Freiraum seit dreis­sig Jahren

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Interview von Anna-Daria Kräuchi mit Santino Carvelli – Vor zehn Jahren grün­de­te Santino Carvelli zusam­men mit Anna Blöchlinger die Salsa-Tanzschule Salsadancers im Brückenpfeiler der Monbijoubrücke in Bern. Inzwischen ist ihre Tanzschule eine der füh­ren­den der Schweiz und eine Plattform für bis zu 500 Schüler jeg­li­chen Alters. Ein Gespräch über die Faszination des Salsa, das Leben als Tänzer und den ewi­gen Kampf um Freiraum.

Du beschäf­tigst dich nun seit rund 25 Jahren mit Salsa, bist lei­den­schaft­li­cher Salsero. Was fas­zi­niert dich so an die­sem Tanz?

Zum Einen ist das sicher die Improvisation. Der Salsa ist eine Tanzkultur, bei der es kei­ne kla­re Trennung zwi­schen Zuschauern und Künstlern gibt. Alle sind in die­sem Sinne Künstler und kre­ieren wäh­rend dem Tanzen etwas Eigenes, Persönliches, das in die­sem Moment aus der Musik her­aus ent­steht. Das ist eine Besonderheit des Salsa. Zum Andern ist aber auch die Geschichte die­ses Tanzes eine Faszination für mich. Tanz wur­de in Südamerika über Jahrhunderte unter­drückt. In Cuba zum Beispiel durf­ten nur ein­mal im Jahr, am 6. Januar, auf offe­ner Strasse, die Rituale zele­briert, die Trommeln gespielt und dazu getanzt wer­den. Ansonsten war dies streng­stens ver­bo­ten. Dadurch, dass sich die­se Musik und die­ser Tanz wei­ter­ent­wickelt und die­se Unterdrückung über­dau­ert haben, sind sie für mich ein Ausdruck von Stärke und Auflehnung. Der heu­ti­ge Salsa hat sich mit allen Entwicklungen in New York zusam­men­ge­setzt.

Was ist dei­ner Meinung nach wich­tig, um Salsa tan­zen zu kön­nen?

Es braucht ein gutes Musikgehör, um auf die Musik ein­ge­hen zu kön­nen, und natür­lich eine gute Koordination. Das Wichtigste aber ist Selbstvertrauen. Nur wer den Mut hat, sich gehen zu las­sen, kann auf sein Gegenüber ein­ge­hen und reagie­ren. Denn beim Salsa führt nicht der Mann son­dern die Musik, und man ver­sucht mit­ein­an­der, die­se Musik umzu­set­zen. Salsa ist im Grunde genom­men ein Spiel mit der Musik.

Ist es wich­tig, die kari­bi­sche, latein­ame­ri­ka­ni­sche Kultur zu ken­nen und zu ver­ste­hen, um wirk­lich Salsa tan­zen zu kön­nen?

Das ist eine kom­ple­xe Frage. Teils ja, teils nein. Es gibt im Salsa immer einen Zusammenhang zwi­schen den Schritten und den Rhythmen der Musik, wobei die­se aus der Kultur ent­stan­den sind. Insofern ist es wich­tig, die kari­bi­sche Kultur, die immer der Ursprung des Salsa blei­ben wird, zu ver­ste­hen und zu respek­tie­ren. Andererseits hat sich der Salsa extrem wei­ter­ent­wickelt. Er wird mitt­ler­wei­le welt­weit getanzt, und es gibt inzwi­schen so vie­le ver­schie­de­ne Richtungen, dass es ein Klischee ist, Salsa nur mit Lateinamerika zu ver­bin­den. Salsa wird in New York und Los Angeles getanzt, Russland ist sehr gut, und Mailand ist in den letz­ten Jahren zu einem Zentrum des Salsa gewor­den.

Wie gross ist das Interesse für Salsa in Bern?

Es ist ein gros­ses Interesse vor­han­den, und es gab in den let­zen Jahren ein enor­mes Wachstum der Berner Salsaszene. Vor 25 Jahren, als ich ange­fan­gen habe Salsa zu tan­zen, gab es in Bern nur das National, und Tanzabend war der Donnerstag. Mittlerweile gibt es fast jeden Abend einen Salsa-Tanzanlass, und wir haben seit zehn Jahren vol­le Kurse. Das ist natür­lich nur mög­lich, wenn die Nachfrage vor­han­den ist.

Vor wel­chen Schwierigkeiten steht die Salsaszene in Bern?

