«Ethan und Joel Coen haben mir vie­le Freiheiten gelas­sen»

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Von Sarah Elena Schwerzmann, London – Der in Filmkreisen rela­tiv unbe­kann­te Schauspieler Michael Stuhlbarg ver­kör­pert in «A Serious Man», dem jüng­sten Werk der Regisseure Ethan und Joel Coen, einen jüdi­schen Familienvater im Mittleren Westen der 60er-Jahre, der durch eine Verknüpfung unglück­li­cher Begebenheiten auf eine aus­ge­wach­se­ne Lebenskrise zusteu­ert.

Michael Stuhlbarg, Sie sind im Filmgeschäft ein rela­tiv unbe­kann­ter Name. In «A Serious Man» von den Coens über­neh­men Sie nun zum ersten Mal in einem Film die Hauptrolle. Hatten Sie je Bedenken?

Ich war zu Beginn des Projekts zuge­ge­be­ner­mas­sen unsi­cher. Besonders, weil sich Ethan und Joel Coen lan­ge auch nicht im Klaren zu sein schie­nen, ob sie die­se Rolle mit einem bekann­ten Namen oder einem neu­en Gesicht beset­zen wol­len. Die Coens sind dann zum Schluss gekom­men, dass das Publikum die Geschichte nur als glaub­wür­dig emp­fin­den wird, wenn sie von Menschen vor­ge­tra­gen wird, die nicht durch ande­re Filmprojekte oder pri­va­te Eskapaden vor­be­la­stet sind.

Haben Sie sich vor Beginn des Drehs mit den Coens über das Konzept eines ernst­haf­ten Mannes («serious man») unter­hal­ten?

Nein, dar­über haben wir nicht sehr aus­führ­lich gespro­chen. Ich glau­be, das wäre auch nicht gut gewe­sen, weil mei­ne Figur Larry im Film ver­sucht, her­aus­zu­fin­den, was einen ernst­haf­ten Mann eigent­lich genau aus­macht. Den Coens war es dar­um wich­tig, dass ich mich auch als Schauspieler auf die Suche bege­ben muss­te. Larry hört die­se Bezeichnung erst, als er am Trauergottesdienst sei­nes Intimfeindes Sy Ableman teil­nimmt und der Rabbi die­sen als ernst­haf­ten Mann bezeich­net. Das löst etwas in ihm aus, und er fängt an, dar­über nach­zu­den­ken, wie er sein Leben eigent­lich lebt und ob er in den Augen sei­ner Gemeinschaft als ernst­haf­ter Mann ange­se­hen wird.

Haben sie mit Ihnen dafür über die Botschaft des Filmes gespro­chen?

Nein, auch dar­über haben wir nicht gespro­chen. Ich glau­be, Ethan und Joel Coen haben ver­sucht, das Leitmotiv und die ver­schie­de­nen Konzepte im Film so offen zu las­sen, dass sich jeder sei­ne eige­ne Interpretation zurecht­le­gen kann. Jeder Mensch, der den Film sehen wird, geht auf Grund sei­ner Lebenserfahrung und sei­nes kul­tu­rel­len Hintergrundes anders an das Thema her­an, folg­lich wird auch jeder eine ande­re Botschaft im Film sehen. Das ist auch das Ziel der Coens.

Wie hat die Zusammenarbeit mit den bei­den Regisseuren funk­tio­niert?

Es war sehr span­nend. Sobald ich erfah­ren habe, dass ich den Part über­neh­men wer­de habe ich mich inten­siv mit der Figur aus­ein­an­der­ge­setzt, und dann haben sich Ethan und Joel Zeit für mich genom­men, um mei­ne Fragen zu beant­wor­ten. Einige davon konn­ten sie mir nicht beant­wor­ten, also durf­te ich mir mei­ne eige­nen Antworten zusam­men­rei­men.

Das klingt, als hät­te man Ihnen sehr viel Freiraum gege­ben?

Ja, auf jeden Fall. Die Coen-Brüder ver­brin­gen viel Zeit damit, die geeig­ne­te Person für eine Rolle zu fin­den. Sobald sie die Figur aber mit dem für sie rich­ti­gen Schauspieler besetzt haben, las­sen sie den mehr oder weni­ger in Ruhe, damit er sei­ne Arbeit machen kann. Das war bei mir nicht anders. Genau die­se Herangehensweise ist mei­ner Meinung nach auch Teil ihres Erfolgsrezeptes.

