Frechheit siegt

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By Constantin Seibt

Kleine Länder, nor­ma­le Leute sind in Sachen Information schwar­ze Löcher. Sie sau­gen mas­sen­haft Informationen in sich hin­ein; über sie hin­ge­gen erfährt nie­mand etwas aus­ser sie selbst.

So dringt über die Schweiz kaum Information ins Ausland; aus­ser gele­gent­lich eine Datei mit Bankkundendaten.

Doch Ende letz­ten Monats schaff­te es eine Nachricht in die inter­na­tio­na­le Presse: in die gros­sen deut­schen Blätter, nach Frankreich, Belgien, England, bis nach Aserbaidschan und den Libanon.

Es war die Nachricht: «Zeitung erpresst Geheimdienstchef». Sie war gar­niert mit die­sem hüb­schen Erpressungsvideo, dass auf­grund gros­ser Nachfrage im Ausland mit hoch­deut­schen Untertiteln ver­se­hen wer­den muss­te.

Zwar ent­pupp­te sich der Artikel dazu als nicht abso­lut erd­er­schüt­ternd: Die WoZ obser­vier­te das Haus des Schweizer Geheimdienstchefs Markus Seiler, ver­folg­te sein Auto auf dem Weg zur Arbeit und star­te­te vor dem Geheimdiensthauptquartier eine Drohne, die aber aus recht­li­chen Gründen nichts Interessantes auf­neh­men durf­te. Inzwischen haben die Juristen des Geheimdienstes die Zeitung dazu gebracht, die Seite über ihren Chef zu schlies­sen.

Aber das tat wenig zur Sache: Entscheidend war die Idee, den Chefüberwacher zu über­wa­chen. Es löste die­sel­be Begeisterung aus wie frü­her in der Schule ein gelun­ge­ner Streich.

Frechheit und Politik

Es ist ein offe­nes Geheimnis, dass ernst zu neh­men­de Journalisten sel­ten ganz erwach­se­ne Menschen sind. Und selbst wenn, dann nicht ganz bere­chen­ba­re: Schon weil Berechenbarkeit das freund­li­che Wort für Langeweile ist. Und weil gerad­li­ni­ges Denken das Gegenteil von Denken ist.

Aber vor allem, weil die Ware, die Journalismus ver­kauft, aus weit kom­ple­xe­rem Stoff als aus Information besteht. Jeder Text trans­por­tiert auch eine Haltung: Mitgefühl, Zorn, Mut, Zuversicht, Depression, Schadenfreude, Verblüffung, was immer. Neutralität ist zwar ehren­wert, aber am wenig­sten ansteckend. Leser sind kei­ne infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­ten­den Automaten und schät­zen auch kei­ne.

Frechheit ist – im Gegensatz zu jeder ande­ren Industrie – im Journalismus eine der wich­tig­sten Waren: als Rohstoff, Haltung und Produkt. Das, weil Journalismus, wenn er die Mühe wert ist, immer poli­ti­scher Journalismus ist. Und Frechheit ist im Kern eine poli­ti­sche Haltung: Sie wen­det sich bei aller Albernheit instink­tiv gegen Würde, Ernst, Feierlichkeit, Konventionen, kurz: die Macht. (Wählt sie ihre Ziele klei­ner, kippt sie in Niedertracht.)

Den Kampf mit der Macht sucht sie nicht ein­mal pri­mär aus ver­bor­ge­nem Ernst. Sondern schlicht, weil erst der Kontrast einen Scherz erst rich­tig scharf macht. In sei­nem gros­sen Humortheorie-Buch «Was gibt es hier zu lachen?» beschreibt Robert Gernhardt die Urszene der Komik. Bobo, der Buckige ris­kiert hier sein Leben für etwas, was durch­aus auch als Ideologiekritik zu beschrei­ben wäre. Obwohl der Impuls dafür wesent­lich archai­scher ist:

In einer Höhle der sehr frü­hen Steinzeit ver­sam­melt sich die Horde unter Führung des Häuptlings um den Schamanen, der sich fei­er­lich dar­an­macht, den all­jähr­lich fäl­li­gen Jagdzauber dadurch zu voll­zie­hen, dass er mit aus­ge­brei­te­ten Armen vor der Höhlenmalerei einer Wildkuh nie­der­kniet.

