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Engel der Vernunft

Von Barbara Roelli – Letzthin beim Apéro: Es gab Thunfisch-Canapés – eine zart­bei­ge Paste bedeck­te die Toastscheiben, die typi­sche Faserung des Fisches noch sicht­bar, ver­fei­nert mit Mayonnaise und wohl einem Klacks Crème fraîche, abge­schmeckt mit weis­sem Pfeffer. Wir sties­sen an mit Chasselas. Der Seewein umspül­te die sam­ti­ge Paste, und mei­ne Knie wur­den weich. Wir beim Apéro wur­den uns schnell einig: Thunfisch hat etwas süch­tig Machendes. Thunfisch, der hat ein­fach etwas.

Mein Leben lang wer­de ich nie das Thunfischsteak ver­ges­sen, dass ich in einem Jugendstil-Hotel im aar­gaui­schen Baden zu mir nahm. Die dicke Scheibe des Fisches war in eine Panade aus grob gemah­le­nem schwar­zem Pfeffer geklei­det. Und gebra­ten war sie per­fekt: Aussen war der Fisch hell, innen noch dun­kel­rot und zart. Mittlerweile habe ich ein gespal­te­nes Verhältnis zu Thunfisch. Schon lan­ge war­nen die Tierschützer und Umweltaktivisten vor der Überfischung der Meere, und Thunfisch gilt als vom Aussterben bedroht. Und obwohl ich mir des­sen bewusst bin, kann ich mich zu kei­nem kon­se­quent kon­sum­kri­ti­schen und somit umwelt­freund­li­chen Verhalten durch­rin­gen. Auch wenn ich beim Gemüse den Bio-Nüsslisalat dem kon­ven­tio­nel­len vor­zie­he, und auf jeden Fall Poulet aus der Schweiz statt aus Ungarn kau­fe – beim Thunfisch ver­wäs­sern sich mei­ne Prinzipien. So gesche­hen vor kur­zen beim Detailhändler mit den oran­gen M’s. Ich durch­que­re die Filiale kurz vor Ladenschluss. Im Kühlregal, bei den zube­rei­te­ten Produkten leuch­ten mir die 50%-Kleber ent­ge­gen, die auf den Sushi-Boxen kle­ben. Sofort freue ich mich über das Schnäppchen. In den Boxen rei­hen sich die ver­schie­de­nen Kreationen anein­an­der: Maki-Sushi mit frit­tier­tem Tofu, mari­nier­ten Shiitake Pilzen, Gurke und Omelette und Nigiri-Sushi mit gekoch­ter Crevette, rohem Lachs und rohem … Thunfisch. Ich hebe die Box mit dem Thunfisch hoch und schie­le auf die Etikette auf der Unterseite. In dem Moment spricht mich ein Mann von der Seite an. Warum ich unter die Schachtel schaue und ob da etwas Wichtiges geschrie­ben steht, fragt er. Ich: Ich wol­le nur wis­sen, wel­cher Thunfisch da ver­wen­det wur­de für das Sushi. Es gäbe ja sol­chen, der beson­ders vom Aussterben gefähr­det sei. Der Mann, ich schät­ze sein Alter auf 40 Jahre, hat brau­ne Locken, trägt eine Brille mit ova­len Gläsern in fei­nem Metallgestell, und einen lan­gen Mantel. Er ist etwas klei­ner als ich und schaut mir mit wachem Blick in die Augen. Er gehe immer in einem Restaurant Sushi essen wo es nur dann Sushi gibt, wenn der Thunfisch frisch gefan­gen wor­den ist. Der wer­de am Morgen an der Börse gehan­delt und lan­de am Abend frisch zube­rei­tet als Sushi auf dem Teller. Dieser Thunfisch, da in der Box, sei ver­mut­lich auf­ge­taut, denn zur­zeit gäbe es in dem Restaurant, in das er jeweils gehe, kein Sushi. Ich: Heute kön­ne man kaum kon­su­mie­ren, ohne sich mit Fragen aus­ein­an­der zu set­zen, die Saison, Herkunft und Verarbeitung eines Nahrungsmittels betref­fen. Um öko­lo­gisch am sinn­voll­sten zu leben wäre wohl Selbstversorgung am besten, mut­mas­sen der Mann und ich. Wenn der Kopfsalat aus dem eige­nen Garten kommt, dann hat er den kür­ze­sten Weg auf den Teller und fri­scher geht’s sowie­so nicht, dis­ku­tie­ren wir. Ich hal­te dabei immer noch die Box mit dem Thunfisch-Sushi in den Händen. Eine vom Aussterben gefähr­de­te Thunfischart sei der Gelbflossenthunfisch, sagt der Mann dann. Nun end­lich fin­de ich die Herkunftsangabe des Fisches auf der Etikette: Gelbflossenthunfisch. Reflexartig lege ich die Box zurück ins Kühlregal. Er müs­se los, noch schnell etwas ein­kau­fen für sein Abendessen, sagt der Mann. Dann ver­ab­schie­det er sich herz­lich und schüt­telt mir die Hand. So schnell wie er auf­ge­taucht ist, ist er auch wie­der ver­schwun­den. Ein Engel der Vernunft, der mir dazu gra­tu­liert hat, dass ich beim Thunfisch für ein­mal mei­ne Prinzipien ein­ge­hal­ten habe.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2013