Gab es Momente, in denen Sie sich ver­lo­ren gefühlt haben und sich mehr von den Regisseuren gewünscht hät­ten?

Nein, ich habe die­sen Spielraum als sehr gross­zü­gig emp­fun­den. Es hät­te sein kön­nen, dass ich mich an einem ande­ren Filmset allei­ne gelas­sen gefühlt hät­te, aber dadurch dass die Atmosphäre beim Dreh sehr ent­spannt war, fand ich es eher befrei­end. Die Coens arbei­ten seit ihrem ersten Film, das heisst seit mehr als zwölf Jahren, mit dem­sel­ben Team zusam­men. Dadurch sind alle unglaub­lich gut auf­ein­an­der ein­ge­spielt, und die gan­zen Abläufe funk­tio­nie­ren rei­bungs­los. Es gab kei­ne Stresssituationen, und wir haben den Film sogar eine Woche als frü­her abge­dreht.

Ethan und Joel Coen haben vie­le Rollen mit zum Teil sehr uner­fah­re­nen loka­len Schauspielern besetzt. War die Zusammenarbeit für Sie eine Herausforderung?

Nein, es gab kei­ne Probleme. Die mei­sten Schauspieler waren aus Minneapolis und Umgebung, und sie waren zwar natio­nal rela­tiv unbe­kannt, hat­ten aber schon klei­ne­re Rollen beim loka­len Fernsehen gespielt. Die ein­zi­gen Beiden, die bis zu die­sem Zeitpunkt nur Schultheater gespielt hat­ten, waren die bei­den Schauspieler, die mei­ne Kinder ver­kör­pern. Sie waren sich aber unglaub­lich sicher, was ihre Rollen anging und konn­ten ihre Figuren sehr authen­tisch spie­len. Ich war sehr posi­tiv über­rascht.

Würden Sie die Familie Gopnik als typisch jüdi­sche Durchschnittsfamilie bezeich­nen?

Ich wür­de die­se Familie nicht unbe­dingt als typisch jüdisch bezeich­nen, son­dern ein­fach als ame­ri­ka­ni­sche Durchschnittsfamilie der 60er-Jahre. Judith Gopnik, mei­ne Frau im Film, ist die reli­giö­se­re von bei­den Elternteilen. Sie ist die trei­ben­de Kraft, wenn es um die reli­giö­se Erziehung der Kinder geht. Die Kinder woh­nen zwar noch zuhau­se, sind aber mit ihrem eige­nen Leben beschäf­tigt. Danny muss sich auf sei­ne Bar Mizwa vor­be­rei­ten, inter­es­siert sich aber eigent­lich in erster Linie lei­der nur für Drogen. Und mei­ne Tochter Sarah ist nur damit beschäf­tigt ihr Haar zu waschen und mit ihren Freunden abzu­hän­gen.

Wo bleibt in Ihrer Beschreibung Larry, der Mann des Hauses?

Larry ist total über­for­dert. Alle schei­nen ihren eige­nen Weg zu gehen und ihre eige­nen Probleme zu haben, und Larry ver­sucht dabei die Übersicht zu behal­ten, wer wo ist und was jeder gera­de so macht. Jedes Mitglied in der Familie lebt in sei­ner eige­nen Welt. Sie erin­nern mich an Satelliten, die um den­sel­ben Mittelpunkt krei­sen, sich aber nie wirk­lich nahe­kom­men.

Und dann tritt der schlei­mi­ge Sy Ableman ins Leben von Larrys Frau Judith und wirft damit alle aus der Bahn. Wie wür­den Sie die Beziehung der bei­den beschrei­ben?

Sy Ableman ist einer die­ser Menschen, die einen Raum nur durch ihre Präsenz unter ihre Kontrolle brin­gen. Larry dage­gen ist ein Mann, der die Energie bean­sprucht, die in einem Raum ent­steht. Larry reagiert, im Gegensatz zu Sy, der agiert. Wenn die Beiden im Film auf­ein­an­der­tref­fen, dann ver­hal­ten sich, als wären sie ein­an­der schein­bar zuge­tan, aber eigent­lich ver­folgt Sy nur sei­ne Ziele. Larry hin­ge­gen ver­sucht, zu ver­ste­hen, was mit ihm pas­siert.