Die gröss­te Schwierigkeit ist, als wich­ti­ger Teil der Kultur wahr­ge­nom­men zu wer­den. Oftmals wird Kultur viel zu eng defi­niert und auf Anlässe mit klar zuge­teil­ten Rollen, Künstlern und Zuschauern, beschränkt. Dabei ist es gera­de das Schöne am Salsa, dass die Leute selbst mit­wir­ken, mit pro­du­zie­ren kön­nen. Auf der ande­ren Seite sind wir für vie­le Veranstalter nicht lukra­tiv, da bei Salsaanlässen zu wenig kon­su­miert wird. Wir fal­len sozu­sa­gen zwi­schen Stühle und Bänke, wer­den nicht als Teil der Kultur geför­dert, sind aber auch zu wenig kom­mer­zi­ell. Das ist sehr scha­de wenn man bedenkt, was für ein Potential die­ser Tanz hat. Salsa ver­mag die ver­schie­den­sten Menschen zu inte­grie­ren. Menschen, die sozi­al iso­liert sind, kön­nen durch den Tanz den Zugang zu ande­ren fin­den und blü­hen rich­tig auf. Salsa ist ein sozia­les Netzwerk, und es ist mit Abstand die fried­lich­ste Szene in Bern. Diese sehr posi­ti­ven Aspekte hät­ten eigent­lich mehr Unterstützung ver­dient.

Trotzdem gelingt es dir nun schon seit Jahren, Raum und Mittel für gros­se Salsa-Veranstaltungen wie das «Steps to get it» oder das «Fall in Salsa»-Festival zu fin­den.

Es geht immer, aber es braucht sehr viel Energie und ist immer mit dem Risiko ver­bun­den, Verluste zu machen. Ich neh­me die­ses Risiko jedoch ger­ne auf mich, denn Kultur, und das ist Salsa, soll­te nie von wirt­schaft­li­chen Faktoren abhän­gig sein. Kultur soll­te von den Menschen kom­men, aus dem Volk ent­ste­hen. Für mich per­sön­lich ist Kunst eine Not, eine Dringlichkeit, die aus­ge­drückt, aus­ge­lebt wer­den muss. Es ist die­se Dringlichkeit, es sind nicht die finan­zi­el­len Mittel, die ent­schei­dend sind.

Du hast inzwi­schen ver­schie­de­ne Rollen, was Salsa betrifft, bist Musiker, Tänzer, Choreograph und Lehrer. Gibt es da nie Schwierigkeiten?

Es ist wich­tig, klar zwi­schen die­sen ver­schie­de­nen Rollen unter­schei­den zu kön­nen. Der Lehrer ist für die Schüler da, muss sein eige­nes Level ver­las­sen und sich zurück­neh­men kön­nen. Das gibt aber auch viel Freude. Wenn die Leute am Schluss mit roten Gesichtern glück­lich nach Hause gehen, geschwitzt und gelernt haben, oder wenn 12 bis 65-Jährige zusam­men tan­zen kön­nen, sind das immer sehr schö­ne Momente. Trotzdem könn­te ich nie nur ein Lehrer sein, denn ich brau­che die Möglichkeit, mich künst­le­risch aus­le­ben zu kön­nen. Diese Möglichkeit habe ich als Tänzer, Musiker und Choreograph.

Welche Rolle ist dir die Liebste?

Am lieb­sten bin ich Social Dancer. Das heisst, mit einem Partner frei zur Musik zu impro­vi­sie­ren. Das ist der Kernteil des Salsa. Aber im Grunde auch der schwie­rig­ste, da man Vertrauen in sich und den Partner haben muss.

Was inspi­riert dich beim cho­reo­gra­phie­ren?

Musik. Es geht sehr viel über die Musik und ich bin auch über die Musik erst aufs Salsatanzen gekom­men. Höre oder spie­le ich Musik, ent­ste­hen bei mir sehr schnell Bilder, wie die­se Klänge und Rhythmen in Bewegungen umge­setzt wer­den könn­ten. Eine ande­re Inspiration sind mei­ne Kinder. Ich sehe Bewegungen bei ihnen und stel­le mir vor, wie man die­se wei­ter­ent­wickeln könn­te.

Vor zehn Jahren haben du und Anna die Tanzschule Salsadancers gegrün­det. Wie ist es damals dazu gekom­men?

Salsadancers ist eigent­lich aus sich selbst ent­stan­den. Ich brauch­te damals einen Job und so habe ich ange­fan­gen, bei mir im Wohnzimmer zu unter­rich­ten. Zuerst waren wir zu viert, dann zu zehnt, dann kam Anna dazu und wir haben ange­fan­gen, Räume zu mie­ten und das Angebot zu ver­grös­sern. Ungefähr nach einem Jahr haben wir uns dann den Namen Salsadancers gege­ben und fixe Räumlichkeiten orga­ni­siert. Dadurch hat­ten wir die Möglichkeit, tags­über zu tan­zen, abends zu unter­rich­ten und so vom Salsa zu leben.

