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Faschismus ante por­tas

By Nicolas Bollinger

«Von einer aku­ten Bedrohung der demo­kra­ti­schen Republik kann natür­lich kei­nes­wegs gespro­chen wer­den. Schon weil es der Reaktion an einem ideo­lo­gi­schen Unterbau man­gelt. […] Kameraden! Solange es einen repu­bli­ka­ni­schen Schutzverband gibt, und solan­ge ich hier die Ehre habe, Vorsitzender der hie­si­gen Ortsgruppe zu sein, solan­ge kann die Republik ruhig schla­fen!»

Verunmöglichter Widerstand

Es ist exakt die­ses Selbstverständnis, dass das blos­se eige­ne Vorhandensein und nicht kon­kre­tes Handeln die ange­streb­ten poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ziele errei­chen lässt. Dieses Verständnis wird der sich als demo­kra­tisch ver­ste­hen­den Öffentlichkeit schliess­lich zum Verhängnis wer­den; die völ­li­ge Unfähigkeit, dem Feind etwas ent­ge­gen­zu­set­zen.

1930 in einer süd­deut­schen Kleinstadt. Während die Faschisten einen deut­schen Tag bege­hen wol­len, hat der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche «repu­bli­ka­ni­sche Schutzverband» für den sel­ben Abend im sel­ben Lokal eine «ita­lie­ni­sche Nacht» geplant. Statt sich jedoch mit ver­ein­ten Kräften der brau­nen Bedrohung ent­ge­gen­zu­stel­len, läh­men sich die Republikaner jedoch nur gegen­sei­tig durch inter­ne Streitereien und ideo­lo­gi­sche Grabenkämpfe. Die Gruppe ent­larvt sich dabei als gesell­schaft­li­cher Mikrokosmos, in wel­chem das stu­re Beharren auf der Richtigkeit der eige­nen Position jeg­li­chen Konsens ver­un­mög­licht.

Martin, der jun­ge idea­li­sti­sche Klassenkämpfer plä­diert für bewaff­ne­ten Widerstand, doch sein Anliegen ver­hallt unge­hört. Karl, der Musiker, hält sich als Künstler für intel­lek­tu­ell über­le­gen und sorgt inner­halb der Gruppe nur durch sei­ne zahl­rei­chen Frauengeschichten für Aufsehen. Der repu­bli­ka­ni­sche Stadtrat Alfons ent­puppt sich als Spiesser, der in aller Öffentlichkeit sei­ne Frau gän­gelt und bloss­stellt und durch heim­li­che Landkäufe Zweifel an sei­ner mar­xi­sti­schen Gesinnung auf­kom­men lässt. Die unter sei­ner Schirmherrschaft ste­hen­de ita­lie­ni­sche Nacht ver­kommt zum seich­ten Unterhaltungsabend, in des­sen Verlauf die Gruppe sich voll­ends ver­kracht. Die Faschisten haben das Lokal der­weil längst umzin­gelt.

Licht und Schatten

In sei­nem 1931 urauf­ge­führ­ten Volksstück „Italienische Nacht“ the­ma­ti­sier­te Ödön von Horváth die poli­ti­schen Verhältnisse der spä­ten Weimarer Republik. Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten, einen kri­ti­schen Bezug zur Gegenwart her­zu­stel­len, böte die Vorlage jeden­falls zuhauf. Regisseurin Karoline Kunz hat dar­auf aller­dings ver­zich­tet und insze­niert ihre Version sehr nahe an der Originalfassung. Ob die­se Entscheidung rich­tig war, ist frag­lich, ist die Aufführung doch vor lang­at­mi­gen Passagen nicht gefeit. Vielleicht ist das der Werktreue oder dem weit­ge­hen­den Verzicht auf grös­se­re insze­na­to­ri­sche Kniffe geschul­det.

Die schau­spie­le­ri­schen Leistungen in die­sem Diplomprojekt des Bachelors Theater, Vertiefung Schauspiel, der Zürcher Hochschule der Künste sind jedoch durch­ge­hend her­vor­ra­gend. Felix Utting ver­kör­pert den Stadtrat Alfons Ammetsberger mit einer nahe­zu dämo­nisch wir­ken­den Präsenz. Doch auch das Kollektiv über­zeugt: Die repu­bli­ka­ni­schen Streitereien wäh­rend des Unterhaltungsabends wer­den in Form einer exzel­lent cho­reo­gra­fier­ten Gruppenleistung als Maskenspiel insze­niert.

Was an die­sem Abend auf der Bühne A des Theaters der Künste gezeigt wur­de, ver­moch­te inhalt­lich zwar nicht auf der gan­zen Linie über­zeu­gen, ein erst­klas­si­ges Schauspiel war es jedoch zwei­fel­los.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/italienische-nacht/