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Endlich wie­der zu hören: Erica Morini und Bronislaw Gimpel

Von François Lilienfeld – Dass die Nachwelt dem Mimen kei­ne Kränze flicht ist – vor allem für Musiker – seit der Erfindung der Tonaufzeichnung nur noch bedingt rich­tig. Die Wahlkriterien der Nachwelt aller­dings sind oft uner­klär­lich. Dessen wird man sich wie­der ein­mal bewusst, wenn man in die Wiederveröffentlichungen eini­ger Aufnahmen von Erica Morini (1905–1995) und Bronislaw Gimpel (1911–1979) hin­ein­hört. Wie kommt es, dass Künstler von sol­cher Bedeutung fast ver­ges­sen sind?

Diese zwei Geigenmeister hat­ten vie­les gemein­sam: Beide stamm­ten aus musi­ka­li­schen Familien, waren außer­or­dent­lich früh­reif, und erlit­ten als Juden im Europa der Nazizeit einen Karrieren-Einbruch, den sie in den USA über­brück­ten. Beide waren auch jeder exhi­bi­tio­ni­sti­schen Virtuosität abhold; musi­ka­li­scher Ausdruck und Respekt vor dem Werk stan­den im Mittelpunkt ihrer Interpretationen, wobei die Beherrschung der tech­ni­schen Mittel natür­lich in höch­stem Maße vor­han­den war.

Die Wienerin Erica Morini, die sich trotz gro­ßer Erfolge immer gegen das Vorurteil weh­ren muss­te, mit dem damals weib­li­che Violonistinnen kon­fron­tiert waren, wur­de vom legen­dä­ren Dirigenten Arthur Nikisch, unter des­sen Leitung sie als Dreizehnjährige auf­trat, mit den Worten: «Das ist kein Wunderkind, es ist ein Wunder – und ein Kind» beschrie­ben.

Bronislaw Gimpel stamm­te aus Lemberg (Galizien), wo sein Großvater als Gründer des städ­ti­schen jid­di­schen Theaters bekannt gewor­den war. Bronislaws Bruder Jakob beglei­te­te übri­gens öfters auch Erica Morini.

Dass wir es mit zwei musi­ka­lisch recht ver­schie­de­nen Persönlichkeiten zu tun haben, lässt sich dank zwei­er CD-Ausgaben der Marke audi­te bestä­ti­gen.

In Erica Morinis Konzertmitschnitt von Tschaikowskys Violinkonzert (Titania-Palast Berlin, 13. Oktober 1952) hört man sofort, wie sehr die Geigerin in der roman­ti­schen Tradition ver­wur­zelt war, was ihr von sei­ten man­cher Kritiker das unsin­ni­ge Epithet «alt­mo­disch» ein­brach­te. Ihr Ton ist unglaub­lich expres­siv, die Bogenführung ermög­licht unzäh­li­ge Varianten in der Klangfarbe, aber auch in der Phrasierung: Sie beherrscht schier end­lo­se Legatobögen, spielt ande­rer­seits Staccati und Spiccati gesto­chen scharf. Sie scheut sich nicht, in ihrer Suche nach inten­si­vem Ausdruck manch­mal auf dem «hohen Seil» zu spie­len. Nur scha­de, dass der drit­te Satz in der von Ferenc Fricsay diri­gier­ten Tschaikowsky-Aufnahme stark gekürzt ist.

Gimpel ist etwas zurück­hal­ten­der, sein Bogendruck, beson­ders in den Kammermusikwerken, behut­sa­mer. In Momenten größ­ter Intensität jedoch kom­men plötz­lich unge­ahn­te Kräfte zum Vorschein, wie z. B. im ersten Satz des Sibelius-Konzertes. Die audi­te-Veröffentlichungen ermög­li­chen uns im Übrigen einen direk­ten Vergleich: Die Violinsonate «Didone abban­do­na­ta» in g‑moll op. 1 Nr 10 von Giuseppe Tartini fin­den wir in bei­den Programmen. Das Lamento der ver­las­se­nen Dido im ersten Satz ist bei Bronislaw Gimpel ein kläg­li­ches Weinen, bei Erica Morini mischt sich eine glü­hend auf­leh­nen­de Haltung in die Tränen. Der zwei­te Satz bleibt bei ihr roman­tisch, bei Gimpel wirkt er spie­le­ri­scher, fast frech.

Ein wei­te­rer Vergleich ist auf­schluss­reich: der zwi­schen Erica Morini und Fritz Kreisler. Dieser soll gesagt haben, nur Morini kön­ne Kreisler-Piècen wirk­lich spie­len. Die neue CD ent­hält die Stücke «Schön Rosmarin» und «Caprice Viennois»; der Vergleich mit den legen­dä­ren Platten des Komponisten bestä­tigt sei­ne Worte: Erica Morini steht ihm in kei­ner Weise nach, ja, sie ist sogar phan­ta­sie­vol­ler. Und sie kopiert nicht ein­fach den Meister. Wie alles was sie spielt, erhal­ten auch die­se herr­li­chen Miniaturen eine sehr per­sön­li­che Note.

Gimpels Repertoire war enorm, er hat sogar mit Charlie Parker gespielt! So ist auch die «Pastorale et Danse» von Karol Rathaus (1895–1954) eine sehr loh­nens­wer­te Entdeckung. Unter den bekann­te­ren Kammermusikwerken gelingt ihm vor allem die A‑dur-Sonate von Schubert sehr schön, ein bered­tes Zeugnis für sei­ne Delikatesse.

Es wäre zu wün­schen, dass ande­re Plattenfirmen, die in ihren Archiven ver­grif­fe­ne Schätze die­ser zwei Künstler ver­ber­gen, sich zu längst fäl­li­gen Reeditionen ent­schei­den!

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2014