«A Serious Man» wur­de bis­her von der jüdi­schen Gemeinschaft in Amerika sehr gut auf­ge­nom­men. Hat nie­mand gewis­se Darstellungen als ste­reo­ty­pi­siert emp­fun­den?

Nein, das glau­be ich nicht. Ethan und Joel Coen arbei­ten ihre Figuren sehr lie­be­voll aus und schaf­fen es dabei immer, ein Element von Übermut und Spass mit ein­zu­brin­gen. Das führt dazu, dass selbst die­se ganz arche­ty­pi­schen Figuren nicht unbe­dingt als steif und lang­wei­lig daher­kom­men. Das ist eine beson­de­re Eigenschaft der Coen-Filme.

Sie haben in Ihrer kur­zen Filmkarriere auch schon mit zwei ande­ren renom­mier­ten Filmemachern gear­bei­tet. Wie hat sich die Arbeitsweise Ridley Scotts und Martin Scorseses von der von Ethan und Joel Coen unter­schie­den?

Die Herangehensweise war bei Beiden ganz anders. Für Ridley Scott geht es dar­um, bei sei­nen Schauspielern Automatismen zu schaf­fen. Er lässt einen eine Szene so oft wie­der­ho­len, bis man ver­gisst, was man eigent­lich zu tun hat. Ich habe eine Woche in Washington D.C. ver­bracht, um «Body Of Lies» (deut­scher Titel: «Der Mann, der nie­mals leb­te») mit Leonardo DiCaprio, des­sen Anwalt ich spie­le, zu dre­hen.

Können Sie uns ein kon­kre­tes Beispiel geben?

In einer Szene spre­che ich am Mobiltelefon mit Mister DiCaprio, ich habe eine Aktentasche in der einen Hand und balan­cie­re in der ande­ren einen Stapel Bücher, und ich muss­te mich dar­auf kon­zen­trie­ren, dass mir nichts auf den Boden fällt. Gleichzeitig soll­te ich mich durch eine Drehtür quet­schen und etwa 50 bis 60 Statisten, die ent­we­der aus dem Gebäude her­aus­kom­men oder hin­ein­ge­hen, aus­wei­chen. Es war, als wür­de man ver­su­chen, eine Million Dinge gleich­zei­tig zu machen. Wir haben die Szene etwa 17 Mal wie­der­holt, bis ich alle Abläufe so weit auto­ma­ti­siert hat­te, dass ich mich voll und ganz auf das Gespräch kon­zen­trie­ren konn­te. Es war ein gutes und befrei­en­des Gefühl.

Wie war es mit Martin Scorsese?

Mit Mister Scorsese ist alles sehr prak­tisch und inten­siv. Er ist unglaub­lich aktiv und hat genaue Vorstellungen davon, wie die Dynamik der Szene sein soll. Er spricht sehr schnell und schnippt dau­ernd mit den Fingern, wenn er einem Anweisungen gibt. Wir haben alle Szenen auf ganz vie­le ver­schie­de­ne Arten gespielt. Ihm geht es dar­um, zu expe­ri­men­tie­ren und spie­le­risch zu arbei­ten.

Was genau haben Sie mit Scorsese gedreht?

Es war ein Werbefilm für die Champagner-Marke Cava Freixenet. Die haben ihm einen Haufen Geld gege­ben und gemeint: «Mach damit, was immer du willst.» Das hat er sich natür­lich nicht zwei­mal sagen las­sen, und hat aus sei­nem Fundus von Hitchcock-Memorabilia drei Seiten eines Drehbuches her­vor­ge­zau­bert, die der Meister selbst nie ver­filmt hat­te. Er hat das Material auf eine Art und Weise insze­niert, von der er das Gefühl hat­te, Hitchcock hät­te es auf dem Höhepunkt sei­nes Schaffens genau­so gedreht. Es war eine sehr span­nen­de Erfahrung.

Film: «A Serious Man» von Ethan und Joel Coen, mit Michael Stuhlbarg u.a.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2010

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