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Haare & Leiber spal­ten: Sofi Oksanen

Von Dr. Regula Stämpfli – Mein erstes phi­lo­so­phi­sches Werk trug den Titel: «Die Macht des rich­ti­gen Friseurs.» Darin nahm ich den Kopfputz von Bundeskanzlerin Merkel zum Anlass, um über den Medienwandel in der poli­ti­schen Berichterstattung nach­zu­den­ken. Seitdem erken­ne ich in den gän­gi­gen Moden immer wie­der, was poli­tisch Sache ist – dies nicht zuletzt am Beispiel der Haartracht.

Auch die fin­ni­sche Autorin Sofi Oksanen nimmt sich Cuticula, Cortex und Medulla, den lan­gen Hornfäden, gemein­hin «Haar» genannt, in ihrem neu­en Roman «Die Sache mit Norma» an. Vor eini­gen Jahren schlug die Feministin mit ihrem ersten Wurf «Fegefeuer» wie ein Blitz in die inter­na­tio­na­le Literaturwelt ein. «Puhdistas» – Säuberung ver­han­del­te Folter, Ausgrenzung, Bewachung, inne­re und äus­se­re Gewalt, also nicht gera­de das, was die Kritik übli­cher­wei­se despek­tier­lich unter «Frauenroman» zusam­men­fasst. Und den­noch war das gewal­ti­ge Werk von Oksanen ein ein­drück­li­cher Frauenroman – jener der Sorte, die schon längst meh­re­re Nobelpreise erhal­ten soll­te. Wer eine jun­ge Frau, vol­ler Schmutz und Sperma, mit ver­filz­tem Haar und blau geschla­ge­ner Haut Weltgeschichte erzäh­len lässt, ist hoch­be­gabt. Wer dar­über hin­aus den weib­li­chen Körper als Kriegsschauplatz ana­ly­siert, haut end­lich allen Jungs in die Fresse, deren lite­ra­risch öde Einsamkeitseskapaden nur noch lang­wei­len.

Kurz: Fegefeuer war ein Meisterwerk. Leider kann man dies von ihrem neu­en Buch nicht behaup­ten, obwohl sich auch hier die Feuilletonistinnen wie­der mal über­schla­gen. Brachte Oksanen in «Stalins Kühe» die Analogie zwi­schen Bulimie und Nationalismus noch geni­al auf den Punkt, bleibt der Vergleich von glo­ba­len Haar-Handel und Leihmutterschaft im neu­en Roman auf hal­ber Strecke ste­hen. Schade. Denn das Thema trä­fe den Diskurs der Zeit wie kein ande­res.

«Die Sache mit Norma» ist ein Thriller, im Milieu der orga­ni­sier­ten Kriminalität ange­sie­delt, in einer üblen Bande, die aber aus durch­aus net­ten Menschen besteht. Norma ist eine jun­ge Frau mit magi­schem Haar, das jeden Tag mehr als einen Meter wächst. Anders als sei­ne Trägerin ist das Haar robust, wider­stands­fä­hig und alle sind ver­rückt danach. An die­sem Haar erkennt Norma die Lebensgeschichten des Gegenübers. Sie weiss, wor­an die Menschen kran­ken, wen und ob sie lie­ben, Norma weiss sogar, wenn sie kurz vor dem Sterben lie­gen. Normas Haare müs­sen täg­lich geschnit­ten wer­den – was liegt da näher als aus so kost­ba­rem Echthaar ein Geschäft zu machen?

«In Zeiten, in denen die Arbeitsplätze knapp sind, schu­len vie­le Frauen auf die­se Branchen um. Haare, Nägel, Wimpern. Da ist die Marktlage gut, auch in der Wirtschaftskrise.»

Geschickt ver­bin­det Oksanen den kör­per­li­chen Rohstoff Haar mit dem wert­vol­len Handelsgut der Gebärmutter. Wer die Träume der Menschen beherrscht, beherrscht schliess­lich auch die gan­ze Welt. Schönheit und Fruchtbarkeit sind des­halb seit Jahrtausenden regel­recht ver­floch­ten. So wie alle ver­rückt nach ukrai­ni­schen Haaren sind, reis­sen sich die unfrucht­ba­ren Menschen der Gegenwart um ukrai­ni­sche, indi­sche, viet­na­me­si­sche Leihmütter.

«Der Geschäftsmann Shiguto will ein weis­ses Kind, gern auch meh­re­re.» «Was ist dann das Problem?» «Nichts, vor­läu­fig. Der Mann ist nur ziem­lich jung. Zweiundzwanzig. Wie vie­le Kunden in dem Alter hat­ten wir bis jetzt? Alvar fiel nur der ame­ri­ka­ni­sche Pädophile ein.»

