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Handel mit Diktaturen und Handel mit Fiktionen: Von Oriana Fallaci zu Frank Bösch

Von Dr. Regula Stämpfli - Kürzlich beim Abendessen: «Ajatollah Khomeini war kein Diktator, son­dern befrei­te Persien vom kolo­nia­len Erbe und mach­te den moder­nen Iran.» Daher weht der Wind, dach­te sich die ensuite-Essayistin. Hier ihre lite­ra­ri­sche Antwort.

Die Geschichte der Menschheit kennt eini­ge Konstanten. So auch die der Verführung der Jugend durch Massenmörder. Lenin, Stalin, Hitler, Franco, Salazar, Pol Pot, Mao, Idi Amin, Haile Selassie, Ajatollah Khomeini, Saddam Hussein, Kim Il-sung, Jassir Arafat – um nur um die bekann­te­sten zu nen­nen – begei­ster­ten zunächst die intel­lek­tu­el­le Elite, dann die Massen und füll­ten anschlies­send die Gefängnisse. Der Historiker Frank Bösch hat mit «Deals mit Diktaturen» ein neu­es Werk vor­ge­legt, in dem vie­le der Erwähnten im Zusammenhang mit dem Aussenhandel der BRD und der Berliner Republik zur Sprache kom­men. Böschs gewal­ti­ges Buch, das sich lei­der nicht so flüs­sig liest wie sein «1979», wel­ches ich hier noch­mals emp­feh­le, kommt auf Samtpfoten daher. «Der Umgang mit unde­mo­kra­ti­schen Staaten ist eine schwie­ri­ge Herausforderung.» «Herausforderung» ist als Begriff wie ein Hauch im krie­ge­ri­schen Sturm inter­na­tio­na­ler Finanz- und Wirtschaftspolitik. Meine eige­ne These in «Trumpism. Ein Phänomen ver­än­dert die Welt» sieht im Versagen Barack Obamas dar­in, den Finanzkapitalismus von Diktaturen und auto­ma­tisch repe­tier­ten Fiktionen zu lösen, den Startschuss für den drit­ten Weltkrieg, der mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine am 24. Februar 2022 begon­nen hat. So viel zum Begriff «Herausforderung» bei Bösch. Ich sehe den «Handel mit Diktaturen» nicht ein­fach als Challenge, son­dern als völ­lig ver­sem­mel­te Hausaufgaben von Demokratien, mit Diktaturen nur dann Handel zu trei­ben, wenn der Handel an Bedingungen geknüpft ist. Transaktionssteuer bspw. als Must, damit alle im inter­na­tio­na­len Finanzmarkt teil­neh­men dür­fen, oder etwa umge­kehr­te Beweislast bei Verletzungen von sozia­len und öko­lo­gi­schen Standards. Importverbot für Waren aus Ländern, die Kinderarbeit haben. In den 1990er-Jahren schon ver­fass­te die ILO – damals, als die Sozialdemokratie noch was Praktisches konn­te – gute Leitfäden für den «Wandel durch Handel», der im 21. Jahrhundert zum «Handel macht dik­ta­to­ri­schen Weltwandel» gewor­den ist.

Dennoch ist das Buch von Frank Bösch auf­schluss­reich. Es erzählt die erstaun­lich schlecht erforsch­te deut­sche Aussenhandelspolitik und bringt Entsetzliches ans Tageslicht. Bonn unter­hielt gute Beziehungen mit Francos Spanien, Salazars Portugal, hof­fier­te Griechenlands Diktatur, die Diktatur Südkoreas eben­so, unter­stütz­te Mobutu in Zaire (Kongo), Gaddafi in Libyen und war, wie wir wis­sen, bei der Vergabe der Fussball-WM 2022 nach Katar mass­ge­bend. So weit, so schlecht.