Schamane: Kuh, du schnel­le, schö­ne, nahr­haf­te, höre uns an!

Alle: Mit dei­nen gros­sen Ohren!

In der letz­ten Reihe der Horde lässt einer einen fah­ren. Der Blick des Häuptlings schweift prü­fend über die Hordenmitglieder.

Schamane: Kuh, du weisst, wer vor dir steht, dein Volk, der Stamm der Kuhmenschen. Und wir alle rufen dir zu:

Bevor die Horde ant­wor­ten kann, lässt der geheim­nis­vol­le Puper wie­der einen fah­ren. Gekicher wird laut. Häuptling und Schamane mustern auf­merk­sam die Gesichter der Versammelten.

Schamane: Kuh! Wir haben dei­ne Kinder gejagt, getö­tet und ver­speist. Aber wis­se, Kuh, wir taten all dies nur, weil du, Kuh, mir im Schlafe erschie­nen bist und fol­gen­des zu mir und dei­nem Volk gesagt hast:

Ein drit­ter Furz, der unver­kenn­bar das Muhen einer Kuh nach­ahmt. Unverstelltes Gelächter. Der Schamane steht wütend auf und wech­selt eini­ge Worte mit dem Häuptling. Darauf bahnt der sich den Weg durch die Horde und tritt ohne zu Zögern vor den, der als ein­zi­ger ernst geblie­ben ist, Bobo, den Buckligen.

Häuptling: Bobo, wenn du noch ein­mal einen fah­ren lässt, dann erschla­ge ich dich auf der Stelle mit die­sem Feuerstein.

Bobo lässt wie­der einen fah­ren und blickt sich in gespiel­ter Entrüstung um.

Bobo: Wer fahr das?

Riesengelächter. Der Häuptling erschlägt Bobo. Als er schwei­gend zum Schamanen zurück­kehrt, glaubt er, hin­ter sich ein lei­ses Pupen zu hören. Rasch wen­det er sich um, doch wohin er auch blickt, ern­ste Minen und gesenk­te Köpfe. Oder sind die­se nur so tief gebeugt, weil der eine oder ande­re sich das Lachen ver­beis­sen muss? Für einen Moment zögert der Häuptling, dann bedeu­tet er dem Schamanen mit einem bar­schen Handzeichen fort­zu­fah­ren, wor­auf der sei­nen Zauber ohne wei­te­ren Zwischenfall zu Ende bringt. Nachts frei­lich, als sich die Horde in Felle gewickelt hat, da will das Gepupe und Gekicher kein Ende neh­men, ja selbst auf das «Ruhe, ver­dammt noch mal!» des Häuptlings ertönt ein wie von Kinderstimme gepiep­stes «Wer fahr das?», und wie­der bran­det das Gelächter mäch­tig auf…

Satire als Wachstumssegment

Frechheit ist dem Journalismus eng ver­wandt: Sie pro­du­ziert Ärger, Wirbel und Kritik. Gäbe es ein Wappentier für Komik wie Journalismus, so wäre es der Aaskäfer, der auf­lebt, wo es stinkt. Oder der Junge in Andersens Märchen, der sagt: Der Kaiser ist nackt. Und gäbe es eine Hymne, dann wäre sie Groucho Marx› gross­ar­ti­ge Arie: Whatever it is –I’m against it.

Nur wird in Redaktionen sehr wenig dar­über nach­ge­dacht. Obwohl Frechheit im 21. Jahrhundert eines der weni­gen Wachstumshoffnungen im poli­ti­schen Journalismus ist. Sie ist das ein­zi­ge Produkt, das das jün­ge­re Publikum beweis­bar ernst nimmt: Satire wird frei­wil­lig gese­hen, geteilt, gesucht, bespro­chen. Die Shows von Jon Stewart und Steven Colbert ergän­zen längst nicht nur die ande­ren Nachrichtenshows in den USA; sie erset­zen sie für vie­le. In Hongkong ist das meist­ge­se­he­ne Nachrichtenformat eine Viertelstundekochsendung fürs Handy, wo zwei Köche sich rotz­frech über Aktualitäten unter­hal­ten. Und in Deutschland schafft die (eher gro­be) Heute Show, Pflichtprogramm für die Pausenplätze zu wer­den.

