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Geschüttelt und gefil­tert

Von Patrik Etschmayer - Google ‹Allo› und sei­ne hei­mi­sche Verkörperung ‹Google Home› wer­den womög­lich zu all­täg­li­chen Begleitern wer­den, die man alles Mögliche fra­gen wird. Wenn es um bana­le Dinge geht – zum Beispiel das Rezept für den besten Erdbeer-Milkshake, oder die Abfahrtszeit des näch­sten Busses zur Arbeit – wird die­ser Assistent sehr befrie­di­gen­de, ja gute Antworten geben. Doch er wird auch wie ein Freund mit einem plau­dern und so ver­su­chen, sich in jede Nische des Lebens ein­zu­ni­sten. Dabei wer­den Algorithmen pro­bie­ren, immer die besten Antworten zu geben, jene die wir uns am mei­sten gewünscht haben. Aber ist das auch gut so?

Ich beschrei­be nun eine Szene, die man­chen Menschen so fremd vor­kom­men wird, wie das Ausnehmen eines Mammuts oder die Geheimnisse des Pyramidenbaus. Den Besuch in einem Plattenladen. Und nein, es han­delt sich nicht um Bodenplatten. Schallplatten. Das, was Hippster momen­tan kau­fen, um ihre Wohnungen zu deko­rie­ren und was sie auf Billigstplattenspieler drauf legen, deren Klangqualität dank des USB-Ausgangs auf dem Niveau eines MP3-Players liegt.

Damals kauf­te man Platten nicht aus Kisten, die neben den USB-Plattenspielern in In-Shops stan­den, son­dern in eigens dafür gedach­ten Geschäften. Dutzende Regalmeter an Vinyl hat­ten selbst klei­ne Geschäfte, grös­se­re glänz­ten mit über 100 Metern dicht­ge­pack­ten Gestellen mit tau­sen­den ver­schie­de­ner Platten.

Nun gab es eini­ge Möglichkeiten, neue Musik zu fin­den. Man such­te ein­fach das, was am Radio gelau­fen war und hol­te sich die Single oder die LP zu dem Titel, der gera­de so toll ein­fuhr. Oder man stö­ber­te sich durch die Boxen mit den Platten durch, liess sich durch die präch­ti­gen Covers ver­füh­ren oder dadurch, dass die erst nach Stil und erst danach alpha­be­tisch sor­tier­ten Platten offen­bar eine musi­ka­li­sche Verwandtschaft mit jenen hat­ten, die man schon lieb­te. Dann schlepp­te man sei­ne Beute zur Theke, wo man den Stapel der sich hof­fent­lich als Schätze ent­pup­pen­den LP’s zur Probe hör­te und schon Glück hat­te, wenn einem von zehn Platten eine gefiel.

Oder man benutz­te die Geheimwaffe. Den Plattenverkäufer. Denn irgend­wann hat­te man unwei­ger­lich ein Stammgeschäft. Und den Typen, der einen immer bedien­te und das unwei­ger­li­che Gefühl dafür hat­te, was einem zusa­gen könn­te. Dies hat­te zwei­er­lei Vorteile: Hatte man eine feste Zeit, zu der man vor­bei ging (Dienstagabend oder so), stand meist schon ein Stapel Platten bereit, der nur dar­auf war­te­te, durch gehört zu wer­den. Und der DS (Disk-Salesman oder ‑woman) sei­nes Vertrauens war­te­te auch immer wie­der mal mit Überraschungen auf.

«Das ist zwar gar nicht Dein Stil», pfleg­te er zu sagen, «aber hör doch mal rein. Ich glau­be, es könn­te Dir gefal­len!» Und so spiel­te man eine Platte ab, die man nie genom­men hät­te, weil man gar nicht erst in die Nähe des ent­spre­chen­den Gestells gegan­gen wäre. Und war über­rascht. Denn mit­un­ter sagt der bevor­zug­te Stil mehr über die eige­nen Limitationen als dar­über aus, was einem gefällt.

So erschlos­sen sich dem damals jun­gen Musikhörer gan­ze Genres, die ihn zuvor nicht inter­es­siert hat­ten. Und weil man ver­trau­en hat­te, in den DS, liess man sich auf die Musik auch dann ein, wenn man in den ersten Minuten nicht wuss­te, was einem dar­an gefal­len soll­te. Doch dann hör­te man sich rein, durch­schau­te all­mäh­lich die fremd­ar­ti­gen Klangschichten und stell­te immer mehr fest, dass irgend­ei­ne Dimension des soni­schen Geschehens dem ent­sprach, was man an Musik moch­te und lieb­te, aber ein­fach noch nicht gewusst hat­te.

