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Helle Augen, dunk­les Herz

Von Sarah Stähli - Bright Eyes schreibt seit Jahren unver­gleich­lich berüh­ren­de Songs, denen man innert kür­ze­ster Zeit wider­stands­los ver­fällt. Wer sei­ne Musik noch nicht kennt, kann sie jetzt nicht mehr igno­rie­ren: Bright Eyes erobert lang­sam aber sicher die Musikwelt und wird bald zu den ganz Grossen gehö­ren. Ein mass­lo­ses Loblied.

Er ist klein, schmal, bleich, gera­de ein­mal 24 Jahre alt und schreibt gros­se Musik, die ihres­glei­chen sucht. Conor Oberst ali­as Brigth Eyes aus Omaha, Nebraska darf als ehr­wür­di­ger Thronfolger des kürz­lich ver­stor­be­nen Singer/Songwriters Elliot Smith bezeich­net wer­den, eine Verwandtschaft mit dem wun­der­voll­sten Melancholiker Bonnie Prince Billie besteht eben­falls, das Attribut Wunderkind ist in Bright Eyes Rezensionen kein Fremdwort und sogar in die Fussstapfen des uner­reich­ba­ren Dylan sehen ihn eini­ge Euphoriker tre­ten.

Oberst scheint fast zu per­fekt in der Rolle des lei­den­den Romantikers auf­zu­ge­hen, mit sei­nem andro­gy­nen Äusseren fas­zi­niert er bei­de Geschlechter, legt sich auch sel­ber nicht fest und führt so eine Tradition wei­ter, die in Musikern wie Bowie und Michael Stipe ihre wür­di­gen Vertreter hat. Natürlich ist er auch poli­tisch auf der rich­ti­gen Seite, so trat er z.B. an der Kerry-Kampagne «Vote for Change» auf. Wem all dies jetzt zu abge­kar­tet erscheint, zu kon­stru­iert, dem wer­den beim Hören sei­ner Musik die Vorurteile schnell ein­mal ver­ge­hen. Denn was Bright Eyes aus­macht ist nicht sein Image und nicht die Gerüchte, die ihn wohl bald ein­mal umge­ben wer­den, son­dern sein Werk, sei­ne Musik. Die ist echt und ein­zig­ar­tig in ihrer Fähigkeit direkt ins Herz zu tref­fen. Und dann ist da noch die­se Stimme. Gebrochen ist sie, ein­dring­lich und irgend­wie ver­traut, wie die Stimme eines Fremden, den man glaubt schon ein­mal gekannt zu haben. Wenn er dann plötz­lich halt­los drauf­los schreit, mani­fe­stiert sich eine Verzweiflung in die­ser Stimme, die durch Mark und Bein geht. Es gibt weni­ge Sänger, die errei­chen, den Zuhörer zum Weinen zu brin­gen, Bright Eyes ist einer davon.

Jetzt hat er, auf dem eigens gegrün­de­ten Plattenlabel «Saddle Creek» gleich zwei neue Alben ver­öf­fent­licht: Das aku­sti­sche­re «I’m Wide Awake it’s Morning» und sein elek­tro­ni­scher Bruder «Digital Ash in a Digital Urn».

Bright Eyes liebt lan­ge, geheim­nis­vol­le Titel, sein letz­tes Album, ein ver­kann­tes Meisterwerk, hiess «Lifted, or the Story is in the Soil, Keep your Ears to the Ground». Diese Vorliebe für lang­at­mi­ges Schreiben drückt sich auch in sei­nen Songs aus, die eigent­lich viel­mehr ver­ton­te Alltagsgeschichten, Strassen-Gedichte sind. Bright Eyes ist eher ein inner­lich zer­ris­se­ner Poet als ein Rockstar. Seine Lieder han­deln von Existenzängsten, destruk­ti­ver Liebe, von ver­lo­re­nen Freunden, aber auch von poli­ti­scher Unzufriedenheit im heu­ti­gen Amerika. Einmal sind sie so real, wie ein Kater am Sonntagmorgen, dann wie­der schil­lernd sur­re­al. Immer sind sie getra­gen von einer inne­ren Sehnsucht, einer Suche, immer ist der Erzähler unter­wegs zu einem bes­se­ren Ort: «The world’s got me diz­zy again/You’d think after 22 years I’d be used to the spin/And it only gets worse if I stay in one place, so I’m always pacing around or wal­king away.»

