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Faszinierender Urs Huber Uri (11.8.1946 bis 28.9.2021)

Von Lukas Vogelsang – Er hat sei­nen Artikel in der letz­ten ensuite-Ausgabe nicht mehr lesen kön­nen. Im Juli 2021 kam Urs Huber Uri zu uns in die Redaktion und woll­te eine Anzeige schal­ten. Es wäre an der Zeit, dass man ihn fin­de — ihn und sei­ne Geschichten. Es folg­te ein kur­zer, aber inten­si­ver Austausch, er such­te uns zwei­mal im Büro auf — Lukas Vogelsang besuch­te Urs am 9. September 2021 am Burenweg 42 in Zürich und schrieb anschlies­send einen Artikel für die Oktoberausgabe. Am 6. Oktober hör­ten wir durch Zufall, dass Urs am 28. September über­ra­schend gestor­ben sei. Immerhin: Wir haben Urs und sei­ne Geschichten noch gefun­den, aber noch viel zu wenig ver­stan­den. Er ist jetzt wei­ter­ge­reist. Ob ihn ein Ufo mit­ge­nom­men hat? Es wäre span­nend zu wis­sen, was er jetzt weiss. Hier also eine Art Nachruf – der eigent­lich kei­ner ist …

Zugegeben, wenn jemand von UFOs zu erzäh­len beginnt, läch­le ich inner­lich, fin­de die Idee abstrus, aber harm­los. Ich erin­ne­re mich dann an mei­ne Kindheit, als wir am Boden immer UFO-Spuren fan­den – in unse­rer Quartierstrasse gab es fünf sol­che Abdrücke und die Ausserirdischen hat­ten sich in den Gärten die­ser Häuser ver­steckt. Heute ist das eine lusti­ge Vorstellung. Gleichzeitig ist mein Interesse immer wach, denn: Könnte ja wirk­lich mal sein, dass irgend­was … Sind wir allein im Universum? Und wie erklä­ren wir all die­se Phänomene, die uns bei den Mayas in Mexiko, Guatemala oder in Ägypten rät­seln las­sen? Aber vor allem inter­es­siert mich jeweils, wie man auf sol­che Ideen kommt.

Und dann stand er ein­fach so da. Sein E‑Mail sen­de­te er um drei Uhr in der Nacht, er kom­me am Morgen um 9 Uhr bei mir im Büro vor­bei. Als ich das E‑Mail las, trank ich, noch etwas ange­schla­gen vom Vorabendprogramm, zu Hause mei­nen Frühstückkaffee. In aller Eile pil­ger­te ich also zu mei­nem noch unbe­kann­ten Gast ins Büro. Was für eine Begegnung. Urs Huber Uri, wie er sich nennt, ist nicht irgend­ein ver­wirr­ter Spinner, son­dern ein Vollblutkünstler, wie man ihn nur noch sehr sel­ten antrifft. Dahinter steckt aller­dings mehr: Er stu­dier­te 27 Jahre lang die Sprache der Hopi-Indianer, leb­te zum Teil mit und unter ihnen und schrieb ein Kunstwerk von einem Buch über sei­ne Erkenntnisse von sagen­haf­ten 925 Seiten – jede Seite bunt und indi­vi­du­ell im Layout. Das Universum von Urs Huber Uri ist gewal­tig, und egal, wel­che Theorien einem dar­aus gefal­len und wel­che nicht: Es führt ein roter Faden durch alles hin­durch, bringt uns einem grös­se­ren Ganzen näher und stellt die Fragen so, dass wir ins Stottern gera­ten. Sein immer­wäh­ren­der Untertitel zu sei­nen Arbeiten heisst ent­spre­chend auch schlicht: Urs Huber Uri erklärt fan­ta­sti­sche Realitäten. Und wie fan­ta­stisch die­se Welt ist!

Urs Huber Uri ist für mich vor allem eines: ein Künstler. Jede Begegnung, jedes Gespräch wird zu einem wun­der­lich far­bi­gen Dialog über Dinge, die wir zuvor nicht annä­hernd wahr­ge­nom­men oder ein­fach ver­ges­sen haben. Er ist ein Mensch, der durch sein Wesen all die vie­len ver­wun­der­li­chen Dinge sicht­bar macht, an denen wir täg­lich blind vor­bei­ge­hen. Da ist zum Beispiel schon nur der klei­ne Umstand, dass Urs Huber sei­nen rech­ten Arm in sei­ner Jugendzeit ver­lo­ren hat – und seit­her alle sei­ne Werke, sei­ne Arbeiten mit einer Hand aus­führt.

Geboren ist Urs Leo Eduard Huber am 11. August 1946 in Altdorf in Uri. Sein Grossvater, der Urner Arzt und Schriftsteller Eduard Renner, führ­te den klei­nen Urs in die Geheimnisse der Bergler ein, in die Sagenwelten und in die Welt der guten und bösen Geister und der Kobolde. Eduard Renner hat das Buch «Goldener Ring über Uri» geschrie­ben, ein Werk über Mythen und Legenden im alpi­nen Raum. Nach sei­nen Ausbildungsjahren arbei­te­te Urs Huber Uri an ver­schie­de­nen Projekten wie Feriensiedlungen, Schulhäuser, Kindergärten, Sportanlagen und Altersheimen als bau­lei­ten­der Architekt bis Ende 1976. 1977 gestal­te­te er meh­re­re Ruinen im Dorf Avengo (Tessin) um, wor­auf die­ses im Jahr 1982 den Wakker-Preis erhielt. Anschliessend arbei­te­te Urs Huber Uri als frei­schaf­fen­der Künstler. Neben Bildern ent­stan­den auch Skulpturen aus Eisen, Beton, Bronze und Aluminium. Als er 1983 auf dem Hauptbahnhofareal Zürich ein Haus reno­vie­ren konn­te, voll­ende­te er die­se Arbeit mit einem far­bi­gen Dach, wel­ches die Bahnfahrenden ab da begrüss­te. Bei die­sem Projekt invol­vier­te Urs Huber Uri eini­ge Künstlerfreunde und dar­aus ent­stand 1984 die Gesellschaft «Pro wer­ken­de Künstler» in Zürich. Seine fan­ta­sti­schen Realitäten waren ab 1986 in ver­schie­de­nen Ecken von Amerika in Ausstellungen zu sehen, und im Jahr 1987 zeig­te sie Urs Huber Uri anläss­lich einer Ausstellung in Zürich zusam­men mit Chagall, Dalí, Feininger, Klee, Hundertwasser, Picasso und Miró. 1988 prä­sen­tier­te die Nationalgalerie Grand Palais in Paris in «Machines des Temps» eines sei­ner mobi­len Wandbilder. 2009 erschien im Synergia-Verlag das über 4 Kilo schwe­re, oben genann­te Buch «Im Namen der Hopi» an der Frankfurter Buchmesse.