So bewahr­te einen der DS damals davor, in einer selbst erzeug­ten musi­ka­li­schen Blase zu ver­küm­mern und viel wun­der­ba­re Musik nicht ent­deckt zu haben. Nun mag das Beispiel für Menschen, denen Musik nicht wich­tig ist, banal schei­nen, doch sol­che Bubble-Breakers gab und gibt es auch in ande­ren Bereichen immer wie­der. Buchhändler, Weinliebhaber, Freunde mit klu­gen Ratschlägen für alle Lebenslagen… kurz Menschen, die es schaff­ten, einen von den gewohn­ten Bahnen weg zu brin­gen und neue Horizonte zu erschlies­sen.

Heute wer­den Menschen nicht nur durch selbst erzeug­te Blasen ein­ge­schränkt, son­dern auch durch Filter-Bubbles – jene durch sozia­le Netzwerke erzeug­ten Echokammern der selbst­zu­frie­de­nen digi­ta­len Beschränktheit – wel­che den Konsumenten eine Welt vor­gau­keln, die es nicht gibt und ihnen vor allem sug­ge­rie­ren, dass der eige­ne Standpunkt der prä­zis rich­ti­ge sei und jener von allen, die eine ande­re Meinung haben, grund­falsch, ver­rä­te­risch, unmo­ra­lisch und der Anfang vom Ende der Zivilisation.

Netzwerke wie Facebook gehen davon aus, dass auf ihnen die maxi­ma­le Zeit ver­bracht wird (und die Erträge durch Anzeigeneinnahmen für sie dadurch stei­gen), wenn Konsumenten genau das gezeigt wird, was sie mögen (im Fall FB ‹gelik­ed› haben). Es han­delt sich dabei um eine Rückkopplungsschleife: Es wird was gelik­ed, dann wird einem noch mehr vom glei­chen Material gezeigt, so dass noch mehr gelik­ed wird. Und so wei­ter.

Nun ist Facebook (noch) kein Digitaler Assistent. Google hin­ge­gen will mit dem ‹Home› ein Gerät im Stil von Amazons Echo in die Haushalte und ins Leben der Konsumenten brin­gen, mit dem man sich auch unter­hal­ten kann, das einem Vorschläge macht, was Musik, Filme und Bücher angeht, die man dann natür­lich auch über Google erwer­ben soll. Doch es sei­en auch ein­fa­che Unterhaltungen mit ‹Home› mög­lich. Oder wie es Gummi Hafsteinsson, der Produkt Management Direktor des Entwicklungsteams mein­te: «Unterhaltungen sind eine natür­li­che und schnel­le Möglichkeit, Dinge zu erle­di­gen, um mög­lichst schnell zu dem zu gelan­gen, was man errei­chen will…»

Die Gefahren, einen Assistenten einer Firma mit spe­zi­fi­schen Eigeninteressen im Haus zu haben, der für einen wie ein Butler alle mög­li­chen Dinge erle­digt, sind viel­fäl­tig: Datenschutzfragen en mas­se sind schon mal garan­tiert. Ein always-on Spion im Wohnzimmer ist ja an sich schon eine Art Albtraum. Aber die Frage, die fast nie­mand zu stel­len scheint, ist die­se: was macht die­ser Assistent aus dem Konsumenten, der ihn benutzt?

Werden die digi­ta­len Butler der­einst auch zu Widerspruch, zum Querdenken in der Lage sein? Werden die­se Assistenten genug mutig pro­gram­miert sein, auch Dinge vor­zu­schla­gen, die viel­leicht nicht den Erwartungen der Besitzer ent­spre­chen? Wer anschaut, wie sich der­zeit die Gesellschaft nicht zuletzt dank Facebook ent­wickelt, darf dar­an ernst­haf­te Zweifel haben. Denn im Interesse der Informatik-Giganten steht nicht, die Konsumenten klü­ger und auf­ge­klär­ter zu machen, son­dern die­se bei der Stange zu hal­ten und dies pas­siert am besten durch Anpassung an die­se.

Da spielt es kei­ne Rolle, ob ras­si­sti­sche Exkrementen-Kultur, irre Verschwörungstheorien, lebens­ge­fähr­li­che Anti-Impfpropaganda oder Islamistische Propaganda gefor­dert wer­den: Den Konsumenten bei der Stange zu hal­ten und die­sen opti­mal mit dem, was er lesen und hören will, zu ver­sor­gen, steht im – kom­mer­zi­ell nach­voll­zieh­ba­ren – Zentrum des Interesses der Dienstanbieter.

Es ist zu ver­mu­ten und zu befürch­ten, dass digi­ta­le Assistenten wie Google Home und Amazon Alexa (die auf dem Amazon Echo Speaker läuft) durch ihre Konzilianz und der stän­di­gen Bestätigung der Konsumenten in ihrem selbst gewähl­ten Ansichtsgefängnis wei­ter zu einer Verblasung der Gesellschaft bei­tra­gen dürf­ten. Sie wer­den jene Polarisierungstendenzen noch ver­stär­ken, die schon jetzt den demo­kra­ti­schen Diskurs gefähr­den, soll­ten sie denn den Erfolg haben und die Verbreitung fin­den, wel­che Ihre Erfinder erhof­fen. Und dar­an dürf­te es der­zeit nur weni­ge Zweifel geben…