Fortschritt – wel­cher denn? Global Justice NOW!

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Von Dr. Regula Stämpfli - Die füh­ren­den Ökonomen der letz­ten 50 Jahre grün­de­ten ihre Propaganda auf der rich­ti­gen Annahme, dass Staaten, Experten, Manager dazu gebracht wer­den kön­nen, die unglaub­lich­sten Theorien zu akzep­tie­ren. Und die­se, selbst wenn vie­le klu­ge Köpfe kom­men und sie von der Unrichtigkeit über­zeu­gen, ein­fach so wei­ter­ma­chen wie bis­her, weil Menschen, selbst wenn sie wis­sen, dass sie Lügen ver­tre­ten, die­se immer noch ver­tei­di­gen.

Maja Göpel hat «Die Welt anders den­ken» geschrie­ben, ein wirk­lich gutes Buch. Sie ist Ökonomin, Nachhaltigkeitswissenschaftlerin und arbei­tet als Generalsekretärin des WBG (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) in Deutschland. Sie grün­de­te mit den Fridays for Future die «Scientists for Future». Das Buch war ein Bestseller, trotz dem echt schreck­li­chen Cover, das eher wie ein Selbsthilfe-Schlager aus den 1950er-Jahren daher­kommt. Anders als ihre männ­li­chen Kollegen Harald Welzer und Rutger Bregman wird die Expertin für öko­lo­gi­sche Wirtschaftstheorie kaum in deut­sche Sendungen ein­ge­la­den. In Deutschland domi­nie­ren die Männer alle Debatten in einem Masse, dass selbst die arri­vier­te Schauspielerin und Gattin von Hubert Burda, Maria Furtwängler, zusam­men mit ihrer Tochter Elisabeth Furtwängler eine Stiftung gegrün­det hat, die in regel­mäs­si­gen Abständen Studien zur Frauendiskriminierung in den Medien lie­fert. «Männer erklä­ren, wie system­re­le­vant Frauen sind», fasst die Forscherin Elizabeth Prommer die neu­sten Ergebnisse zur Corona-Krise und deren Weltendeuter zusam­men.

Göpels Buch ist gross­ar­tig und sehr ein­fach zu lesen. Ihre Frage – wie kön­nen Menschen und Tiere gut leben, ohne die Erde letzt­lich zu ver­spei­sen? – ist ori­gi­nell. Eine Frage, die ich als Philosophin fol­gen­der­mas­sen beant­wor­ten wür­de: *Mensch und Tier leben gut mit­ein­an­der, indem sie nicht als getrenn­te Wesen, son­dern als leben­dig ver­netz­te Organismen gedacht wer­den. (laStaempfli)* Dies in Anlehnung an Hannah Arendt, die regel­mäs­sig in deut­schen Medien ver­kitscht wird, aber, wenn kor­rekt gele­sen, eine der radi­kal­sten Denkerinnen ist.
Maja Göpel ist nicht radi­kal, wie könn­te sie auch – mit einer sol­chen Karriere –, doch sie ist ver­ständ­lich und haut den Ökonomen so rich­tig auf die Finger. Dies hat vor Jahren und sehr popu­lär auch Tomás Sedlácek in der «Ökonomie von GUT und BÖSE» (2012) getan. Geändert hat sich nichts, nada, nien­te, aus­ser dass die Hashtags für Natur- und Umweltschutz und öko­no­mi­sche Theorien, die tat­säch­lich Wissen und nicht ein­fach nur Ideologie für die herr­schen­de Geldreligion lie­fern, häu­fi­ger gewor­den sind.

Maja Göpels Buch emp­feh­le ich trotz­dem wärm­stens, weil sie ganz kla­re Zusammenhänge bringt. *Sie schlägt vor, die Börsenkurse direkt in Korrelation mit dem CO2-Ausstoss zu set­zen.* 2007 habe ich vor­ge­schla­gen, die Zunahme der dick­le­bi­gen Gesellschaft mit den Aktienwerten von Nestlé zu ver­glei­chen. Korrelationen, die lei­der viel zu wenig auf­tau­chen, obwohl sie viel mehr Wahrheit in sich ber­gen als bspw. die unsin­ni­gen Korrelationen zwi­schen Geschlecht und Verhalten.

Göpels Buch erklärt dar­über hin­aus jedem Idioten, wie wich­tig öko­no­mi­sche Anreize sind und nicht ein­fach «die Menschen». Klimaleugner füh­ren ja ger­ne das Argument in die Runde, dass es an den Menschen lie­ge, die Welt zu ver­än­dern, und wenn die halt nicht woll­ten, dann kön­ne man von Staates oder Wirtschafts wegen auch nicht viel tun.

Das ist klas­si­scher Bullshit.

All dies rea­li­siert man bei der Lektüre von Maja Göpel. Sie dekon­stru­iert auch den Silicon-Valley-Mythos vom «guten Leben» oder gar der Zukunft. Ihr Beispiel: Bienen. Bienen sind Grundlage aller Ökosysteme. Wir wis­sen genau, wel­che Anbau- und Pflanzmethoden Bienen aus­rot­ten und damit frü­her oder spä­ter alle Ökosysteme. Und dann pro­pa­giert Silicon Valley die «neue, lebens­er­hal­ten­de Innovation», die Bienendrohne. Göpel fragt zu Recht, was denn nun wirk­lich «Zukunftstechnologie» sei, die Drohne oder die Umgestaltung von Anbaumethoden, Lieferketten und Landnutzungskonzepten!

Göpel ist gross­ar­tig dar­in, wie sie das «Downgrading» von Menschen beschreibt: Technologischer Fortschritt um sei­ner selbst wil­len ist und bleibt Herrschaft, und zwar der beson­ders üblen Art. Göpel dazu: «Technologischer Fortschritt gilt als sicht­bar­stes Zeichen mensch­li­cher Fortentwicklung. Solange wir aber die Einbettung von Technik in Umwelt und Gesellschaft nicht mit­den­ken, fehlt uns der Blick dafür, wo sie uns hin­ter­treibt.» Deshalb muss Fortschritt ganz anders gedacht wer­den als bis­her.

Maja Göpel, Unsere Welt neu den­ken. Eine Einladung. Ullstein, Berlin 2020.

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