Doch auch Frankreich war im Diktatorenkuscheln weit vor­ne. Als der Geistliche Ajatollah Khomeini am 1. Februar 1979 mit einer Sondermaschine der Air France (Alkohol wur­de strik­te ver­bo­ten) in Teheran lan­de­te, klatsch­te tout Paris. Über 150 Journalisten rei­sten im Flugzeug mit. Dies war der Dank dafür, dass alle inter­na­tio­na­len Journis, gross gewor­den im schreck­li­chen Vietnamkrieg, seit­dem aus­ge­stat­tet mit einer gros­sen Amerikaenttäuschung bis zum Amerikahass, im schii­ti­schen Kleriker die «ori­gi­nä­re, per­si­sche Lösung» der Entkolonialisierung vom Westen sahen. Ajatollah Khomeini war für die Linken Europas und der USA DER Heilsbringer gegen den ver­hass­ten «impe­ria­li­sti­schen Kapitalismus». Der 76-jäh­ri­ge Mann ver­sprach ihnen 19 Grundsätze von Demokratie, Menschenrechten, Säkularismus, Volkssouveränität. In sei­nem «Mein Kampf», des­sen isla­mi­sche Version «Der isla­mi­sche Staat» heisst, stand aber schon 1970: «Das Gesetz ist nichts ande­res als der Befehl Gottes.» Khomeini dach­te kei­ne Sekunde dar­an, west­li­che demo­kra­ti­sche Menschenrechte in sei­nem Gottesstaat zuzu­las­sen. Die Geistlichen waren von Anfang Exekutoren. Zudem: Der uner­mess­li­che Reichtum Persiens mach­te die Geistlichen völ­lig unab­hän­gig vom Volk. Die Mullahs brau­chen kein Volk, das Erdöl und die damit ver­bun­de­ne Industrie, alle Finanzen, Land, Währung, ein­fach alles gehört ihnen. Selbst die Nationalsozialisten hat­ten weni­ger tota­li­tä­re Zugriffsmacht über alle Bereiche von Gesellschaft, Ökonomie, Staat, Kultur und Wissenschaft. Die Mullahs kön­nen so vie­le Menschen umbrin­gen wie damals die Adeligen im feu­da­len Europa, und sie tun es viel häu­fi­ger als die dama­li­gen Adeligen. «Zieht euch schwarz an. Denn ihr geht zu einer Beerdigung. Ihr trau­ert um eure letz­ten Grundrechte, eure letz­te Freiheit»: So beginnt Golineh Atais «Iran – die Freiheit ist weib­lich», ein Buch, das für den Grimme-Preis nomi­niert war. Das Schwert der isla­mi­schen Revolution trifft immer zuerst die Frauen – wohl des­halb schweigt die Linke vor­nehm. Denn Frauen gehö­ren zu den Problemen zwei­ter Klasse. «Wir haben kei­ne Revolution gemacht, nur um Rückschritte hin­neh­men zu müs­sen», skan­dier­ten die Frauen an der rie­si­gen Frauendemonstration im Juli 1980. «Millionen Frauen aller Schichten hat­ten sich im Namen der Befreiung an der Revolution betei­ligt, aber nie­mals hat­ten sie damit gerech­net, dass ihre Männer nun plötz­lich meh­re­re Frauen hei­ra­ten, sich bedin­gungs­los schei­den las­sen und sich der Ehefrau wie eines Möbelstückes ent­le­di­gen konn­ten. Niemals hat­ten sie geahnt, dass die Geschlechter in der Gesellschaft fort­an rigo­ros getrennt wür­den.»

Die Welt blieb stumm. So wie Frank Bösch auch nichts über die Proteste gegen die Geschlechter-Apartheid in den Diktaturen berich­tet – sie spielt in der Beurteilung von Menschenrechten kaum eine Rolle, wie wir auch aktu­ell am Umgang mit den Taliban in Afghanistan sehen, die von Genfer Lobbyisten aus gese­hen als ganz «nor­ma­le Staatsmänner» end­lich inter­na­tio­nal aner­kannt wer­den sol­len. Der alte Sozialist António Guterres, die­se Schande von Generalsekretär der UNO, mein­te erst kürz­lich, wie vie­le «Fortschritte Afghanistan» doch im «Wiederaufbau» des Landes gelei­stet habe. Ach ja: die Taliban. Unterstützt von Iran – wie alle isla­mi­sti­schen Weltrevolutionen. Nicht nur gehört den Mullahs ihr eige­nes Land, es blei­ben genü­gend Milliarden übrig, um den inter­na­tio­na­len Terrorismus mit Tonnen von Bomben zu ver­sor­gen. Auch dar­über liest und hört man bei uns wenig. Viel zu wenig.
Dabei wäre es so ein­fach. Die Mullahs, die gesam­te ira­ni­sche Führung, gehö­ren auf die Liste der inter­na­tio­nal gesuch­ten Verbrecher; Iran gehört mas­siv sank­tio­niert und iso­liert. Das Vermögen der Mullahs muss sofort ein­ge­fro­ren wer­den.