Auf «Wide Awake» wird ein Mädchen, «Lua», besun­gen, die ein so schwe­res Herz hat, dass man dies spü­ren kann, wenn man sie küsst. Es sind sol­che Songzeilen, die einem das siche­re Gefühl geben, einem ganz eige­nen Erzähler zu zuhö­ren, ein Juwel einer Entdeckung gemacht zu haben. Eines der trau­rig-schön­sten Lieder der letz­ten Jahre, «Poison Oak», klingt wie ein Abschiedsbrief an einen guten Freund, der sein Leben zer­stört hat und den Erzähler mit sei­ner Einsamkeit zurück­ge­las­sen hat, einen Erzähler, der sich schon oft genug «com­ple­te­ly alo­ne at a table of fri­ends» fühlt. Eine abso­lut­e­re Liebeserklärung als in «First day of my life» kann es kaum geben: «Yours is the first face that I saw/ I think I was blind befo­re I met you/ This is the first day of my life/ I’m glad I didn’t die befo­re I met you».

Die Figuren in den Bright Eyes Songs sind Verlorene, Aussenseiter, die ihre Seelenverwandten fin­den, wenn sie Glück haben, oder aber allei­ne blei­ben und wei­ter­hin Konversationen mit ihrem Spiegelbild füh­ren.

«We are nowhe­re and it’s now» die­ser Satz umschreibt das Grundgefühl des Albums sehr schön, das Schwerelose, Unstete des Lebens und die kal­te Realität am näch­sten Morgen, sich nir­gend­wo zuge­hö­rig füh­len auch.

Während « Wide Awake» eher aku­stisch, fol­kig (EmmyLou Harris gastiert als Sängerin) daher kommt, schlägt «Digital Ash» elek­tro­ni­sche Töne an.

Die Stimmung auf dem zwei­ten Album scheint beim ersten Hinhören etwas leich­ter, bei­na­he opti­mi­stisch. Doch die typi­schen Bright Eyes Themen feh­len auch auf «Digital Ash» nicht: Da möch­te einer das Haus sein, in dem die Geliebte auf­wuchs und in dem sie sich sicher fühlt, oder das Wasser, das sie am Morgen weckt und wäscht, weiss aber, dass er nur das Wetter ist, das in der Nacht an ihrem Fenster rüt­telt. Es wer­den ernüch­tern­de Ratschläge erteilt: «Take it easy, love not­hing». Einer sucht nach Gesichtern in den Wolken und macht sich Sorgen, dass er den Faden ver­lo­ren hat. Im letz­ten Lied schwingt ein Schimmer Hoffnung mit: «Don’t you weep for us/ There is not­hing as lucky, as easy or free» und jemand der sol­che Musik, sol­che Texte schreibt, kann sich selbst wirk­lich glück­lich schät­zen.

Bright Eyes wirkt wie eine Droge, wenn die Musik einen ein­mal berührt hat, ein­mal eine Textzeile einen Nerv getrof­fen hat, kann man sich ihr nicht mehr ent­zie­hen und wünschst sich mehr und mehr davon.

Bald ist Bright Eyes’ Musik wohl kein Geheimtipp mehr, die Zeit, ihn jetzt in letz­ter Minute noch für sich zu ent­decken, ist reif. Einfach den Hype ver­ges­sen, Musik ab, Augen zu und weg.

Bild: zVg.
ensuite, März 2005