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ensuite SPEZIAL Second Art 2022: First Choice!

Von Lukas Vogelsang (Editorial zum ersten ensuite SPEZIAL: Second Art 2022)

Man könn­te spöt­tisch sagen, das «Second Art»-Projekt sei nur des­we­gen zustan­de gekom­men, weil den KünstlerInnen die Ideen aus­ge­gan­gen sind. Doch «aus Alt mach Neu» ist kei­ne fan­ta­sie­lo­se oder «kunst­lo­se» Umpins­le­rei und nicht auto­ma­tisch Kunst, sondern dahin­ter steckt etwas mehr. Spätestens wenn Sie, lie­be LeserInnen, sich im Selbstver­such an die­sem Experiment betei­li­gen möch­ten, wer­den Sie dies zu spü­ren bekom­men. In die­sem Katalog, der über 200 KünstlerInnen aus dem Netzwerk Bern zusam­men­ge­bracht hat, kön­nen wir die Qualität und den Zustand die­ses Berner Kunstnetz­wer­kes able­sen. Und das ist wahr­lich ein­ma­lig und sen­sa­tio­nell. Zudem ist die­se Ausgabe das erste «ensuite SPEZIAL» seit 20 Jahren.

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Aber es gibt noch mehr zu erken­nen: zum
Beispiel, dass sich kei­ne sub­ven­tio­nier­ten Kulturinstitutionen an die­sem Projekt beteiligt haben, kei­ne Galerien und selbst die Stadt Bern das Projekt abge­lehnt hat. Die Burgergemein­de, deren SachbearbeiterInnen seit vie­len Jahren in der Bundesstadt die bes­se­ren KulturversteherInnen sind und mehr an «Kultur & Kunst» glau­ben, auch mehr finan­zie­ren und ermög­li­chen als die eigent­li­chen städ­tischen Behörden, hat die Idee ver­stan­den. Nur des­we­gen hat sich auch der Kanton dar­an beteil­igt – der hält sich strikt an das sub­si­diä­re Prinzip, obschon im zwei­ten Absatz des eigenen Gesetzes die­se «Ausschliesslichkeit einer Mitfinanzierung einer ande­ren öffent­li­chen Behörde» aus­ge­he­belt ist. Der Kanton könn­te also selbst – tut es aber nicht. Das wäre zu viel der Verantwortlichkeit und Exponiertheit.

Und was bedeu­tet das? Einfach gesagt: Die öffent­li­chen Kultur- und Kunstverantwortlichen die­ser Stadt und des Kantons ver­trau­en den eige­nen KünstlerInnen nicht. Die Stadt Bern beharr­te sogar dar­auf, dass das Konzept von «Second Art» hät­te umge­schrie­ben wer­den müs­sen, falls sie sich trotz­dem betei­ligt hät­te.

So viel zum Thema «die Politik redet nicht in die Projekte von Kultur und Kunst». Kultur & Kunst müs­sen aber frei blei­ben – genau von die­ser Doktrin. Und jetzt kommt die eigent­lich wich­tig­ste und span­nend­ste, drit­te Erkenntnis von «Second Art»: Private, die Privatwirtschaft, KünstlerInnen und Freiwil­li­ge, GönnerInnen und ande­re Verrückte haben die­ses Projekt von Anfang an ver­standen und mit­ge­tra­gen. «Second Art» hat mehr mit Kultur und Kunst zu tun als die mei­sten teu­er durch öffent­li­che Gelder finan­zier­ten Kultur- oder Kunstprojekte. Es ist ein Projekt aus dem wah­ren Kulturschaffen, aus dem wahren Kunstschaffen her­aus – und es ist getra­gen von der Bevölkerung, von der Privatwirtschaft, und es schafft damit genau die­se Dialogplattform und Identitätsdefinition, die wir eigentlich poli­tisch mit den Kultursubventionen und Förderinitiativen schaf­fen woll­ten. Nehmt das, lie­be PolitikerInnen, ich rede seit über 20 Jahren genau davon.

Ich gehe sogar noch wei­ter: Was wir hier mit­er­le­ben, ist eine neue Bewegung in der Kultur und Kunst. Das Ghost-Festival war ein erster gros­ser Auftakt, und wir fin­den in «Second Art» die glei­chen MacherInnen und DenkerInnen wie­der. Das wird nicht das letz­te Projekt blei­ben – man spricht bereits von einer zwei­ten Ausgabe, ande­re Ideen sind bereits in den Denkgremien am Brodeln. Endlich emanzipie­ren sich die Kultur- und die Kunst-Szene und schaf­fen wie­der neue oder alte Freiräume.

Und genau das ist lustig-para­dox: Mit den Neukrea­tio­nen aus alter Kunst aus einer Zeit, wo die Kunst noch frei war, pro­du­ziert «Second Art» eine neue und wie­der­ge­fun­de­ne Freiheit. «Second Art» sind wir. Das hier ist ein grosses Signal, ein Aufbruch. Teilgenommen haben bis­her alle, die das ver­stan­den haben. Und ich weiss: Es wer­den noch vie­le mehr fol­gen.

www.secondart.ch
www.kulturmuseum.ch


Publiziert: ensuite SPEZIAL: Second Art 2022, November 2022