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Festival Spektakel der Klassiker

Von Fabienne Naegeli – Es ist wie­der soweit! Der Schweizer Kultursommer erreicht einen sei­ner Festival-Höhepunkte. Das Zürcher Theater Spektakel errich­tet auf der Landiwiese zum 34. Mal sei­ne Bühnen für natio­na­le und inter­na­tio­na­le Theater‑, Tanz- und Musikproduktionen. Einen Schwerpunkt bil­den die Klassiker des west­li­chen Theater‑, Musik- und Literaturkanons. Neben einer Bearbeitung von Shakespeares «Hamlet» und Peter Brooks Hindu-Epos-Verfilmung «Mahabharata» ist eine zeit­ge­nös­si­sche Adaption von August Strindbergs Tragödie «Fräulein Julie» zu sehen. Die bra­si­lia­ni­sche Regisseurin Christiane Jatahy ver­setzt die Liebesbeziehung zwi­schen der hoch­ad­li­gen Julie, wel­che den gesell­schaft­li­chen Normen ent­flie­hen will, und dem Diener Jean – der bei ihr Jelson heißt – ins heu­ti­ge Rio de Janeiro. Die wei­ße, ver­wöhn­te Oberschichtstochter ver­führt in «Julia», so der Titel des Stücks, den jun­gen, schwar­zen Gärtnersohn und Chauffeur des Vaters aus der Favela. Mit einer Mischung aus Live-Darstellung und Videofilm, bei der sich die Grenzen zwi­schen fik­ti­vem Spiel und Realität auf­zu­lö­sen schei­nen, kann Jatahy über Macht, Klassenunterschiede, das Oszillieren von Gefühlen, und über den Rassismus hin­ter den sozia­len Verhältnissen erzäh­len. Das kana­di­sche Oktett «L’Orchestre d’Hommes-Orchestres» begibt sich in sei­nem Musiktheaterstück «Cabaret bri­se-jour et aut­res mani­vel­les» auf die Spuren des Komponisten Kurt Weill. Von Berlin fol­gen sie ihm nach Paris und New York und ver­set­zen das Publikum mit sei­nen Liedern in die Zeit zwi­schen 1920 und 1950. Auf ihrer sur­re­al wir­ken­den Kuriositätenkabinett-Bühne wer­den Gegenstände wie Mülleimerdeckel, Besen und Rechenmaschinen zu Klangerzeugern, und auf das Klingeln des Telefons folgt jeweils ein neu­es Chanson. – Das Versprechen des Feldherrn Alexander des Großen gegen­über dem anti­ken Philosophen Diogenes, ihm jeden Wunsch zu erfül­len, beant­wor­te­te die­ser mit der ein­fa­chen Bitte: «Geh mir aus der Sonne». Die mit die­sem Zitat beti­tel­te israe­lisch-palä­sti­nen­si­sche Produktion von Ofira Henig & Ensemble befasst sich mit dem Thema der künst­le­ri­schen Unabhängigkeit. Es ist das erste Stück, wel­ches Henig aus­schließ­lich für eine Europa-Tournee insze­niert hat, nach­dem sie 2011 aus poli­ti­schen Gründen als künst­le­ri­sche Leiterin des Herzliya Ensembles in Israel ent­las­sen wur­de. Den Konflikt zwi­schen künst­le­ri­scher und per­sön­li­cher Freiheit sowie das Verhältnis von Kunstschaffenden zur Politik und Gesellschaft behan­delt sie einer­seits mit bio­gra­fi­schem und doku­men­ta­ri­schem Material, wel­ches sie auf einer Recherchereise zusam­men­ge­tra­gen hat, ande­rer­seits ver­wen­det sie histo­ri­sche Texte von KünstlerInnen-Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit dis­kri­mi­niert und aus­ge­grenzt wur­den, und deren Arbeiten in die­sem Spannungsfeld ent­stan­den sind. Da ist bei­spiels­wei­se der deut­sche Schriftsteller Heinrich Heine, den man wegen sei­ner poli­ti­schen Gesinnung und sei­ner jüdi­schen Herkunft ver­folg­te, oder der spa­ni­sche Autor Federico García Lorca, wel­cher auf­grund sei­ner gesell­schafts­kri­ti­schen Arbeiten und sei­ner Homosexualität ermor­det wur­de. Des Weiteren lässt Henig den unga­ri­schen Fotografen Robert Capa, den fran­zö­si­schen Philosophen Albert Camus, aber auch die deut­sche Filmschaffende des Dritten Reichs, Leni Riefenstahl, deren Werke wegen ihrer Beziehung zu Hitler in Deutschland nicht mehr gezeigt wer­den dür­fen, zu Wort kom­men. So begeg­nen sich in der Collage «Geh mir aus der Sonne» Menschen über Epochen und Jahrhunderte hin­weg, um über ihre Perspektiven auf die Welt zu berich­ten.

Foto: zVg.
ensuite, August 2013