Wer ande­res behaup­tet, ist an Demokratie nicht inter­es­siert. Wie die sog. «femi­ni­sti­sche Aussenministerin» Baerbock. In der Iran-Frage reiht sie sich ein bei den ersten ex-natio­nal­so­zia­li­sti­schen Funktionären des dama­li­gen Auswärtigen Amtes: Demokratie spiel­te damals kei­ne Rolle, Hauptsache, das Land kam wirt­schaft­lich wie­der auf die Beine. Apropos nicht inter­es­siert. Die Soziologen ver­wei­gern übri­gens den Begriff «Diktatur» mit dem Hinweis, die­ser sei wer­tend. Hannah Arendt wür­de sich bei so viel drei­ster anti­de­mo­kra­ti­scher Dummheit im Grab umdre­hen.

Nach sei­ner Ankunft 1979 fuhr der Ajatollah zum Friedhof Behescht‑e Zahra. Symbolischer hät­te die Wahl des isla­mi­sti­schen Todesengels wohl nicht sein kön­nen. 1979 füll­ten noch vie­le Schah-Gegner die Gräber; dies soll­te sich durch die Tausenden von neu­en Leichen, ermor­det vom Khomeini-Gottesstaat, sehr bald ändern. Das Ziel der isla­mi­sti­schen Mullahs bleibt bis heu­te die Verwandlung der gan­zen Welt in einen Friedhof. Deshalb finan­zie­ren sie Hamas, Hisbollah, Huthis, Boko Haram und wie sie alle heis­sen. Fun Fact übri­gens: In der Schweiz gilt nach wie vor das ira­ni­sche Familienrecht, sprich die Scharia. Dies auf­grund eines Staatsvertrags zwi­schen der Schweiz und Persien aus dem Jahr 1934. Der Bundesrat spricht sich aktu­ell für eine Überprüfung aus, Ironie off.

Wir erfah­ren in Böschs «1979», dem Jahr als die Gegenwart begann, wie die Einrichtung des isla­mi­schen Gottesstaates in Persien als Blaupause für alle fol­gen­den isla­mi­schen Weltrevolutionen gel­ten kann. Insofern war al-Qaida eigent­lich nur ein fal­scher Fokus nach 9/11: In Wahrheit ging es damals und geht es heu­te um die Eroberung der Welt durch den «bewaff­ne­ten Widerstand» (Zitat Judith Butler) der isla­mi­schen Weltrevolution. Auch dar­über wird kaum gere­det und wenn, nur von durch­ge­knall­ten Rechtsextremen, die damit das Thema erst recht aus der öffent­li­chen Debatte drän­gen.

Das Mullah-Regime in Iran ver­bin­det nach über 40 Jahren Agitation mitt­ler­wei­le alle isla­mi­sti­schen Strömungen, von denen beim histo­risch viel gelob­ten «tra­di­tio­nel­len Islam» nichts mehr übrig bleibt: Al-Qaida, Taliban, Islamischer Staat, Hamas, Hisbollah, Boko Haram, Huthis, die ägyp­ti­sche Muslimbruderschaft u. a.  ver­bin­den die fun­da­men­ta­le Zurückweisung west­li­cher Werte mit krie­ge­ri­scher Weltpolitik, codier­ten Fiktionen und Alliierten in allen west­li­chen Kulturen, Medien und Universitäten inklu­si­ve. Es geht nicht um einen «Kampf der Kulturen», son­dern um die Verfügungsgewalt über Rohstoffe, Energie, inter­na­tio­na­le Finanzen und um geo­po­li­ti­sche Machtordnung. Die ira­ni­sche Revolution fand übri­gens, ohne Witz, nach eige­ner Zeitrechnung nicht im Jahr 1979 statt, son­dern im Jahr 1399/1400. Passt doch, nicht wahr?

