Explodierende Innereien

Von

|

Drucken Drucken

Von Belinda Meier – Was ist Wut? Woher kommt sie? Wie äus­sert sie sich? Welche Farbe hat sie? Diese und wei­te­re der Berner Bevölkerung in Interviews gestell­te Fragen, Antworten dar­auf eben­so wie Texte zur Wut, wur­den zu einem Stück ver­ar­bei­tet: Explodierende Innereien.

Wut, die­se sehr hef­ti­ge Emotion, die wir alle ken­nen, löst oft­mals impul­si­ve, unkon­trol­lier­te und aggres­si­ve Reaktionen aus. Sie, ihr Ausdruck, Hintergrund und Ursprung fun­gier­ten als Schwerpunktthema der dies­jäh­ri­gen Berner Biennale, die vom 10. bis 18. September statt­fand. Das von der Regisseurin Katharina Vischer im Schlachthaus Theater urauf­ge­führ­te Stück «Explodierende Innereien» zeig­te auf­ein­an­der fol­gen­de, sich über­schnei­den­de und par­al­lel ablau­fen­de Interaktionsszenen. Allen gemein: Sie ver­deut­lich­ten die unter­schied­li­chen Ausprägungen von Wut, und gin­gen ihrem Ursprung auf den Grund. Gespielt wur­den die Szenen von zwei SchauspielerInnen (Michaela Wendt, Armin Kopp), drei jugend­li­chen Amateuren (Julia Geiser, Gian Joray, Jacqueline Schnyder) und einer Schülergruppe. Die Texte sind zum einen von einer Schülergruppe, zum ande­ren von Sandra Künzi ver­fasst wor­den.

Szenencollage der Wut Ein jün­ge­rer Mann buhlt um eine etwas älte­re Frau. Sie weist ihn zurück mit der Begründung, dass sie zu alt für ihn sei. Er bleibt hart­näckig, ver­sucht immer wie­der, ihre Nähe zu gewin­nen, bleibt jedoch erfolg­los. Schliesslich machen ihn sein Misserfolg und der dadurch auf­kei­men­de Frust wütend. Ein Mädchen glaubt, ihre beste Freundin habe ihr Tagebuch gele­sen und auf face­book ver­öf­fent­licht. Sie stellt sie zur Rede, doch die Freundin weist die Anschuldigung schockiert von sich. Das Resultat der Auseinandersetzung: Das eine Mädchen ist unglück­lich, fühlt sich ent­blösst und hin­ter­gan­gen; das ande­re sieht sich zu Unrecht beschul­digt, ist zunächst ohn­mäch­tig, dann macht sich Wut bemerk­bar, die in schal­len­des und unkon­trol­lier­tes Gelächter über­geht. Zwei Kletterer befin­den sich an einer senk­rech­ten Felswand. Der eine ist geüb­ter als der ande­re, den auf ein­mal die Angst befällt. Er fin­det kei­ne geeig­ne­te Griffstelle mehr. Sein Kletterpartner ver­sucht alles, um ihn zu beru­hi­gen, fin­det jedoch kein Gehör. Enttäuschung über die vom Kollegen ver­mas­sel­te Klettertour macht sich breit. Eine Gruppe Schauspieler übt eine Szene, in der ein Chef sei­nem Angestellten mit­teilt, dass er kei­ne Boni erhal­ten wer­de. Die Rolle des Chefs bleibt dabei stets gleich besetzt, wäh­rend­dem sich vier Schauspieler in der Rolle des Mitarbeiters üben, und diver­se Handlungsweisen aus­pro­bie­ren. Die Szene wird immer und immer wie­der geübt. Der Mitarbeiter reagiert ein­mal ver­zwei­felt, dann wütend, frech, auf­be­geh­rend, und schliess­lich trot­zig. Die Schauspieler rei­zen die Reaktionsmöglichkeiten so sehr aus, dass dem Schauspieler in der Chef-Rolle der Kragen platzt. Sein Frust und sei­ne Enttäuschung dar­über, nicht pro­duk­tiv Theater spie­len zu kön­nen, lässt ihn in Wut ent­bren­nen, die sich in lau­tem Geschrei, Beleidigungen und Flüchen äus­sert.

Wut erfor­dert Dynamik Diese und vie­le wei­te­re Szenen wer­den immer wie­der von klei­nen Intermezzi einer Schülergruppe durch­bro­chen. In klei­nen Szenen aus ihrem Alltag zei­gen sie mit viel Körpereinsatz, Sätzen und Wortfetzen, wie Wut ent­steht, was sie aus­löst und bewirkt. Das Szenenspiel ergibt einen rasan­ten Rhythmus, indem die Szenen der Schüler mit jenen der Schauspieler und jugend­li­chen Amateure gekonnt abwech­seln, inein­an­der hin­e­inflies­sen, par­al­lel ablau­fen, oder sich zu einer gemein­sa­men Szene zusam­men­schlies­sen. Dadurch wird eine Dynamik erreicht, die dem Stück Spannung, Schwung und Lebendigkeit ver­leiht.

Wieso Wut? Das Publikum nimmt Wut wahr, die durch Demütigung, Unfairness, fal­sche Anschuldigungen und Abweisungen ent­steht. Die Wut wird dabei ver­bal mit Geschrei, Flüchen und Beleidigungen aus­ge­drückt. Wut kann aber auch phy­si­sche Reaktionen wie Zittern, Schwitzen, Erröten oder Frustessen aus­lö­sen. Oder aber: Wut kann sich in Gewalt gegen sich oder ande­re aus­drücken. Und: Wut weckt Rachegelüste. Wut als emo­tio­na­le Erregung, die jedem Menschen eigen ist, ken­nen wir alle. Nicht jede/r reagiert gleich in wüten­dem Zustand. Ähnlichkeiten, bzw. immer wie­der auf­tre­ten­de Reaktionsmuster sind aber alle­mal erkenn­bar. Meist sind es Ungerechtigkeiten, die Wut erzeu­gen. Oft ist es auch so, dass einen nahe­ste­hen­de Personen eher wütend machen als Fremde. Denn: Die emo­tio­na­le Bindung ist mit Erwartungen an, und Vorstellungen von den ande­ren gekop­pelt. Werden die­se Erwartungen in irgend­ei­ner Form ent­täuscht, tut es dop­pelt so weh. Die Enttäuschung und Wut, die sich äus­sert, ist dem­entspre­chend gross.

Wir und die Wut Explodierende Innereien kon­fron­tiert uns auf ehr­li­che und direk­te Art und Weise – und mit einem Schuss Humor – mit der Wut, die uns allen eigen ist. Wir alle ken­nen sie, haben sie gefühlt oder durch ande­re erlebt. Regisseurin Katharina Vischer hat mit die­ser Szenencollage, oder «Theaterrecherche», wie das Stück im Untertitel genannt wird, eine geeig­ne­te Form gefun­den, um sich dem Thema gezielt zu nähern. Sind wir nach dem Theaterbesuch schlau­er? Nein. Müssen wir das denn sein? Nein. Was wir mit­neh­men, ist die Gelassenheit, dass es ande­ren mit der Wut ähn­lich geht, dass Wut mensch­lich ist, und dass wir in einer Gesellschaft der Normen und Knigge-Diktate auch mal wütend sein dür­fen, ohne uns anschlies­send gleich als schwa­che Charaktere füh­len zu müs­sen. Denn manch­mal tut es ein­fach gut, Dampf abzu­las­sen – mit Mass …

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2010

 

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo