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Grosse Köpfe, lee­re Worte – wie schreibt man über Machthaber?

(Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline)

Es braucht lan­ge, um in die Teppichetagen vor­ge­las­sen zu wer­den. Und dann blüht einem oft das Schicksal eines Suchenden, der das Grab Jesu öff­net, die Kasba betritt oder die letz­ten Geheimnisse des Zen erfährt. Wenn man end­lich das Innere des Tempels erreicht, steht das Innere des Tempels fast immer leer.

Jedenfalls ist es ver­blüf­fend, wie nichts­sa­gend vie­le Interviews mit CEOs sind, so stolz sie auch auf einer Doppelseite prä­sen­tiert wer­den. Oft bestehen sie aus einer Wolke büro­kra­ti­scher Formeln, die klin­gen wie schlecht über­setz­tes Airport-Englisch.

Die Sprachlosigkeit vie­ler heu­ti­ger Machtträger hat gute Gründe. Die Wichtigsten:

Kein Wunder, sind die mei­sten CEO-Interviews tod­lang­wei­lig. (Genaueres über den Aufstieg der Manager-Kaste hier in einem sehr lan­gen Essay: «Die Weltrevolution der Manager» aus dem Ausstellungskatalog zur Ausstellung «Wir Manager».)

Die Relevanzformel

Folglich haben vie­le CEOs ein lang­fri­sti­ges Problem: wir­kungs­lo­se Kommunikation. Aber vor allem haben Sie als Interviewer das aku­te Problem: eine tod­lang­wei­li­ge Doppelseite.

Um die Qualität eines Interviews zu mes­sen, genügt eine ein­fa­che Faustregel. Wie viel hat jemand zu sagen? a) im Machtsinn; b) an Inhalt. Die Relevanz ist das Produkt von bei­dem. Also:

Relevanz = Macht × Inhalt

Die wich­tig­ste Folgerung dar­aus ist, dass die Relevanz exakt 0 ist, wenn der Inhalt 0 ist. Egal, mit wem sie spre­chen. Ein Paradebeispiel ist das World Economic Forum, bei wel­chem die mäch­tig­sten Leute der Welt ver­keh­ren, aber nichts sagen. Trotz einer Machtballung von meh­re­ren Tausend Milliarden Dollar Aktienkapital ist das Resultat der welt­wei­ten Berichterstattung annä­hernd 0.

Daraus ergibt sich eine hand­werk­li­che Frage: Was zum Teufel macht man mit wich­ti­gen Interviewpartnern, wenn sie lang­wei­len?

Ein Portrait? Eine Landschaft?

Den Weg aus der Klemme weist wie oft ein jüdi­scher Witz. In dem Fall sogar mein jüdi­scher Lieblingswitz:

Zwei Juden ste­hen in dem Metropolitain Museum of Art vor einem abstrak­ten Bild und strei­ten sich.

«Des ist ein­deu­tig a Portrait!»

«Nee, das is a Landschaft.»

«Nebbich! A Portrait.»

«A Landschaft!»

«Nu, wol­len wir mal sehen, was der Künstler sich dabei gedacht hat!», sagt der eine, geht vor und liest die Plakette neben dem Bild. Dann dreht er sich tri­um­phie­rend um und sagt: «Siehst du, ich hat­te Recht!  Es is ganz ein­deu­tig a Portrait. Da steht: Rosenfeld in der Toskana!»

Genau dies ist die Lösung. Jeder Mensch ist bei­des: Ein Individuum und eine Landschaft. Das gilt umso mehr für mäch­ti­ge Leute. Diese sind zwar Herrscher über ihre Firma, aber noch weit mehr Sklaven ihrer Umstände: Der Absatzkurven, der Konkurrenz, der Börse, der inter­nen Intrigen, der all­ge­mei­nen Konjunktur und nicht zuletzt der herr­schen­den Management-Mode. Ihre Agenda ist zu enor­men Teilen fremd­be­stimmt; und da sie es seit Jahren war, ist es ihr Charakter meist auch. (So wie Menschen in der Rush-Hour des Leben, zwi­schen 30 und 55, mit­ten in Karriere und Kindererziehung, die aktiv­sten, aber auch die uni­form­sten sind. Junge Leute und Greise sind eigen­wil­li­ger, sie sind aus sich her­aus inter­es­san­ter.)

Kurz, Sie kön­nen getrost die Annahme tref­fen: Grosse Teile eines Chefs (in Wirtschaft, Politik, Kulturszene) bestehen aus sei­ner Umgebung: Der Mensch ist dann vor allem eine Landschaft.

