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Entlohnung, die

Von Frank E.P. Dievernich – Lexikon der erklä­rungs­be­dürf­ti­gen Alltagsphänomene (XXXII): Wenn es um Mitarbeiterkommunikation, um Zielvereinbarungen und lei­stungs­ge­rech­te Bewertung und Entlohnung geht, dann befin­den sich vie­le Unternehmen noch immer in der Steinzeit. Um auf den Weg in die Moderne zu gelan­gen glau­ben Unternehmen, dass es rele­vant sei, Zielvereinbarungen und ent­spre­chen­de Mitarbeitergespräche ein­zu­füh­ren. So ist aus den unter­schied­lich­sten Befragungen zum Thema bekannt, dass immer noch, in Abhängigkeit der jewei­li­gen Quelle, ca. 50% der Unternehmen nicht über sol­che Instrumente und Prozesse ver­fü­gen. Es gibt also offen­sicht­lich noch genü­gend Aufklärungsbedarf. Unternehmensberater dür­fen sich freu­en. Dabei wird an den Grenzen von Unternehmen der frei­en Marktwirtschaft nicht Halt gemacht, son­dern gleich alle mög­li­chen ande­ren Organisationen, wie z.B. Ministerien, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten in einen sol­chen Sog inte­griert. Ein genaue­rer Blick zeigt, und dies für alle Organisationstypen gleich, dass damit weder die jewei­li­ge Organisation noch die Mitarbeitenden in eine moder­ne Zukunft geführt wer­den. Viel eher wird der men­ta­le Zustand der Steinzeit im Gewand der Moderne mani­fe­stiert. Zielvereinbarungsgespräche und die dar­an gekop­pel­ten varia­blen Vergütungsbestandteile basie­ren auf dem Glauben, dass der Mensch über exter­ne Anreize moti­viert wer­den kann – und dass somit eine Steuerung sei­ner Leistungserbringungen mög­lich ist, respek­ti­ve dadurch gesi­chert wer­den kann. Unternehmen, die nun sol­che Instrumente ein­füh­ren, zei­gen gleich­zei­tig deren tri­via­les Menschenbild und signa­li­sie­ren den Mitarbeitenden, dass sie, wol­len sie inner­halb der Organisationsgrenze als erfolg­reich gel­ten, sich den Zielen zuwen­den müs­sen, die mit Ihnen aus­ge­han­delt wer­den. Sehen wir mal von pre­kä­ren Arbeitsverhältnissen ab, bei denen jeder Franken oder Euro rele­vant ist, um sein und mei­stens das Leben der näch­sten Angehörigen zu sichern, oder von jenen auf Massenoutput aus­ge­rich­te­ten Produktionssystemen, dann lässt sich fra­gen, inwie­fern die Einführung die­ses Instrumentariums in den bereits gesät­tig­ten Spezialisten und Teamleitungs- und Managementbereichen sinn­voll, geschwei­ge denn als modern gel­ten soll. Wirklich modern wäre, die­se Instrumente, über­all wo sie bereits gelebt wer­den, abzu­schaf­fen, und statt des­sen auf a) ein Rekrutierungssystem zu set­zen, wel­ches von vorn­her­ein selbst­ge­steu­er­te, was bedeu­tet selbst­mo­ti­vier­te und selbst­ver­ant­wort­li­che Personen ein­stellt, und b) ein ent­spre­chen­des Klima zu schaf­fen, in dem inter­es­san­te, abwechs­lungs­rei­che und her­aus­for­dern­de (Achtung, Unternehmen ver­wech­seln das nur lie­bend gern mit über­for­dern­de) Tätigkeiten die Potentiale der Mitarbeitenden qua­si auto­ma­tisch zur Geltung brin­gen. Schliesslich bedarf es c) ent­spre­chen­der Freiräume, dass Mitarbeitende selbst­ge­steu­ert nicht nur ihren Interessen nach­ge­hen, son­dern, dass sie situa­ti­ons­spe­zi­fisch auch ad hoc reagie­ren kön­nen. Genau das wür­de dann den so oft gefor­der­ten Unternehmer im Unternehmen pro­du­zie­ren. Das, was in einem sol­chen Umfeld ent­steht, ist dann stets den Zielen, die am Anfang einer sol­chen Berichtsperiode gene­riert wer­den, immer einen Schritt vor­aus – näm­lich in der Wirklichkeit des gera­de Relevanten. Jetzt ist es nicht so, dass per se Ziele schlecht sind, und dass es durch­aus Sinn macht, die­se mit den Mitarbeitenden her­aus­zu­fin­den und zu defi­nie­ren, zumal wenn sie als Leitplanken für das Handeln fun­gie­ren sol­len. Jedoch ist das nicht mit einem ein­ma­li­gen, jähr­li­chen Zielvereinbarungs- oder Mitarbeitergespräch getan, da heut­zu­ta­ge Management nichts ande­res ist als lau­fen­de Kommunikation. Und wie passt in einem sol­chen Kontext dann noch die Vorstellung, dass Mitarbeitende