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Goethe und die Kunst des Lebens

Von Julia Richter – Goethe hat nicht nur lite­ra­risch ein gros­ses Werk hin­ter­las­sen, son­dern dient auch als Paradebeispiel eines gelun­ge­nen Lebens. Dies zeigt Rüdiger Safranski in einer neu­en Biografie.

Eine Krise braucht, wer Grosses schaf­fen will – die land­läu­fi­ge Überzeugung hält an der Vorstellung fest, dass vie­le gros­se Kunstwerke durch die Verarbeitung schwie­ri­ger Lebenssituationen ent­stan­den sind und als Ventilfunktion dien­ten. Nicht so beim 1749 in Frankfurt am Main gebo­re­nen Johann Wolfgang von Goethe: In einer neu­en, 750 Seiten umfas­sen­den Biografie hebt Rüdiger Safranski Goethes Leben als Prototyp einer gelun­ge­nen Vita her­vor.

Das Leben als Pyramide Goethe, so schreibt Safranski, ist sich selbst nie zum Problem gewor­den. Er ver­spür­te weder fun­da­men­ta­le Selbstzweifel, noch eine grund­sätz­li­che inne­re Zerrissenheit. Das ver­schaff­te ihm die Kraft, sich voll und ganz der Entdeckung der Gegenstände und Menschen um sich her­um zu wid­men – um sich selbst zu ver­ste­hen, brauch­te er, wie er selbst sag­te, die­sen «Umweg über die Welt». In einem Brief an Johann Caspar Lavater bezeich­ne­te Goethe sein Leben als «Pyramide», die es «so hoch als mög­lich in die Luft zu spit­zen» galt. Hier fin­det Ausdruck, was Goethe immer beglei­te­te: Die Lust, das eige­ne Leben durch uner­müd­li­che Tätigkeit selbst zu model­lie­ren, gekop­pelt mit einem gros­sen Vertrauen in sich selbst und dem Glauben an die eige­ne Schicksalsmacht.

«Kunstwerk des Lebens» ist denn auch der viel­ver­spre­chen­de Untertitel der Biografie, die Goethes Leben detail­liert und leicht bekömm­lich schil­dert. Der 1945 gebo­re­ne Rüdiger Safranski, der als einer der gros­sen Biografen der deut­schen Geistesgeschichte gilt, kennt sich in der Materie aus: Nachdem er eine Schillerbiografie und eine Monografie über die Freundschaft zwi­schen Schiller und Goethe geschrie­ben hat­te, war das Verfassen einer Biografie über Goethe nahe­lie­gend.

In sei­nem essay­isti­schen, aus­schliess­lich auf Primärquellen beru­hen­den Porträt ver­folgt der Philosoph und Germanist Safranski das Ziel zu zei­gen, dass es dem berühm­ten Deutschen Schriftsteller nicht nur um die Erschaffung lite­ra­ri­scher Werke, son­dern auch um den schöp­fe­ri­schen Umgang mit der sei­nem Leben inhä­ren­ten Freiheit ging.

Nachtwandlerisches Dichten Mit der finan­zi­el­len Absicherung durch sein ver­gleichs­wei­se wohl­ha­ben­des Elternhaus, sei­nem Witz und sei­nem Charme brach­te Goethe das nöti­ge Handgepäck zur Realisierung eines schöp­fe­ri­schen und selbst­be­stimm­ten Lebens mit. So war der jun­ge Mann auch erstaunt dar­über, dass ihm alles ohne Widerstand zu gelin­gen schien. Das Dichten kam für ihn «nacht­wand­le­risch», er woll­te es sich selbst nicht als einen Verdienst anrech­nen, da er es nie als Arbeit emp­fun­den hat­te.

Mit dem 1773 erschie­nen Schauspiel «Götz von Berlichingen» wur­de Goethe zu einer Art Shootingstar der deut­schen Literatur im 18. Jahrhundert. Und nach der Erscheinung sei­nes auto­bio­gra­fisch inspi­rier­ten Werther-Romans im Jahr 1774 spann sich um den 25 Jahre jun­gen Schriftsteller ein Geniekult, der ihn selbst bis­wei­len zu irri­tie­ren begann (dies, obwohl Bescheidenheit nie sei­ne Sache war). Man ver­glich ihn mit Jesus und ver­ehr­te den Autor mit reli­gi­ös anmu­ten­der Inbrunst. Sogar Napoleon behaup­te­te, Goethes «Werther» sie­ben Mal gele­sen zu haben.

