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Es gibt kei­nen Plan bei einem GAU

Von Lukas Vogelsang – «77 Tage sind nicht genug!» – Film vom Andreas Berger: Das Thema ist aktu­ell wie zuvor: Während Fukushima noch immer unsi­cher ist und wie­der neue Meldungen pro­du­ziert, die Occupy-Aktivisten ihre Lager über­all in Städten auf­schla­gen – oder auf­zu­schla­gen ver­su­chen –, erin­nern wir uns an die AKW-GegnerInnen, wel­che 77 Tage lang die stadt­ber­ner Aufmerksamkeit auf sich zie­hen konn­ten. Man könn­te mei­nen, das Anti-AKW-Camp in Bern wäre ein Vorreiter der Occupy-Bewegung gewe­sen. Der Filmemacher Andreas Berger hat die Berner Bewegung ein­drück­lich und bewe­gend in einer Doku fest­ge­hal­ten.

Eines gleich vor­weg: Der Film wur­de aus der Sympathisanten-Sicht gefilmt – die «ande­re» Seite woll­te nicht wirk­lich koope­rie­ren. Und wahr­schein­lich hät­te man auch nicht den rich­ti­gen Zugang gefun­den: Das Heu liegt in der AKW-Debatte auf zwei ver­schie­de­nen Bühnen, ein Dialog kann kaum statt­fin­den. Obwohl, wenn man den Film ansieht, durch­aus die einen oder ande­ren Hirndrehungen bei den AKW-Befürwortern wie auch bei den Gegnern sicht­bar wer­den.

Andreas Berger hat hier einen wich­ti­gen Moment fil­misch fest­hal­ten kön­nen und hat wirk­lich gutes Material so zusam­men­ge­setzt, dass ein fai­res Bild ent­stan­den ist. Eine sol­che Bewegung, und vor allem eine poli­ti­sche Bewegung, der sich sehr vie­le jun­ge Menschen ange­schlos­sen haben, hat es seit vie­len Jahren nicht mehr gege­ben. An einem Podiumsgespräch in Bern über Jugendkultur sprach Prof. Dr. Kurt Imhof vom Soziologischen Institut, Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft, denn auch von einem Kniefall, wenn sich jun­ge Menschen poli­tisch wie­der ein­mal enga­gie­ren, und sich dazu Gedanken machen – in wel­cher Form auch immer. Doch das Glück von Bern fand kein wirk­lich poli­ti­sches Ohr. Zwar war die media­le Aufmerksamkeit gross, doch zum Schluss sieg­te weder die Vernunft, noch die Politik, noch die Philosophie oder eine Vision – geschwei­ge denn die Moral. Das kommt sehr schön zum Ausdruck, wenn Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, dar­über spricht, dass es kei­nen Plan für den SuperGAU gäbe. «Die Menschen wer­den sich sel­ber zu hel­fen wis­sen.» Schönes Statement, das viel Vertrauen in die Politik ver­mit­telt, und man fragt sich unwei­ger­lich nach dem Film, wozu denn die Behörden auf­ge­baut wur­den, oder wes­sen Handlanger sie gewor­den sind. So auch anläss­lich der Räumung des Camps vor dem BKW-Gebäude, wel­che einer­seits in einer Nacht- und Nebelaktion durch­ge­führt wer­den muss­te und dies erst noch, bevor eine offi­zi­el­le Entscheidung im Stadtparlament gefällt wor­den war. Bern ist sich des Kapitals der eige­nen EinwohnerInnen nicht im Klaren, das wis­sen wir schon lan­ge. Eine Gesellschaft, die mit­denkt und aktiv mit­ge­stal­ten will, ist hier nicht erwünscht. Die Politik zieht sich lie­ber in die Sandsteinburgen zurück und denkt über Nationalratskandidaturen nach, und wie man noch bes­ser Punkte für das Parteiprogramm gewin­nen könn­te. Dabei: Dass Mühleberg nicht sicher ist, wur­de in die­sem Jahr mehr­fach belegt und bewie­sen. Auch von ganz unpar­tei­ischen Institutionen.

Im Film kom­men die­se ver­schie­de­nen Welten sehr schön zum Ausdruck. Da sind die Politikergespräche mit inter­es­san­ten, manch­mal auch hoff­nungs­lo­sen Antworten. Da sind die Mühleberg-Verantwortlichen, die sich nicht wirk­lich als von die­ser Welt sehen, oder nicht ver­ste­hen kön­nen, dass Zweifel über die Sicherheit im Umgang mit Atom die Gesellschaft bewe­gen, die alles run­ter­spie­len. Und da sind natür­lich die Camp-AktivistInnen, die an etwas glau­ben. Es ist erstaun­lich, wie dumm sich die Befürworter von AKWs mit ihren Argumentationen ver­hal­ten haben, wäh­rend die Katastrophe von Fukushima par­al­lel zeig­te, dass die Sicherheit nicht gege­ben ist. Mich hat immer die Aussage von BKW-Chef Kurt Rohrbach beein­druckt (nicht im Film), der im vol­len Ernst auf die Frage: «Wie lan­ge müs­sen Sie Mühleberg betrei­ben, um die­se 30 Millionen Franken wie­der rein­zu­ho­len?» mein­te, «So genau haben wir das nicht berech­net. Es ist aber sicher weni­ger als ein Jahr.» [10 Millionen kosten die Investitionen in die Sicherheit – 20 Millionen soll der Stromausfall und Einkauf von Strom kosten. Anm. Redaktion].

77 Tage sind nicht genug. Wer den Film gese­hen hat, weiss, dass aus den akti­ven 77 Tagen, mit die­sem Dokumentarfilm, mit der Occupy-Bewegung, und all den wei­te­ren Zusammenbrüchen und Widerständen in der Welt, noch vie­le Tage fol­gen wer­den. All jene, die gros­se Töne von sich gaben, haben in den letz­ten Monaten mehr ver­lo­ren, als jene der Bewegungen. Schaut den Film und lernt aus der Zeit.

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2011