Historisch wür­de ich die Revolution in Iran im Jahr 1979 des­halb mit der der Kommunisten 1917 gleich­set­zen, inklu­si­ve der glei­chen Herausforderungen für die demo­kra­ti­sche Welt. Deshalb wäre das Versagen Barack Obamas genau­er zu unter­su­chen, so wie ich es in «Trumpism. Ein Phänomen ver­än­dert die Welt» getan habe – für des­sen Fortsetzung ich schon längst einen Verlag suche.

1917 ging es um die inter­na­tio­na­le kom­mu­ni­sti­sche Welteroberung, die das gesam­te 20. Jahrhundert mit einer Blut- und Mordspur form­te. 1979 begann die Vergewaltigungs- und Mordorgie der Islamisten gegen alles, was uns Frauen und DemokratInnen hei­lig ist.

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«Dies ist viel­leicht die erste gros­se Erhebung gegen die welt­um­span­nen­den Systeme, die modern­ste und irr­sin­nig­ste Form der Revolte», mein­te Michel Foucault bewun­dernd im Hinblick auf Khomeini. Judith Butler fas­zi­nier­ten die «Schöpfungskraft poli­ti­scher Spiritualität» und, erst kürz­lich, der gigan­ti­sche und wich­ti­ge «bewaff­ne­te Widerstand» der Hamas, deren Strategie der Brandschatzung, Vergewaltigung und Folter für sie per­sön­lich zwar «quä­lend» sei, aber den­noch dis­ku­tiert wer­den müs­se. Really? Sie folgt dar­in Wladimir Iljitsch Lenin: «Der Charakter eines Krieges wird dadurch bestimmt, wel­che Politik der Krieg fort­setzt, wel­che Klasse den Krieg führt und wel­che Ziele sie dabei ver­folgt.» In der DDR gehör­te «Frieden» zum meist­ge­brauch­ten Begriff. Totalitärer Wirklichkeits- und Wahrheitsverlust waren schon immer das Kennzeichen lin­ker und rech­ter Revolutionen: Es geht um die Kreation von neu­en Menschen, neu­en sozia­len Beziehungen, neu­en Machtstrukturen: das Dogma über die Wirklichkeit. Judith Butler ist dabei beson­ders per­fi­de. Sie nutzt ein demo­kra­ti­sches Verletzungs-Vokabular, um Vergewaltigung, Folter und Mord stra­te­gisch sinn­voll zu machen. Dies ist auch die Strategie zwei­er lin­ker Frauen in der deut­schen Ampel-Regierung: Lisa Paus und Nancy Faeser. Mit dem Vokabular des sog. «Selbstbestimmungsgesetzes» und des «Demokratiefördergesetzes» sol­len Sprechakte demo­kra­ti­sche Grundrechte aus­ser Kraft set­zen. Auch davon hört man wenig und wenn, wie­der­um nur in ver­damm­ten rechts­extre­men Kreisen, die damit die wich­ti­ge Kritik an der Übernahme von Ideologie gegen die Demokratie unschäd­lich machen. Entsetzlich.

