geschmie­det und alte Skulpturen restau­riert wer­den, so wür­de man glatt den­ken, man befin­de sich in einem Antiquariat. Roger Bertsch liebt alte Kunstobjekte, Sammlerstücke, Überbleibsel aus einer ande­ren Zeit. Ein altes Jugendstil-Eisentor, reich ver­ziert mit Ranken und Rosetten – geret­tet aus einem Vorratskeller hin­ter aller­lei Eingemachtem – nennt er sei­nen «Spickzettel». Da steht auch ein Opel von vor­ge­stern, knall­oran­ge, auf Hochglanz poliert. Ein Fernseher, ein Motorrad aus der­sel­ben Ära. Regale, über­voll mit aller­lei Abgewracktem und Aufgemöbeltem. In einer Ecke die Esse, in der Bertsch die Eisen zum Glühen bringt. Er haut aber nicht nur gekonnt aufs Eisen, son­dern auch auf die Pauke. Auf einem Podest – der Bühne – steht sein Schlagzeug, flan­kiert von einer roten und einer sil­ber­nen Rakete. Kunstwerke aus des Künstlers Hand, um die sich Buck Rogers mit Flash Gordon strei­ten wür­de.

Ein Alchimist scheint er zu sein, Roger Bertsch ali­as Eisenbezogen, wie er alte, ver­ro­ste­te Mistgabeln in eine zier­li­che Libelle ver­wan­delt oder aus Schrott den Tantalos-Brunnen schmie­det: Ein spi­ral­för­mi­ges Eisenwerk, gekrönt von fünf Händen, jede von ihnen eine Schale hal­tend. Die Hände ste­hen als Symbole für die fünf Kontinente. Und alle dür­sten sie nach Wasser, kom­men aber nicht nahe genug her­an.

Tradition im Metallgarten sind die öffent­li­chen Silvester-Feten. Das alte Jahr wird musi­ka­lisch-kuli­na­risch ver­ab­schie­det und das neue klin­gend begrüsst. Legendär sind die Kerzennächte, in denen der Metallgarten zu einem Lichtergarten wird. Dann bren­nen 200 Kerzen auf kunst­voll geschmie­de­ten Eisenständern.

Ein letz­ter Blick hoch zur Palme mit ihren rost­far­be­nen Kokosnüssen, die Abendsonne blen­det noch. Ein war­mer Mai-Tag geht zu Ende, ein Vorbote des Sommers. Aber auch der näch­ste Sommer geht vor­über und ihm fol­gen wie­der düste­re, küh­le Herbsttage. Dann ist es höch­ste Zeit für die näch­ste Kerzennacht im Metallgarten von Roger Bertsch ali­as Eisenbezogen.

Info: www.eisenbezogen.ch

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2009