Schon heu­te wirkt die Frechheit als Aushängeschild für Zeitungen: «Zippert zappt» in der «Welt», der Greser & Lenz-Cartoon in der FAZ, die Wahrheit in der «taz», Peter Schneider in der «SonntagsZeitung», 120 secon­des im wel­schen Radio, das ehr­wür­di­ge Streiflicht der «Süddeutschen» – es sind die­se Formate, die einem den Kick geben, ein Medium in die Hand zu neh­men – und selbst wenn die­se Rubrik an die­sem Tag das ein­zi­ge bleibt, was man liest.

Nur ist die­se Sorte Frechheit meist ein­ge­kauft und wenig syste­ma­tisch. Chefredaktionen soll­ten über mehr Formate nach­den­ken, etwa:

  • Telefonterror: Ein – aus­ser von der Redaktion der «Titanic» – syste­ma­tisch unter­schätz­tes Genre. Dabei sind die Erkenntnisse gross. Selten erfuhr man so pla­stisch, wie weit Schweizer Gemeinden gehen wür­den, um einen pro­mi­nen­ten Steuerzahler anzu­locken, wie als 2002 ein angeb­li­cher Sekretär des Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher anrief und Sonderbewilligungen für Teststrecken vor dem Haus, Steuerdeals, nied­ri­gen Ausländeranteil, Hochdeutschkurse für Schweizer sowie Wegschauen der loka­len Polizei bei Tempoüberschreitungen ver­lang­te.
  • Fälschungen & Parodien: Durch wenig erfährt man die Machart eines Werks mehr als durch sei­ne Fälschung. Ein Asset für jeden gepfleg­ten Kulturteil.
  • Satireseiten: Nicht ganz ein­fach her­zu­stel­len, aber mit Sicherheit die meist­ge­le­se­ne und ‑debat­tier­te Seite eines Blatts.
  • Gonzoreportagen: Auch ein Genre mit über­ra­schen­den Erkenntnissen. Etwa, als ein Journalist der «Welt» 2003 in Zürich, Genf und Vaduz eine hal­be Million Euro Schwarzgeld anle­gen woll­te. Und die Banken bereit­wil­lig über Codewörter, Schmuggelrouten und Nachweisfälschungen rede­ten: «Vielleicht haben Sie das Geld mit einem Restaurant ver­dient. Dann genüg­te als Beleg die Speisekarte.»)
  • Eingriffe in die Wirklichkeit zwecks Werbung: Hier hat die «Medienwoche» etwa eini­ge Werbekampagnen der WoZ zusam­men­ge­stellt – dar­un­ter auch das Übernahme-Angebot für die «Weltwoche».)

Der Grund, war­um dies kaum je gemacht wird, ist – neben Faulheit – mei­stens: Die Angst um die eige­ne Glaubwürdigkeit. In der Tat benö­tigt Frechheit Können: Ein gros­ses Taktgefühl, das sehr genau weiss, wo es die­ses ver­letzt. Doch um die­ses zu bekom­men, braucht es Erfahrung, also Experimente. Und etwas Mut, gele­gent­li­che Empörung aus­zu­sit­zen.

Denn letzt­lich stär­ken gelun­ge­ne Streiche die Glaubwürdigkeit beim Publikum. Denn die­ses ist längst nicht mehr naiv. Und glaubt etwa alles, was gedruckt ist. Das heu­ti­ge Publikum ist seit der Kindheit täg­lich mit meh­re­re Stunden in ver­schie­den­sten Medien auf­ge­wach­sen, also ver­traut mit schnel­len Schnitten, Ironie, Selbstironie, allen mög­li­chen Stilen und Mischformen: Es ver­steht, was hier pas­siert.

Kein Wunder, wur­de Jon Stewart 2009 in einer «Time»-Umfrage von jün­ge­ren Publikum als glaub­wür­dig­ster Nachrichtenmoderator gewählt. Für die­ses Publikum gilt, was der Schriftsteller Rudolf Leonhard schon 1917 schrieb: «Frechheit ist die letz­te und kühn­ste Äusserung der Sachlichkeit.»

: http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline/index.php/33200/frechheit-siegt/

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