Dies ist die logi­sche Folge der «Deals mit Diktaturen» sowie der Übernahme von deren Fiktionen, Narrativen, Erzählungen. Wer Handel mit Diktaturen betreibt, deren Fiktionen mit der Freizügigkeit von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen auto­ma­tisch ver­bin­det, trägt die Demokratie letzt­lich zur Schlachtbank. Die im Netz mil­li­ar­den­fach repe­tier­ten Sprechakte, Ideologien, Narrative, Fiktionen haben unse­re west­li­chen Informationssysteme so zuge­müllt, dass Tumblr und 4Chan als links- und rechts­ra­di­ka­le Nischen-Hassmaschinen schon längst im Mainstream ange­kom­men sind. Auch dazu hat Angela Nagle in «Kill All Normies» viel Kluges erzählt. Deshalb haben sog. DemokratInnen bspw. den Banksprech «Equity» in die Grundrechte ein­ge­führt. «Equity» ist der angel­säch­si­sche Begriff für einen Eigenkapitalanteil an einer Gesellschaft, ins­be­son­de­re für Aktien. Nun wird «Equality» im neu­en woken (Opus) DEI (Diversity, Equity, Inclusion) mit «Equity» bezeich­net und behaup­tet Gleichstellung – völ­li­ger Bullshit. Merkt denn nie­mand, wie DEI die neue Götterreligion der codier­ten finanz­ka­pi­ta­li­sti­schen Antidemokratien ist? Deshalb spie­len Inhalte kei­ne Rolle mehr, nur noch Algorithmen und die ihnen zuge­hö­ri­gen Sprechakte. Deshalb gibt es bei der Linken kei­ne indi­vi­du­el­len Rechte, son­dern nur noch kate­go­ri­sche Rechte, Gruppensprech wie «Hautfarben», «Generation», «gele­se­nes Geschlecht». Es gibt auch kei­nen histo­ri­schen Fortschritt mehr – lesen Sie Yuval Noah Harari –, son­dern nur noch gleich­för­mi­ge, gleich­ge­stell­te Evolution, egal ob es Diktaturen oder Demokratien sind. Hier spricht die «Mindful-Bewegung», die sich sel­ber ein­re­det, alles sei gleich, es kom­me nur auf die Wahrnehmung drauf an. Die Dalit in Indien wür­den ihm wider­spre­chen, wäre ihnen denn der Schulbesuch erlaubt.

Der Ölmagnat Mukesh Ambani (66) bau­te sich in Mumbai ein Hochhaus von 173 Metern Höhe und mit 27 Stockwerken für sechs (!) Familienmitglieder, inklu­si­ve 600 (!) Angestellter. Laut «20 Minuten» beträgt der Wert des Hauses namens Antilia über 2 Milliarden Dollar. Die nicht weis­se Familie fei­ert nun die kom­men­de Hochzeit eines Sohnes mit einer drei Tage dau­ern­den Superparty: Boulevard und seriö­se Medien berich­te­ten. Ein Maharadscha war ein Dreck dage­gen. Die Details der Fête (in «Gala» nach­zu­le­sen) erin­ner­ten an die Prunksucht des Schahs von Persien im Jahr 1971. Der liess damals Millionen sprin­gen für die sog. 2500-Jahr-Feier «sei­ner» Monarchie. Die aus Europa ein­ge­flo­ge­nen 50 000 Singvögel ver­dur­ste­ten nach drei Tagen, die über 25 000 impor­tier­ten Flaschen Wein waren dafür kon­su­miert, eben­so die Tonne schwar­zen Kaviars. Der Unterschied zu damals indes­sen ist: Der Grössenwahn des Schahs trug zu des­sen Sturz bei. Im 21. Jahrhundert, dem neu­en Diktaturen-Zeitalter codier­ter Feudalismen, pas­siert das Gegenteil.