Okay. Aber was heisst das für die Praxis?

1. Regel: Aus schlech­ten Interviews mach ein Portrait!

Diese Regel ist der Königsweg für jedes ver­haue­ne Interview. (Egal, ob aus eige­ner Schuld oder weil der Interviewte ein trocke­nes Etwas war.) Ein mie­ses Interview ist als Interview mei­stens unrett­bar. Aber selbst der schlimm­ste Müll ist immer­hin als Rohmaterial brauch­bar: für ein Portrait. Denn zu die­sem kön­nen Sie mehr Material bei­zie­hen als nur die lang­wei­li­gen Worte Ihres Helden: Aussagen von Untergebenen und Konkurrenten, das Pressearchiv, die eige­nen Augen.

Diese Lösung braucht eini­ge Rücksichtslosigkeit gegen den Interviewten: Der sprach mit Ihnen und fin­det dann nur ein paar Quotes wie­der. Dafür neh­men Sie Rücksicht auf Ihren ech­ten Partner: das Publikum.  Ein gelang­weil­ter Text ist eine schlim­me Sünde – immer. Falls es einen Gott gibt, wer­den Sie dafür in der Hölle bren­nen. Das soll­ten Sie ver­mei­den. Also ändern Sie den Plan und schrei­ben Sie ein Portrait.

2. Regel: Als Portrait zeich­nen Sie die Landschaft!

Das zen­tra­le Problem bei Ihrem Portrait wird sein: Sie sind der mäch­ti­gen Figur nicht nah. Erstens ver­keh­ren Sie in den fal­schen Kreisen. Zweitens wer­den mäch­ti­ge Leute nur sel­ten einem Journalisten ihr Herz öff­nen. (Falls sie eins haben.)

Aber das tut nichts zur Sache. Denn ein Machthaber ist vor allem die Organisation, die ihn umgibt. Und das zeigt sich in den Dingen, die ihn beschäf­ti­gen: die Firma, die Branche und sei­ne Kaste. Und das zeigt sich auch in sei­ner Philosophie, sei­ner Karriere und nicht zuletzt in sei­nen Entscheidungen. Das her­aus­zu­fin­den ist eine Frage von Fleiss und Pressearchiv.

Da in Firmen-Hierarchien nur die Nummer 1 spre­chen darf, lei­den alle ande­ren. Diese dür­fen von ihren Abenteuern, Vorstellungen, Ärgernissen nichts erzäh­len. Deshalb reden in Organisationen die klei­ne­ren Nummern oft erstaun­lich offen. Meist unter zwei Bedingungen: Dass die Sache off the record ist, und dass Sie sich für ihre Arbeit inter­es­sie­ren. Denn nichts tun Menschen lie­ber, als über ihre Arbeit zu spre­chen. So erfah­ren Sie eini­ges über die tat­säch­li­chen Probleme, Tätigkeiten und Ziele der Firma.

Die Gefahr bei dem Portrait ist die (sie­he den vor­he­ri­gen Post «Shakespeares Rückkehr»), den Chef als Essenz sei­ner Firma zu beschrei­ben: als ein­zig Handelnden, ver­ant­wort­lich für alles, Gewinne wie Verluste. In Managementbüchern und ‑semi­na­ren wird zwar ein fast reli­giö­ser Geniekult ver­brei­tet: Legenden über Erfolgreiche und ihre magi­schen Rezepte, Bekenntnisse von bekehr­ten Bossen, Gezischel über geschei­ter­te Sünder, dazu viel Weihrauch über Leadership. Und in der Presse steht oft das­sel­be: der Manager des Monats oder der Versager des Jahres.

Halten Sie sich fern davon. Cleverer sind die Fragen: Unter was für Bedingungen, mit was für Möglichkeiten, hat die­ser Mann, was gesagt, was getan, was erreicht? Und wie weit pas­sier­te sei­ner Firma nur das, was der Markt tat? Inwiefern waren also die Entscheidungen des Bosses sei­ne eige­nen, wel­che traf er nur mit der Herde?  Das führt gleich­zei­tig zu einem respekt­vol­le­rem wie respekt­lo­se­rem Bild eines Chefs: Als Mann in einem Netz, nicht als Spinne dar­in.

Deshalb, wenn Sie jemand Mächtigen por­trai­tie­ren, fol­gen Sie die­sem Rat: Zeichnen Sie nie einen Menschen. Zeichnen Sie einen Menschen in einer Landschaft.

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