noch mit Bonussystemen extra ent­lohnt wer­den, dass varia­ble Vergütungssysteme ein bestechen­des Argument der Moderne sind? Mitarbeitende, die qua ihres Eigen- und Professionsverständnisses agie­ren, die eine eige­ne Vorstellung von Sinn und Zweck der Tätigkeit haben, die brau­chen kei­ne geson­der­ten «Vergütungswürste», die der Logik einer Leistungsgesellschaft ent­spre­chend extra noch ein Stück höher gehan­gen wer­den. Sie brin­gen sich ohne­hin ein und strecken sich bis zur Decke. Ein varia­bles Vergütungssystem wirkt unter die­sen Rahmenbedingungen dann nur mehr ernied­ri­gend. Warum sich also Bonussysteme jed­we­der Art an das unter­neh­me­ri­sche Bein bin­den, wenn es auch ohne geht? Um den Schwarzen Peter der klei­nen Gruppierungen von Spitzenmanagern à la Vasella auf­zu­neh­men: so könn­te die Abschmelzung deren Boni einen klei­nen, berei­ni­gen­den Effekt bedeu­ten, indem man sie gleich auf den nor­ma­len Lohn der Belegschaft umlegt. Gerade die­se Personengruppe ist es ja, die heut­zu­ta­ge über­wie­gend in zuneh­mend ent­grenz­ten Arbeitsverhältnissen schafft, denen kein Bonussystem und kein Lohn der Welt das wirk­lich zu kom­pen­sie­ren ver­mag. Menschen in sol­chen Arbeitsverhältnissen mit Zielvereinbarungs- und varia­blen Vergütungssystemen zu kom­men, zeigt nichts ande­res, als dass das Ur-Thema der kapi­ta­li­sti­schen Organisation aus Gründertagen zum Vorschein kommt: Misstrauen. An die­ser Stelle sind Organisationen nach wie vor im Schatten alter, indu­stri­el­ler Pfadabhängigkeiten gefan­gen. Dies bei gleich­zei­ti­ger Anspielung auf moder­ne Arbeitsverhältnisse, in denen man auf den gan­zen Menschen zugrei­fen möch­te, ihn mit Freiräumen aus­stat­ten will, ihn als Experten ansieht, der weiss, was an wel­cher Stelle am besten zu tun ist. Würde man das aber wirk­lich ernst neh­men, dann kann man nicht gleich­zei­tig mit den Mitteln der alten Steuerung kom­men. Ansonsten wird es para­dox. Ohne für den Totalzugriff auf den Menschen durch Organisationen wer­ben zu wol­len: Wollen Unternehmen wirk­lich modern sein, dann müs­sen sie eine Entscheidung tref­fen, ob sie auf den inter­es­sens­ge­lei­te­ten und selbst­ver­ant­wort­li­chen und selbst­steu­ern­den Menschen abstel­len und eine ent­spre­chen­de Rekrutierungs- und Personalführungspolitik betrei­ben, oder ob sie zurück in die Zukunft gehen und auf ein kon­se­quen­tes extrin­si­sches Entlohnungs- und Belohnungssystem abstel­len, bei dem die Möhre stets vor dem Maul der Mitarbeiter bau­melt. Das Ende vom Lied ist, dass es in jedem Fall die Organisationen sind, die dann jene Suppe aus­löf­feln dür­fen, die sie sich selbst ein­ge­brockt haben. Spätestens in einer Gesellschaft, in der jeder jeden beob­ach­tet, wird mit dem kal­ku­liert, was als Botschaft aus­ge­sen­det wird. Je aus­ge­klü­gel­ter die Be- und Entlohnungssysteme sind, desto gewief­ter wer­den jene Mitarbeitenden, die sich in einen sol­chen Kontext bege­ben. Es wird aus­ge­han­delt, was für wel­che Leistung erwar­tet wird – und spielt die demo­gra­phi­sche Entwicklung mit, dann begin­nen die Mitarbeitenden die Grösse der Rübe zu defi­nie­ren, die sie durch die Organisation vor das Maul gespannt bekom­men – und zu Recht kann man dann fra­gen, wer nun wen steu­ert. Unternehmen bekom­men den Lohn, den sie ver­die­nen. Im Falle Vasella ist es eine media­le Schelte der Gesellschaft, inner­halb der Unternehmen sind es Mitarbeitende, die mit dem kal­ku­lie­ren, dass man sie wie extrin­sisch moti­vier­te Marionetten behan­delt, obwohl sie bei span­nen­den und selbst­ver­ant­wor­te­ten Tätigkeiten ohne­hin sich ein­brin­gen wür­den. Modern an die­ser gan­zen Spirale sind ledig­lich die Ausdifferenzierung und die gestei­ger­te Komplexität die­ser Vergütungsspezialisten und –syste­me. Natürlich könn­te das gan­ze viel ein­fa­cher sein, aber dann hät­te es nicht mehr den Anschein von modern.

*bewirt­schaf­tet von frank.dievernich@hslu.ch, Hochschule Luzern – Wirtschaft.

 

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014