2024 fei­ern Medien welt­weit die gigan­ti­sche Pre-Wedding-Party. Sie ist sehr divers, übri­gens; Rihanna wird extra ein­ge­flo­gen: Die glo­ba­len Luxuseliten von Mark Zuckerberg über Royals, Milliardäre und Superstars, die ger­ne das Leid der armen Kinder in Gaza betrau­ern, sind alle anwe­send. Die «Wedding-Industry» in Indien ist der viert­gröss­te Wirtschaftszweig im Lande. In einem Staat, in dem die Unberührbaren über ein Viertel der Bevölkerung aus­ma­chen und in Umständen leben, die selbst im euro­päi­schen Mittelalter als unvor­stell­bar gegol­ten hät­ten. Davon erzäh­len übri­gens zwei Bücher, vom Feuilleton ver­schmäht, doch mil­lio­nen­fach von Frauen gekauft: «Der Zopf» und «Das Mädchen mit dem Drachen» von Laetitia Colombani. In der indi­schen Verfassung sind die Unberührbaren, die «Nicht-Kaste» im unmensch­lich archai­schen Kastensystem Indiens, theo­re­tisch gleich­ge­stellt. In Wirklichkeit bil­den sie den Boden, den die Superreichen aller Welt mit Helikoptern und Drohnen über­flie­gen. Schon von Manisha gehört? Selbst der Deutschlandfunk berich­te­te 2020 über die Unberührbare, deren Schicksal Hunderttausende tei­len, hier und jetzt, in Indien. Die 19-Jährige wur­de von einer Gruppe von Kasten-Männern gefol­tert, ver­ge­wal­tigt, regel­recht zum Spass und zwecks Pornografie, die welt­weit alle Frauen eh bild­lich zer­stört, hin­ge­rich­tet. Manishas Zunge war zer­schnit­ten, ihr Rückgrat war gebro­chen, der Nacken war ver­dreht, sie konn­te weder Hände noch Beine bewe­gen und kaum mehr atmen. Zwei Wochen kämpf­te sie um ihr Überleben, bis sie der erlit­te­nen Folter erlag. Sie flü­ster­te die Namen der Täter, die Polizei kam sofort nach ihrem Tod, ver­brann­te die Frau und schloss die Familie der Unberührbaren von der «Bestattung» aus und stell­te die Nachforschungen ein. Auf Wikipedia wird die gesam­te Geschichte bis heu­te ver­fälscht, es wird gelo­gen, betro­gen, ver­heim­licht: alles unter den Augen einer Weltöffentlichkeit, die sich um die­se 300 Millionen gefol­ter­ten Menschen küm­mern könn­te. Zu den Dalit gab es indes­sen noch kei­ne Verlautbarung des UNO-Generalsekretärs, der jeden zwei­ten Tag das Gift sei­nes Antisemitismus über die öffent­li­chen Kanäle der inter­na­tio­na­len Organisation ver­brei­tet. Für die urba­nen, diver­sen und glo­ba­len Eliten, die sich zum Superevent vor der rich­ti­gen Hochzeit zusam­men­fan­den, sind die Foltergeschichten der Tausenden von indi­schen Mädchen so weit weg wie die Hexenverbrennung im Mittelalter für uns. So viel zum codier­ten, sog. inklu­si­ven, inter­sek­tio­na­len Feminismus, der im bun­ten post­ko­lo­nia­len Gewand in Medien, Kultur und an den Universitäten nichts ande­res als Misogynie und sein Grauen ver­brei­tet.

Nochmals zum Iran: Im Rückblick gab es nur eine Intellektuelle, die den wah­ren Charakter der isla­mi­sti­schen Weltrevolution durch den Iran erkann­te: Oriana Fallaci. Die gros­se Journalistin und Autorin wur­de 1930 als Tochter eines Antifaschisten in Florenz gebo­ren und starb geäch­tet, gecan­celt, ver­einsamt 2006 eben­falls in Florenz. Sie führ­te ein kur­zes Jahrhundertleben, war schon als Kind im Widerstand gegen Mussolini enga­giert, gehör­te ihr Leben lang zu den frei­sten Personen, die es gibt. Ihre zwei Romane «Brief an nie gebo­re­nes Kind» (1977) und «Ein Mann» (1980) sind poe­ti­sche Zeugnisse ihres poli­ti­schen Schaffens und gehö­ren zur Weltliteratur. In «Ein Mann» erzählt Oriana Fallaci die wah­re Geschichte ihrer Liebe zum grie­chi­schen Widerstandskämpfer und Dichter Alekos Panagoulis. Panagoulis schei­ter­te 1968 mit dem Attentat auf den dama­li­gen Junta-Diktator, wur­de jah­re­lang in grie­chi­schen Gefängnissen gefol­tert, wur­de gegen sei­nen Willen frei­ge­las­sen, lern­te die Journalistin Fallaci ken­nen und lie­ben. Ausser «Belle du Seigneur» habe ich sel­ten eine der­art mein Leben umwäl­zen­de Liebesgeschichte gele­sen wie Fallacis. Die Mischung aus Politik, Grausamkeit, Psychologie, Erotik, Fanatismus gehört zu den inten­siv­sten Weltliteratur-Erlebnissen. Ihre Poesie ergänz­te die Journalistin mit knall­har­ten Interviews. Ihre Gespräche mit Jassir Arafat, Muammar al-Gaddafi, Deng Xiaoping, Willy Brandt, Henry Kissinger u. a. sind legen­där. Letzteren brach­te sie dazu, den Vietnamkrieg als «use­l­ess» und sich selbst als «Cowboy» zu bezeich­nen. Am 16. September 1979 inter­view­te sie im Tschador Ajatollah Khomeini. Das Gespräch fand ein Ende, als sie mit­ten­drin den Tschador abnahm, die­sen «blö­den Fetzen aus dem Mittelalter». Fallaci ent­larv­te den west­li­chen nihi­li­sti­schen Kapitalismus eben­so wie den isla­mi­sti­schen Todeskult. Ihre Streitschrift «Wut und Stolz» von 2001, in der sie mit dem Phlegma des Westens betref­fend die isla­mi­sche Weltrevolution abrech­net, wur­de von der Linken sexi­stisch als «Hasstirade» einer alten Frau und als rechts­extre­men Schrott dif­fa­miert. Die «Union der Muslime Italiens» rief nach die­sem Buch offi­zi­ell zur Gewalt gegen Fallaci auf. Sie starb, kurz bevor sie ver­ur­teilt wur­de – ihr Erbe liegt nun lei­der in den Händen der ita­lie­ni­schen Rechten und Rechtsextremen. Der Oriana-Fallaci-Preis ist der gros­sen Antifaschistin so unwür­dig, dass es schmerzt, ihn über­haupt zu erwäh­nen.