Mittlerweile seid ihr eine der wich­tig­sten und qua­li­ta­tiv besten Tanzschulen der Schweiz. Was zeich­net Salsadancers aus?

Ich und Anna haben ein eige­nes Modul ent­wickelt. In Südamerika haben wir gese­hen wie die Menschen zu der Musik tanz­ten. Das woll­ten wir unbe­dingt über­neh­men, und so sind wir füh­rend, was Livemusik im Unterricht angeht. Wir ver­su­chen immer, nicht nur Techniken und Figuren zu leh­ren, son­dern auch, wie die­se Figuren mit der Musik zusam­men­hän­gen. Das Andere sind unse­re inno­va­ti­ven Ideen und unse­re Shows, mit denen wir sehr erfolg­reich sind. Dann haben wir natür­lich gute Lehrer, und vor allem immer zwei Lehrer pro Kurs. Das kostet uns zwar mehr, dafür kön­nen unse­re Schüler mehr ler­nen.

Leben du und Anna mit Salsadancers euren Traum?

Ja. Die Tanzschule war unser Traum und ich bin glück­lich, dass wir den Mut hat­ten, ihn zu rea­li­sie­ren. Immerhin gelingt es uns, so eine Familie mit drei Kindern zu ernäh­ren, und das ist, will man vom Tanzen leben, nicht selbst­ver­ständ­lich. Aber es ist auch immer aufs Neue ein Kampf, und zusam­men zu arbei­ten und zusam­men eine Familie zu haben kann manch­mal auch eine anstren­gen­de Auseinandersetzung sein. Wenn es aber klappt, hat es extre­mes Potential; und wir sind mitt­ler­wei­len gut orga­ni­siert.

Vor dreis­sig Jahren hast du im Marzili um Raum fürs Zaffaraya gekämpft, nun kämpfst du fast am glei­chen Ort um Raum für Salsa. Raum, Freiraum scheint bei dir ein wie­der­keh­ren­des Thema zu sein.

Ja! Mein gan­zes Leben habe ich für Orte gekämpft, an denen ohne Druck und ohne vor­ge­ge­be­ne Struktur etwas Eigenes, Freies ent­ste­hen kann. In unse­rem System, auch in der Kultur, sind sol­che Freiräume jedoch sehr sel­ten, und Veranstaltungen sind mei­stens durch­struk­tu­riert, was die Entstehung von neu­en Ideen ver­hin­dert. In den Achtzigerjahren haben wir im Zaffaraya für sol­che Orte gekämpft, denn damals gab es in Bern wirk­lich nichts, kei­ne Reithalle, kei­nen Progr, kei­ne alter­na­ti­ven Wohnformen, schlicht­weg kei­nen Freiraum. Ich den­ke mit Salsa ist mir die­ser Kampf nun end­lich ein Stück weit gelun­gen. Beim Salsa kom­men die ver­schie­den­sten Menschen zusam­men und schaf­fen sich durch den Tanz, durch das Ausleben ihrer Kreativität ihren eige­nen Freiraum. Jeder kehrt dabei sein Innerstes nach Aussen und gibt sich selbst Preis. Das kann man gar nicht ver­hin­dern, denn der Körper sagt beim Tanzen immer die Wahrheit.

Vermisst du die Zeit beim Zaffaraya?

Nein. Es war eine inter­es­san­te Zeit und ich habe damals sehr viel gelernt. Wir waren eine star­ke Gemeinschaft und oft­mals sas­sen wir zusam­men, mach­ten Musik und spra­chen über Philosophie und Politik. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir damals in Bern etwas bewe­gen konn­ten. Ich bin sehr froh, das wirk­lich gelebt zu haben, aber nun ste­he ich an einem ganz ande­ren Punkt in mei­nem Leben.

Beschäftigst du dich in zehn Jahren immer noch mit Salsa?

In zehn Jahren bin ich 57. Die Menschen wer­den Salsa tan­zen, das ist sicher, aber ob ich mich noch damit beschäf­ti­ge und ob es Salsadancers noch geben wird, kann ich nicht sagen. Ich weiss nur, was das näch­ste Jahr brin­gen wird, denn da ste­he ich bereits wie­der mit­ten in der Planung. Ich kann nun mal nicht anders!

Du scheinst ein unver­bes­ser­li­cher Kämpfer zu sein.

Ja! Eine Kämpfernatur und ein ewi­ger Idealist. Mein Leben lang habe ich immer gehan­delt, mei­ne Ideen umge­setzt anstatt mir im Vorfeld alles genau zu über­le­gen. Das bringt natür­lich auch Schwierigkeiten mit sich, aber Salsadancers hät­te ich anson­sten nicht grün­den kön­nen, denn dazu braucht es Mut und Risikobereitschaft.

Infos: www.salsadancers.ch

Foto: zVg.
ensuite, November 2012

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