Geht es um Schönheit oder Mutterschaft sind die Bedingungen von Handel und Transport völ­lig egal. Keine Frau küm­mert es, wie die Echthaarperücke oder die Echthaar-Extensions von Fabrikarbeiterinnen mit Schutzmaske in Chemie getaucht wer­den muss­ten, um insek­ten- und krank­heits­frei den Westen zu ver­locken. Keine Frau fragt sich, ob die Echthaarlocken, die einer Schwester irgend­wo am ande­ren Ende der Welt abge­schnit­ten wur­den, die­ser viel­leicht feh­len. So wie sich auch alle Leiheltern, die für 9 Monate eine Gebärmutter kau­fen, kei­nen Deut dar­um sche­ren, was es für einen Menschen bedeu­tet, im eige­nen Leib ein Kind her­an­wach­sen zu las­sen. Und was es in den spä­te­ren Jahren für das Kind bedeu­tet, sei­ne ersten neun Monate als Einheit mit einer Frau geteilt zu haben, die dafür bezahlt wur­de, den künf­ti­gen Menschen als mög­lichst gesun­des Produkt her­an­zu­züch­ten. Uteri und Haare sind Rohstoffe. Und als sol­che wer­den sie teu­er gehan­delt und von Menschen gekauft, die sich um die Hühner inklu­si­ve Bioeier mehr sor­gen als um die Trägerinnen der Haare, die sie mit Tape und Kleber ange­hef­tet haben oder um die Trägerinnen ihrer bestell­ten, leben­di­gen Ware. Über all die­sen Trends liegt näm­lich ein femi­ni­sti­sches Schweigen, das durch das Gendergelaber eines fik­ti­ven Rechts auf eige­ne Kinder, egal wel­cher bio­lo­gi­scher Ausstattung und «Herstellungsbedingungen», je län­ger je auto­ri­tä­rer ver­stärkt wird.

Leider ver­passt es Oksanen genau die­sen Diskurs und die Gewalt, die hin­ter der­ar­ti­gen Geschäften stecken, auch zu erzäh­len. Sie bleibt in: «Heute haben wir Frauen die glei­chen Rechte, die glei­chen Möglichkeiten wie die Männer und strei­chen trotz­dem kei­ne Gewinne ein. Wir lie­fern nur das Material für die ver­schie­de­nen Zweige des Schönheitsgewerbes, wir geben unse­re Arbeitskraft, unser Gesicht, unse­re Haare, unse­re Gebärmütter, unse­re Brüste, und nach wie vor stecken sich Männer die Scheine, die sie dafür bekom­men, in die eige­nen Taschen.» stecken. Im Ernst: Ist das wirk­lich alles, was sich eine der­art enga­gier­te Autorin über das kom­ple­xe Verhältnis von Körper und Handel an der Wende zum Anthorpozän rei­men kann?

Im Laufe des Romans beschlich mich ein übler Verdacht. Vielleicht bleibt Oksanen so ober­fläch­lich-magisch, weil sie mit dem Thema «Haar» und «Leihmutterschaft» ihre femi­ni­sti­schen, trans­se­xu­el­len und homo­se­xu­el­len Verehrenden nicht zu nahe­tre­ten will. Weil die sehr ein­fluss­rei­che, wohl­ha­ben­de femi­ni­sti­sche und homo­se­xu­el­le Kulturelite alles dar­an­setzt, die Ausschlachtung des weib­li­chen Körpers in sei­ne Einzelteile als «Befreiung» dar­zu­stel­len. Nur ein­mal deu­tet Oksanen die­sen Zusammenhang an – doch dies nur in einer eher flap­si­gen Nebenbemerkung: «Der Vergleich mit dem Stillen war rich­tig gut. Dem viet­na­me­si­schen Gesundheitsminister zufol­ge war Leihmutterschaft mit dem Stillen durch eine Amme ver­gleich­bar.»

So radi­kal die Themen im Roman sind, so wenig radi­kal ver­han­delt Sofi Oksanen sie. Damit wur­de lite­ra­risch die Chance ver­passt, das bri­san­te Thema der glo­ba­len Schlachthöfe für Frauen auf­zu­grei­fen. Oksanen redet in ihrer magi­schen Fantasy-Geschichte den «Hair-Trade» und die Leihmutterschaft regel­recht schön. Als Krimi ist indes­sen Oksanen nach wie vor über­durch­schnitt­lich und des­halb emp­feh­le ich «Die Sache mit Norma» den­noch. Wer aber wirk­lich wis­sen will, was es mit Haaren alles so auf sich haben, soll unbe­dingt zu Chimamanda Ngozi-Adichie und ihrem Roman «Americanah» von 2013 grei­fen. Ngozi-Adichie hat etwas von einem gut­ge­laun­ten Houellebecq und ver­steht es mei­ster­haft, die glat­ten schwar­zen Haare mit schwar­zer Haut zu ver­we­ben. Denn es zeigt sich nicht zuletzt an den Haaren, wes­halb es die­se selt­sa­me Affenart namens «Sapiens» in nur 70 000 Jahren geschafft hat, sich die Welt unter­tan zu machen.…

 

Die Sache mit Norma, Sofi Oksanen, Verlag Kiepenheuer&Witsch, Köln 2017