Freak Wave

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Von Simone Wahli - Auf den Strassen Kambodschas sowie Laos’ ist von einem Motorradtaxi über Rauschmittel jeg­li­cher Art bis­hin zu Frauen alles erhält­lich. Das Beispiel Thailand macht offen­bar Schule, und dies nicht nur in Bezug auf die vor­nehm­lich männ­li­che Klientel, denn auch west­li­che Frauen eines bestimm­ten Alters wer­den in Begleitung jun­ger asia­ti­scher Männer gesich­tet. Nach wie vor sind jedoch, neben den kul­tu­rel­len Sehenswürdigkeiten, die unver­bau­te Landschaft sowie der Umstand, dass hier Zeit noch nicht gleich Geld ist, die Hauptfaktoren für eine Reise nach Kambodscha und Laos – hof­fen wir, dass es so beibt.

Der Westen, zumeist ver­kör­pert durch den west­li­chen Touristen, scheint Sehnsüchte zu wecken, des­sen Ausmasse wir kaum begrei­fen kön­nen. Dies geht soweit, dass der aura­si­sche Phänotyp zum Schönheitsideal schlecht­hin erklärt wird – eine Hautcreme ohne Weissmacher besitzt Seltenheitscharakter und die Suche nach einer sol­chen kann durch­aus zu einer Tagesbeschäftigung aus­ar­ten. Der weib­li­che Körper wird zumeist ver­hüllt, teil­wei­se tra­gen die Frauen sogar die Arme bedecken­de Handschuhe und Mützen, trotz bzw. gera­de auf­grund der Temperaturen über 30 Grad.

Auch in kam­bo­dscha­ni­schen sowie lao­ti­schen Videoproduktionen, denen man auf unzäh­li­gen Busfahrten aus­ge­setzt ist, schei­nen die Attribute des Westens dem Mann stets zum Gewinn des Herzens sei­ner Liebsten zu ver­hel­fen. Interessanterweise gehö­ren zu den Aphrodisiaken auch Baustellen und Häuser aus Beton.

Anders als in Vietnam, wo der Kontakt mit Einheimischen häu­fig dadurch erschwert wird, das man sich all­zu oft auf den aus­ge­tre­te­nen Touristenpfaden befin­det, sind in von Touristen weni­ger fre­quen­tier­ten Ortschaften in Laos und Kambodscha Begegnungen fern­ab der Geschäftstüchtigkeit mög­lich. An jeder Strassenecke wird man von Einheimischen umringt, die bestrebt sind, mit einem ins Gespräch zu kom­men und häu­fig fin­det sich auch jemand, der genü­gend Englisch spricht, um als Übersetzer zu fun­gie­ren. Lebensmittel und Getränke wer­den einem nicht nur auf der Strasse, son­dern auch in Bussen ange­bo­ten und die Antwort auf die ste­te Frage nach unse­rem Heimatland wird oft ledig­lich mit einem Schulterzucken kom­men­tiert oder mit Schweden gleich­ge­setzt.

In bei­den Ländern sind wir immer wie­der auf Orte gestos­sen, die bezüg­lich der Anzahl an Austeigern, wel­che dort für kür­ze­re oder län­ge­re Zeit hän­gen­blei­ben – eine gros­se israe­li­sche Gemeinde hat sich auf dem Binnenarchipel Si Phan Don (“4000 Inseln”) häus­lich ein­ge­rich­tet – an Goa erin­nern. Dazu gehö­ren neben dem kam­bo­dscha­ni­schen Sihanoukville sowie dem bereits erwähn­ten lao­ti­schen Si Phan Don auch das Boom Village Vang Vieng, wo Gerichte, die THC-glück­lich machen, sogar auf der Speisekarte vie­ler Lokale ste­hen. Hier wird das Restaurant jedoch weni­ger nach der Speisekarte, son­dern viel­mehr nach dem Filmprogramm aus­ge­wählt – ein Lokal ohne DVD-Movie-Dinner scheint gera­de­zu undenk­bar.

Daneben fas­zi­niert der Ort aber vor allem auf­grund sei­ner unzäh­li­gen Höhlen, meh­re­re ver­fü­gen über natür­li­che Pools, die zum Baden ein­la­den. Eine der Hauptattraktionen Vang Viengs ist jedoch das Tubing, bei dem man in einem Lastwagenreifen den Nam Xong hin­un­ter­treibt – wür­de wahr­schein­lich auch in der Aare funk­tio­nie­ren. Unterwegs laden schwim­men­de Bars immer wie­der zum Verweilen und zum Genuss eines wei­te­ren Beerlao ein und an tie­fe­ren Stellen wird die Möglichkeit zu einem Kopfsprung ins küh­le Nass gebo­ten.

