Gipfelstürmerinnen

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Von Anne-Sophie Scholl - 1918, die Gründung des SFAC, des Schweizer Frauen-Alpenclubs: Endlich ist die Frage der Damen-Mitgliedschaft im SAC gelöst, die Frauen haben ihren eige­nen Club. Taktisch sich als klei­ne Schwester dem gros­sen Bruder unter­ord­nend, zu die­sem bewun­dernd auf­blickend, ihn um Rat fra­gend und dabei auch sei­ne wohl­wol­len­de Beschützerrolle ein­for­dernd, wird der Frauenclub von den Männern gedul­det. Am lieb­sten aber wür­den die­se den Aktionsbereich des weib­li­chen Geschlechts in den Bergen bei 3000 Höhenmetern begren­zen. Denn das Hochgebirge ist Männerreich, exklu­si­ver Spielplatz, auf dem heroi­sche Männlichkeit sich selbst und ande­ren bewie­sen wer­den kann – so der männ­li­che Anspruch. Für man­che war es eine Beleidigung höch­sten Grades, wenn eine Frau sich in die­ses Männlichkeitsréduit vor­wag­te: «Der erschrecken­de Unnahbarkeitsausdruck und die hero­isch abwei­sen­de Gebärde» des Grosslitzners im Tirol, «dem männ­lich­sten aller Berge», haben «viel von ihrem Nimbus ver­lo­ren, seit auch sein Granitherz bei der… war­men Berührung der zar­ten Hand eines wei­chen Frauenkörpers ein Gefühl der Schwäche ergriff und er sich vom begehr­li­chen Blicke schö­ner Augen bestricken und bezwin­gen liess», war im Gründungsjahr des Frauenclubs im Jahrbuch des SAC zu lesen: Bergsteigen, Männlichkeit und Patriarchat gehör­ten zusam­men und beding­ten sich wech­sel­sei­tig.

Der Alpenraum als fik­ti­ves Konstrukt Beim Streit um den alpi­nen Raum ging es jedoch nicht um den Raum, den die alpi­ne Bevölkerung bewohn­te und bewirt­schaf­te­te. Vielmehr ging es um eine ima­gi­nä­re Landschaft, eine angeb­lich unbe­rühr­te Wildnis. Bewohner der städ­ti­schen Regionen besetz­ten die­sen lee­ren Imaginationsraum sym­bo­lisch auf unter­schied­lich­ste Weise, pro­ji­zier­ten eige­ne Ideen und Werte auf die Landschaft. War zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch die wis­sen­schaft­li­che Aneignung der Alpen im Vordergrund gestan­den, wur­den die Berge spä­ter als natio­na­les Erinnerungsmonument sym­bo­lisch auf­ge­la­den. In einer Art sport­li­chem Stellvertreterkrieg erober­ten Seilschaften unter­schied­li­cher Nationen mit ihren Erstbesteigungen die Alpengipfel. Die Gründung der natio­na­len Alpenclubs fällt in die Zeit der Nationalstaatenbildung, der Schweizer Alpen Club SAC war 1863 gegrün­det wor­den. Ob die Frauen in den Statuten mit­ein­be­zo­gen waren oder nicht, die­se Frage wur­de damals noch nicht gestellt.

Zu Beginn des 20. Jahrhundert änder­te sich dies. Mit der Industrialisierung und der anbre­chen­den Moderne hat­te eine grund­le­gen­de Veränderung der Gesellschaft ihren Anfang genom­men. Die sozia­le Struktur war durch­läs­si­ger gewor­den, die Arbeit im Bürostuhl barg die Gefahr der Verweichlichung, die Frauen began­nen das Recht auf Bildung und Mitbestimmung im öffent­li­chen Leben ein­zu­for­dern, Freizeit wur­de zu einem Allgemeingut. Der Fremdenverkehr begann den Alpenraum zu ent­decken und Touristen aus dem Unterland ström­ten zu Vergnügungsund Erholungszwecken in die Berge.

Von Talschleichen und Turmfalken Vor die­sem Hintergrund ent­wickel­te sich ein neu­es Bild des Alpenraums. Eine sym­bo­li­sche Topographie wur­de auf die Alpen pro­ji­ziert, bei der sich die wert­vol­le Elite oben, die wert­lo­se Masse unten ansie­del­te. Eine neu erfun­de­ne bio­lo­gi­sti­sche Nomenklatur der Alpentouristen spie­gelt die Gliederung des ima­gi­nä­ren Raumes: Im Tal hau­sten die soge­nann­ten «Talschleichen», «harm­lo­se, ungif­ti­ge Geschöpfe, die ledig­lich Wert legen auf gute Verpflegung und viel Schlaf und die Berge nur von unten anschau­en», in luf­ti­gen Höhen thron­ten die «Turmfalken»: Sie «leben nur im Felsengebirge… Die unzu­gäng­lich­sten Klüfte, die steil­sten Wände, die schroff­sten Türme und schnei­dig­sten Grate sind ihr Lieblingsaufenthalt, wo lei­der gar man­che von ihnen infol­ge ihrer all­zu gros­sen Kühnheit zu Tode stür­zen.» Bösartig ver­un­glimpft wur­den die «Hüttenwanzen», die mit Musik, Tanz und lau­tem Gerede bis spät in die Nacht hin­ein «das beschau­li­che Hüttenleben emp­find­lich stö­ren.» Diese Spezies der Bergtouristen hiel­ten sich nicht an dem ihrer Art gemäs­sen Platz auf, sie dran­gen unrecht­mäs­sig in das Reich der ech­ten Bergsteiger – so die Sicht derer, die sich zu der Elite zähl­ten.

Unabhängig davon, wie der Alpenraum wirk­lich war, wur­de die­ser vom Bürgertum als eine Art Spiellabor ima­gi­niert, in dem Leistungsrituale unter Idealvoraussetzungen prak­ti­ziert wer­den konn­ten. Willenskraft, Mut, Ausdauer, phy­si­sche Anstrengung und Selbstdisziplin führ­ten auf den Gipfel. Die in der rau­en Hochgebirgswelt voll­brach­ten Männlichkeitsbeweise wur­den zur kör­per­lich erleb­ten Bestätigung, zu der Elite der Gesellschaft zu gehö­ren. So waren die Alpen ein fik­ti­ves Konstrukt, in dem sozia­le Beziehungen und Strukturen der städ­ti­schen Gesellschaft ver­han­delt wur­den. Allerdings stell­ten nicht nur Frauen in die­ser sym­bo­li­schen Welt eine Bedrohung dar, auch Ausländer, Juden oder Leute aus der Unterschicht hat­ten kei­nen Platz in dem bür­ger­li­chen Männlichkeitsréduit. Die berg­stei­gen­den Frauen waren 1907 expli­zit aus­ge­schlos­sen wor­den und sind erst seit 1979 wie­der im SAC zuge­las­sen. Der Blick aus heu­ti­ger Sicht in die Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz ist amü­sant, auf­schluss­reich und span­nend – und weist weit über die Welt des Alpinismus hin­aus.

Das Buch: Tanja Wirz: Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840–1940. hier+jetzt, 2007.

der Artikel erschien ursprüng­lich unter dem Titel «Dünne Luft im Spiellabor für Männerhelden».

Bild: zVg.
ensuite, September 2007

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