Auch den «Weltgeschäften» zuge­wandt Gleichzeitig war die Teilnahme am welt­li­chen Leben für Goethe immer von gros­ser Bedeutung: «Willst du dich dei­nes Wertes freu­en, so musst der Welt du Wert ver­lei­hen», schrieb er und ver­such­te, sich danach zu rich­ten. Deshalb such­te er nach neu­en Herausforderungen, die nichts mit sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Tätigkeit zu tun hat­ten – er woll­te, wie er selbst schrieb, das an ihm selbst för­dern, was «Menschlich, Vernünftig und Verständig sei» und sich des­halb den «Weltgeschäften» zuwen­den. So rei­ste er 1775 auf Einladung des Herzogs Karl August nach Weimar, mit dem Ziel, im Ausüben eines poli­ti­schen Amtes eine neue Herausforderung zu fin­den. Dort war er unter ande­rem für die Finanzen des Herzogtums und für den Bergbau zustän­dig und erreich­te in rela­tiv kur­zer Zeit alles, was man in Weimar als bür­ger­li­cher Mensch erstre­ben konn­te. Er wur­de «Geheimer Rat» und geadelt, lei­te­te diver­se poli­ti­sche Ämter und bewohn­te ein stan­des­ge­mäs­ses Haus.

Amtsmensch oder Dichter? Doch sei­ne schöp­fe­ri­sche Unruhe trieb Goethe wei­ter – er begann, sich in sei­ner rei­nen Amtstätigkeit unwohl zu füh­len. Er woll­te nicht zu einem Amtmenschen ver­kom­men, woll­te dem lite­ra­ri­schen Publikum zei­gen, dass der Künstler in ihm noch nicht gestor­ben war. Seine Lebenswirklichkeit in Weimar liess kaum Platz für künst­le­ri­sches Schaffen – «mei­ne Schriftstellerei sub­or­di­niert sich dem Leben», befürch­te­te er.

Goethe wuss­te die­sem Dilemma, das ihn sein Leben lang beglei­ten soll­te, immer wie­der zu ent­flie­hen – so nahm er sich bei­spiels­wei­se 1786 eine Art bezahl­ten Urlaub und mach­te sich auf nach Italien – um dort unter der ita­lie­ni­schen Sonne an sei­nen Werken zu arbei­ten.

Das Bedürfnis, sich sei­ner Amtstätigkeit zu ent­zie­hen, über­kam Goethe auch nach sei­ner Rückkehr nach Weimar 1788 von Zeit zu Zeit. In einem Moment die­ser Zurückgezogenheit ent­stand denn auch eines sei­ner schön­sten Gedichte: «Über allen Gipfeln /Ist Ruh’,/in allen Wipfeln/Spürest du/Kaum einen Hauch;/Die Vögelein schwei­gen im Walde./Warte nur, balde/Ruhest du auch».

Goethe als Universalgenie Eine nicht enden­de Tätigkeit auf­recht zu erhal­ten war das Mantra des Schriftstellers , aus dem er sich bis ins hohe Alter eine gros­se Kreativität erhal­ten konn­te. Das Bedürfnis, das gan­ze Spektrum des mensch­li­chen Lebens zu erfah­ren, trie­ben Goethe sein Leben lang an. Der dar­aus ent­stan­de­nen beein­drucken­den Bandbreite sei­ner Interessen ist es auch geschul­det, dass Goethe von Zeit zu Zeit als ein «Universalgenie» bezeich­net wird. So inter­es­sier­te er sich neben Politik, Literatur und Philosophie bei­spiels­wei­se inten­siv für die Naturwissenschaften.

Als Goethe 1832 im Alter von 82 Jahren starb, hin­ter­liess er denn auch ein umfang­rei­ches Werk, das vie­le Generationen bis heu­te prä­gen soll­te.

Im ersten Satz der Biografie beruft sich Safranski auf Nietzsche, der kon­sta­tier­te, dass Goethe in der «Geschichte des deut­schen Geistes» ein fol­gen­lo­ses Ereignis gewe­sen sei. Dies, um im Verlauf der Biografie auf­zu­zei­gen, dass das Gegenteil der Fall ist. Und um dem Zeitgeist zu ent­spre­chen, zeigt Safranski auch, war­um: Die Kunst, das eige­ne Leben zu gestal­ten und ihm Bedeutung zu ver­lei­hen ent­spricht dem vor­herr­schen­den Selbstverwirklichungstrieb der heu­ti­gen Gesellschaft.

Rüdiger Safranski: «Goethe – Kunstwerk des Lebens», Hanser, 748 Seiten, ISBN 978–3‑446–23581‑6

Foto: zVg.
ensuite, November 2013