Ganz anders hin­ge­gen muten Siem Reap bzw. Angkor sowie die lao­ti­sche Tempelstadt Luang Prabang an. Werden erste­re Ortschaften vor allem von Backpackern besucht, sind letz­te­re mehr­heit­lich auf dem Tagesprogramm von Kulturtouristen. Dies trägt dazu bei, dass sowohl Siem Reap als auch Luang Prabang über eine tou­ri­sti­sche Infrastruktur ver­fü­gen – man­che Strassenzüge erin­nern in Anbetracht der Restaurantdichte stark an den Europapark – die ange­sichts der Armut der bei­den Länder, die wäh­rend der Busfahrt zu den Sehenswürdigkeiten beson­ders deut­lich ins Auge sticht, zutiefst selt­sam anmu­tet.

So sind in Laos nach wie vor über 50 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, den­noch ist es bis nicht gelun­gen, über die Subsistenzwirtschaft hin­aus­zu­kom­men, was jedoch den Vorteil hat, dass es sich bei prak­tisch allem Fleisch um “Bio” han­delt und vor allem das Hühnchen aus­ge­zeich­net schmeckt.

Dennoch sind sowohl Angkor als auch Luang Prabang den Besuch und die zumin­dest für erste­res hor­ren­de Eintrittsgebühr für einen Tag von 20 Dollar, wel­che lei­der einer Ölfirma zugu­te kommt, abso­lut wert. Dass vie­le, zum Teil aus dem 15. und 16. Jahrhundert stam­men­de Wats, sowohl in Vientiane als auch in Luang Prabang, für unser Auge etwas über­re­stau­riert sein mögen, ist wahr­schein­lich dar­auf züruck­zu­füh­ren, dass sie für uns vor allem ein histo­ri­sches und weni­ger ein sakra­les Monument dar­stel­len, wäh­rend der Buddhismus hier noch zum Alltag gehört, was sich unter ande­rem in der Präsenz unzäh­li­ger jugend­li­cher Mönche in leuch­ten­dem Orange fest­macht. Ja, eini­ge Jahre als Mönch zu leben nicht nur in Laos und Kambodscha, son­dern auch in Thailand gera­de­zu zum männ­li­chen Curriculum gehört.

Sowohl die kam­bo­dscha­ni­sche Kapitale Phnom Penh als auch deren lao­ti­sches Pendant Vientiane sind unheim­lich ent­spannt und kön­nen dank ihrer kom­pak­ten Struktur aus­ge­zeich­net zu Fuss beschrit­ten wer­den. Gehören in Phnom Penh neben dem Königspalast mit der Silberpagode auch das Genozidmuseum Tuol Sleng sowie die 18 km von der Stadt ent­fern­ten Killing Fields zu den Sehenswürdigkeiten, hat Laos, trotz dem maka­bren Rekord, das meist-bom­ba­dier­te Land der Geschichte zu sein, nichts Derartiges zu bie­ten. Bis heu­te glaubt manch ame­ri­ka­ni­scher Vietnamveteran, auf viet­na­me­si­schen Boden gekämpft zu haben, wäh­rend er sich in Realität in Laos befun­den hat­te. Generell soll­te es in bei­den Ländern ver­mie­den wer­den, sich in die Büsche zu schla­gen, da nach wie vor eine Unzahl unde­to­nier­ter Sprengkörper exi­stie­ren, die bis heu­te immer wie­der mensch­li­che Opfer for­dern.

In Phnom Penh wie in Vientiane kann man spek­ta­ku­lä­re Sonnenuntergänge bei einem Bier am Tonle Sap bzw. am Mekong genies­sen und vor allem an den Strassenstränden am Mekong lässt sich vor­züg­lich spei­sen – berühmt sind die ursprüng­lich aus Luang Prabang stam­men­de Schweinswurst sowie Fische aus dem Mekong.

