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Gewissensbisse

Von Barbara Roelli - Vorsichtig packe ich ihn aus; schä­le ihn aus der schüt­zen­den Alufolie und grei­fe ihn an sei­ner sta­bil­sten Stelle – dem Boden aus knusp­ri­ger Waffel. Seine Form ist per­fekt. Ein Biss in die glän­zend dun­kel­brau­ne Wölbung, und ich wer­de sein Hirn auf mei­ner Zunge spü­ren: Die Konsistenz wird anfangs luf­tig-schau­mig sein, danach cre­mig-kleb­rig. Wenn sich dann die zart­bit­te­re Schokolade sei­ner Hülle mit der cre­mig-kleb­ri­gen Füllung in mei­nem Mund ver­eint, kommt sein typi­scher Geschmack erst rich­tig zum Tragen. Ich mag die­ses poli­tisch unkor­rekt benann­te Objekt. Sein Name: Mohrenkopf. Mohrenkopf oder Negerkuss. Schon wäh­rend ich die bei­den Wörter auf der Tastatur tip­pe, ist mir nicht wirk­lich wohl, als ob die vir­tu­el­le Sittenpolizei die bei­den aus­ge­schrie­be­nen Wörter bereits regi­striert hät­te. Genau so, wie man das Wort Zigeuner nicht mehr braucht, ist Mohr und Neger aus unse­rem Wortschatz ver­bannt. Oder wer sich so aus­drückt, rückt sich wort­wört­lich ins rech­te Licht.

Aber war­um der Name «Mohrenkopf»? Warum trägt das süs­se Ding, des­sen Genuss so unver­gleich­lich ist, die­sen ras­sen­dis­kri­mi­nie­ren­den Namen? Offensichtlich scheint die Verbindung zwi­schen der Farbe der Schokolade und der dunk­len Hautfarbe der Afrikaner. Und die schnee­weis­se Füllung? Steht ihre Farbe für die Zähne des Mohren? Ist es der farb­li­che Kontrast, auf den die Füllung anspielt?

Der Negerkuss soll im 19. Jahrhundert in Frankreich erfun­den wor­den sein. Der «Kuss» kommt vom fran­zö­si­schen Wort «le bai­ser», und «Baisers» heis­sen im Französischen auch die bei uns als Meringues bekann­ten, im Ofen getrock­ne­ten Gebilde aus gezucker­tem Eiweiss-Schnee. Also kann man dar­auf schlies­sen, dass die luf­ti­ge Füllung für den Kuss steht und die Schokolade da-rum her­um für den «Neger». Vielleicht soll­te der ursprüng­li­che Name mit dem schwar­zen Wilden, mit dem Unbekannten rei­zen und die Lust auf das Exotische wecken. Und womög­lich haben die Damen der Aristokratie ihren Mohrenkopf vom eige­nen schwar­zen Sklaven ser­viert bekom­men. Kombiniert man Schokolade – deren Genuss schon als ein sünd­haf­tes Laster gilt – mit der Exotik des Schwarzen, so hat man ein reiz­vol­les Produkt, das ver­schie­de­ne Begierden in sich ver­eint.

Ist es also nicht der Lauf der Zeit und damit die Political Correctness in der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre, die den Namen die­ser Süssigkeit nega­tiv zu bela­sten begann? So wur­den dann auch etli­che Kompromissbegriffe gefun­den: In Deutschland ist seit 1980 der «Schokokuss» gebräuch­lich. In der wel­schen Schweiz blieb der «Kopf» im Namen erhal­ten, jedoch wur­de aus dem Negerkopf – dem «Tête de nèg­re» – der «Tête de cho­co­lat». Übersetzt auf Deutschschweizerisch also «Choco-Köpfli». Das steht auch auf der Verpackung der Marke Perrier drauf, deren Mohrenköpfe bei Villars «Maitre Chocolatier» in Fribourg her­ge­stellt wer­den. Bei ande­ren Alternativnamen wird auf die geschla­ge­ne Eiweiss-Masse im Innern des Mohrenkopfs hin­ge­wie­sen; wie beim Schaumkuss, Schaumzapfen und Schaumbollen. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass die Füllung auch Othellomasse genannt wird. «Othello» wird im Fachbuch «Der Schweizer Bäcker-Konditor» aus dem Jahre 1944 als Synonym für den Mohrenkopf auf­ge­führt. Der Name sei offen­bar eine Anlehnung an Shakespeares’ Stück «Othello – der Mohr von Venedig» aus dem frü­hen 17. Jahrhundert.

Weitere Ersatznamen für den Negerkuss sind: Süsspropfen, Elefantenkuss, Beckenschmutz, Naschkuss, Schoggibolle und Braunes Ding. Man kann die Mohrenköpfe auch bei ihrem Markennamen nen­nen; wie Dudler oder Dickmann. So fängt man sicher kei­ne bösen Blicke ein, aber Dudler könn­te genau so gut ein Softdrink und Dickmann eine Bockwurst sein. Etwas zwei­deu­tig tönt «Bumskopf», wie der Negerkuss im baye­ri­schen Wald genannt wer­den soll. In Wien hat man in den 1930er-Jahren die «Schwedenbombe» erfun­den. Obwohl das glei­che Produkt, wur­de hier der hell­häu­ti­ge Nord-Europäer im Namen ver­ewigt.

Anders so die Schweizer Firma Chocolat Ammann: Sie wirbt auf ihrer Homepage mit dem «Mohrenkönig». Und die 240 Gramm schwe­re Mohrenkopf-Variante nen­nen sie Big King. Das tönt nicht wirk­lich nega­tiv. Wie kann sie auch? Die von aus­sen maje­stä­tisch anmu­ten­de Schokoladen-Überraschung, die sich in dem Moment, da man die schüt­zen­de Hülle durch­bricht, als schau­mi­ges Gebilde ent­puppt…
Wie dem auch sei – es gibt sie, die durch­aus funk­tio­nie­ren­den Namen ohne dis­kri­mi­nie­ren­den Nachgeschmack. Und trotz­dem scheint der Mohr im kuli­na­ri­schen Zusammenhang nach wie vor in aller Munde. Solange es auch Schokoladenkuchen namens «Le nèg­re» oder Dessert-Rezepte wie «Neger im Hemd» gibt, wer­den wir wohl auch zukünf­tig in einen Mohrenkopf beis­sen. Die schnee­weiss bis blass­gel­be Füllung dar­in kann übri­gens auch mit dem Hautteint des win­ter­fe­sten Schweizers ver­gli­chen wer­den.

Foto: Barbara Roelli
ensuite, März 2009