«Es ist ein unge­heu­res Panoptikum an Wissen und Bildern mit genia­len, gewag­ten und heik­len Betrachtungen, Reflexionen, Berechnungen und Theorien aus dem Universum und aus der Geschichte aus Tausenden von Jahren. ‹Im Namen der Hopi› ist eine Art Überlieferungslexikon zur Seelen-Geschichte der Menschheit.» (Jean-Marc Seiler)

Man muss nicht den Anspruch haben, einen Künstler oder eine Künstlerin auf Anhieb zu ver­ste­hen. Die Bilder von Urs Huber Uri sind in sei­ner Sprache Symbolbriefe. Er sagt: «Kunst besteht in der Erinnerung an die Götter.» Für Aussenstehende braucht es Zeit, sich in die­ses Universum ein­zu­ar­bei­ten. So sind sei­ne Bilder mehr zum Lesen und nicht nur zum Betrachten gedacht – wobei mir per­sön­lich das Betrachten wesent­lich ein­fa­cher fällt. Aber ich habe auch kei­ne Ahnung, wie die Hopi-Sprache aus­sieht, klingt, erin­ne­re mich aber an die Maya-Symbole, mit denen ich genau­so wenig anfan­gen kann. Faszinierend ist es aber alle­mal, und ich stel­le mir die ein­fa­che Frage: Wie wich­tig sind Theorien oder Wissen, wenn mich das Bild bewegt?

Urs Huber Uris Bilder sind bunt-fröh­li­che Bildinstallationen. Seine Kunst ist in der Tat nicht weit von Klee und Tinguely ent­fernt. Nach mei­nem Empfinden ist der Wissenshintergrund aber wesent­lich tie­fer, die Systematik in den Bildern eben eine Sprache und das Bild eigent­lich ein Text. Diese Codes zu ent­zif­fern, scheint mir aller­dings ein wei­te­res Kunstwerk zu sein – oder anders­rum: So invol­viert Urs Huber Uri die BetrachterInnen auto­ma­tisch in eine akti­ve Teilhabe einer Erzählung.

Die Sprache der Hopi, so wie Urs Huber Uri das in sei­nem 4‑kg-Werk beschriebt, ist älter als unser Sonnensystem. Wer sich das vor­stel­len kann, merkt, wie kom­plex die­se Theorie ist. Wir kom­men auf dem Weg zu Lichtenergie, Photonenmaterie und kön­nen durch die­se Substanzen durch die Zeit hin­durch­se­hen. Urs Huber Uri meint, dass es jetzt unbe­dingt an der Zeit sei, die Menschen wach­zu­rüt­teln. Und damit hat er ja nicht unrecht, denn die momen­ta­ne Überforderung des Menschseins zeigt sich an alle Ecken und Enden. Wer mit sei­ner Hopi-Theorie Mühe hat, kann sich gut mal vor­stel­len, wie das damals bei den Mayas oder den alten Völkern wohl geklun­gen haben mag. War das alles nur falsch? Damals leb­ten eini­ge Völker län­ger als wir. Sind also unse­re neu­en Götter heu­te bes­ser als die dama­li­gen? Oder gar die glei­chen?

Und Urs Huber Uri ist nicht allein mit dem Studium der alten Hopi-Sprache. Aber vie­le sind es nicht, die sich pro­fes­sio­nell mit die­sen Schriftzeichen aus­ein­an­der­set­zen. Schlimm sei­en eigent­lich nur jene, die mein­ten, Esoterik sei Mist, meint Urs. Esoterik sei die nach innen gerich­te­te Lehre – das kön­ne so nicht wirk­lich falsch sein. Aber Urs Huber Uri ist egal, ob die Menschen sei­ne Theorien glau­ben oder nicht. Auch ob sei­ne Bilder ver­stan­den wer­den, ist so weit egal. Er bie­tet sei­ne Werke, sein Wissen an für jene, die es ver­ste­hen.

Wer Lust hat, in das Universum von Urs Huber Uri ein­zu­tre­ten, kann mal die Filmchen auf YouTube anse­hen, die frei zugäng­lich sind. Oder aber man tritt in Kontakt mit Urs Huber Uri – ein Spaziergang am Abend zum Skulpturengarten könn­te zu einer net­ten Überraschung wer­den.

Urs Huber Uri
Künstler und Architekt
www.urshuberuri.ch
YouTube: «Im Namen der Hopi»

Buch: Im Namen der Hopi
ISBN: 978–3‑939272–38‑0
www.synergia-auslieferung.de

 

Fotos: © Lukas Vogelsang am 9. September 2021 in Zürich.