Flussfahrten las­sen sich, obwohl der Mekong einer der gros­sen Ströme Asiens ist, nicht mit einer Bootsfahrt auf dem Huangpu (Shanghai) ver­glei­chen. Der Mekong hat, zumin­dest heut­zu­ta­ge, in kei­ner Weise mehr den Status einer Haupttransportader. Dies ist einer­seits dar­auf zuruck­zu­füh­ren, dass das Strassennetz sowohl in Kambodscha als auch in Laos in den letz­ten Jahren stark ver­bes­sert wur­de, ande­rer­seits, dass der Mekong in der Trockenzeit (November bis März) vie­ler­orts nur mit klei­nen Booten schiff­bahr ist. Einen Teil der Strecke mit dem Boot zurück­zu­le­gen ist den­noch ein abso­lu­tes Must, ins­be­son­de­re an der kam­bo­dscha­nisch-lao­ti­schen Grenze, da die Natur hier auf­grund der weni­gen Bewohner noch weit­ge­hend unbe­rührt ist.

Das Nachtleben ist in bei­den Städten zu ver­nach­läs­si­gen, obwohl ich mich hier ger­ne eines Besseren beleh­ren las­se. Auch hier wird ein Grossteil der Bars und Klubs ledig­lich von Expats und Backpackern besucht, wäh­rend die Locals sich in ein­schlä­gi­gen Lokalen, die zumeist schon vor Mitternacht ihre Tore schlies­sen, am Alkohol und an asia­ti­scher Popmusik berau­schen. Jedoch hat auch Bangkok, das gemein­hin mit Shopping und Nightlife asso­zi­iert wird, bezüg­lich letz­te­rem nicht gera­de viel zu bie­ten. Obwohl die Lokalitäten, wie bei­spiels­wei­se der in west­li­chen Medien schon hin­läng­lich bespro­che­ne “Bed Supper Club”, in Bezug auf Design kaum Wünsche offen las­sen, ist mit Abtanzen bis in die frü­hen Morgenstunden auf­grund der Sperrstunde um 1 Uhr nachts nicht zu rech­nen – so bleibt auch hier ein­mal mehr der Ausschank von Alkohol auf der Strasse. Einkaufen lässt sich jedoch wahr­haf­tig in aus­ge­zeich­ne­ter Weise , und dies sogar wenn man ohne Louis Vuitton (in öko­no­mi­scher Plastikausführung) nach Hause reist.

Um noch etwas Sonne zu tan­ken, haben wir die letz­ten paar Tage auf der Insel Koh Mak, die zum Archipel um Koh Chang gehört, ver­bracht, wo ange­sichts der vie­len Pauschaltouristen ein­mal mehr deut­lich wur­de, wie sehr die Katastrophe, zumin­dest vor­über­ge­hend, die Tourismuslandschaft ver­än­dert hat. Obwohl nach wie vor nicht über­lau­fen – die Insel hat eine stän­di­ge Wohnbevölkerung von gera­de ein­mal 420 Einwohnern – ist es zumin­dest im Augenblick schwie­rig , ein frei­es Bungalow zu fin­den.

In Anbetracht der rie­si­gen Backpackergemeinde welt­weit stellt sich die Frage, inwie­fern es sich hier­bei um eine Zeiterscheinung Ende des 20. bzw. zu Beginn des 21. Jahrhunderts han­deln mag. Die Möglichkeit, prak­tisch alle Teile der Welt für rela­tiv wenig Geld zu berei­sen, ist vor allem auf die tie­fen Flugpreise zurück­zu­füh­ren, die mit dem Schrumpfen der natür­li­chen Ressourcen sowie dem bis­he­ri­gen Unvermögen, alter­na­ti­ve Energiequellen in brei­te­rem Masse zugäng­lich zu machen, auto­ma­tisch wie­der stei­gen wer­den. Auch Pandemien, die bis­lang ihren Ursprung immer wie­der in Südostasien gefun­den haben, sowie Naturkatastrophen könn­ten mög­li­cher­wei­se in Zukunft das gras­sie­ren­de Reisefieber etwas ins Stocken gera­ten las­sen.

In den Medien scheint der Tsunami lang­sam in den Hintergrund zu tre­ten und macht den kom­men­den Wahlen im Irak sowie den israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen Konflikten Platz. Bis heu­te hat die ‘Freak Wave’ über 220’000 Opfer gefor­dert.

Erschienen unter dem Titel: Objects may be clo­ser than they appear – Teil 4. Freak Wave  Reisenotizen auf dem Weg von Russlands Westen bis nach Südost-Asien. (Teil vier, 23. Dezember 2004- 22. Januar 2005.)

Bild: Christof Sulzer
ensuite, Februar 2005

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