Es gäbe noch wei­te­re Geschichten der Welt in Büchern, doch ich bin erschöpft. Die codier­ten Banalitäten in den sozia­len Medien, die stän­dig den «bewaff­ne­ten Widerstand» wie­der­ho­len, selbst von Freundinnen wie Mithu Sanyal geteilt, haben die Kraft, die Schreibende zu zer­stö­ren. Eine Schreibende, die als Mädchen in der Unterschicht gebo­ren, sich wahr­haft ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Europa erar­bei­ten konn­te. Eine Freiheit, die sie allen Mädchen und Frauen welt­weit wünscht, dafür wei­ter­kämpft und nicht auf­hö­ren wird, die Verräterinnen demo­kra­ti­scher Grundrechte in ihrer Selbstzerstörung und ihrem fal­schen Krieg auf­zu­hal­ten. Wie habe ich an einer ande­ren Stelle mal geschrie­ben? Jede Demokratie misst sich am Zustand der Mädchen und der Frauen.

 

Bücher zum vor­lie­gen­den Essay:
· Frank Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heu­te begann. C.H.-Beck-Verlag.
· Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine ande­re Geschichte der Bundesrepublik. C.H.-Beck-Verlag.
· Eine Iran-Apologie ist vom Zentrum für poli­ti­sche Bildung bei «Aus Politik und Zeitgeschichte» 2020 erschie­nen (lei­der, das AuPZ ist anson­sten immer exzel­lent). Kostenlos über bpd.de run­ter­zu­la­den.
· Golineh Atai: Iran – Die Freiheit ist weib­lich. Rowohlt-Verlag.
· Angela Nagle: Kill All Normies. Online Culture Wars from 4Chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right.
· Yuval Noah Harari: Sapiens – Das Spiel der Welten. C.H.-Beck-Verlag.
· Laetitia Colombani: Der Zopf. S. Fischer Verlage.
· Laetitia Colombani: Das Mädchen mit dem Drachen. S. Fischer Verlage.
· Oriana Fallaci: Ein Mann. Kiwi-Verlag.
· Oriana Fallaci: Brief an nie gebo­re­nes Kind. Ebersbach und Simon. Das Interview Fallacis mit Khomeini 1979 ist im Netz in der «N.Y. Times» abge­druckt.

· Zum Versagen der Linken in Zeiten algo­rith­mi­scher Reproduktion sie­he Regula Stämpfli: Europa zwi­schen Banksprech und Sehnsuchtsort. Darf man als euro­päi­sche Intellektuelle Europa kri­ti­sie­ren? Gratis auf denknetz.ch