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Endgame: Wo die Grenze zwi­schen ideo­lo­gi­scher und künst­le­ri­scher Förderung dünn wird und die Kulturpolitik ver­sagt

Die Würfel sind gefal­len: Unser Projekt ist bei der Jury, die über den neu­en Leistungsauftrag der Dampfzentrale ab 2028 urteilt, eben­so wie vier wei­te­re Parteien nicht wei­ter­ge­kom­men. Zwei Parteien haben wegen for­ma­ler Fehler im Eingabedossier die­se Stufe gar nicht erst erreicht. Drei Projekte wer­den ver­meint­lich als erste «Siegerprojekte» gefei­ert. Ausgeschieden und nicht mehr Bestandteil der Evaluation, sind wir jetzt frei, zu erzäh­len, was wir erlebt und ent­deckt haben:

Gleich vor­weg: Wir, die we are gmbh, akzep­tie­ren die Entscheidung ohne Wenn und Aber. Das Amt für Beschaffungswesen, das die­se etwas dubio­se Ausschreibung aus­ge­führt hat, woll­te uns wegen ver­meint­lich im Dossier feh­len­der Namen und Schlüsselpersonen schon frü­her raus­wer­fen. Wir konn­ten im «recht­li­chen Gehör» (unse­rer Stellungnahme) plau­si­bel dar­le­gen, dass wir alles kor­rekt gelie­fert hat­ten. Unsere Argumentation dafür stamm­te vom Amt für Beschaffung selbst: Subventionierte Kulturinstitutionen müs­sen freie Stellen immer öffent­lich aus­schrei­ben. Wir konn­ten also bei der geplan­ten neu­en Betriebsstruktur kei­ne Namen nen­nen – und hat­ten ent­spre­chend die nöti­gen Statuten für die juri­sti­schen Personen gelie­fert. Das über­zeug­te: Nur ein paar Stunden nach Ablauf der Verteidigungsfrist waren wir offi­zi­ell wie­der drin …

Aber das ist eine Randgeschichte. Diese gan­ze Ausschreibung hat vie­le Fragen zuta­ge gebracht, und wir haben viel gelernt. Jetzt, im Nachspiel und mit dem neu­en Wissen, hat alles sogar noch eine Dimension dazu­ge­won­nen, und wir sind inzwi­schen sogar froh, aus­ge­schie­den zu sein. Wir spiel­ten von Anfang an mit offe­nen Karten: Die Dampfzentrale ist das gröss­te sub­ven­tio­nier­te Berner Kulturhaus der frei­en Szene, ent­spre­chend fan­den wir es im Team wich­tig, dass das Eingabeprojekt nicht gegen, son­dern mit den KünstlerInnen und Institutionen ent­ste­hen muss. So sas­sen Leute bei uns am Tisch, die die­se Kooperation vor­der­grün­dig schätz­ten – spä­ter muss­ten wir erfah­ren, dass sie selbst heim­lich eine Eingabe plan­ten. Wir muss­ten fest­stel­len, dass in die­ser «Endauswahl» nur Menschen wei­ter­ge­kom­men sind, die bereits in einer kul­tu­rel­len Subventions-Bubble zu Hause oder – noch schlim­mer – als PolitikerInnen, Vorstandsmitglieder, in Doppelfunktionen ver­ban­delt tätig sind. Aber vor allem stel­len wir fest, dass sich die mei­sten ProtagonistInnen über die Kulturarbeit sehr gut ken­nen und noch mehr über ideo­lo­gi­sche Zusammengehörigkeit. Offensichtliches Beispiel: Das Theaterfestival Auawirleben mie­tet sich seit Jahren beim Verein Dampfzentrale Bern ein – die bei­den Projekte sind jetzt in der enge­ren Auswahl. Wer jetzt aber noch etwas tie­fer gräbt, kommt in die­sem Prozess in immer ver­fah­re­ne­re Abgründe und Parallelwelten, die ganz ohne Verschwörungstheorie öffent­lich ein­seh­bar eine Lobby in Bern auf­zei­gen, der man nicht blind ange­hö­ren will. Klingt das wild? Ja, auch für uns.

Doch der Reihe nach Die Ankündigung der Ausschreibung ent­hielt bereits einen Schönheitsfehler: Die Ausschreibungsunterlagen sei­en nur auf SIMAP (der Beschaffungsplattform von Bund und bun­des­na­hen Organisationen, Kantonen und Gemeinden der Schweiz) zu holen, gab die Stadt Bern offi­zi­ell bekannt. Dort muss­te man sich regi­strie­ren, um an die effek­ti­ven Ausschreibungsunterlagen zu gelan­gen. Nicht gesagt wur­de aber, dass irgend­je­mand, also auch die Stadt Bern selbst, die­se Unterlagen auf jede belie­bi­ge Website stel­len und an nicht SIMAP-regi­strier­te Personen hät­te wei­ter­ge­ben kön­nen. Sodass alle Interessierten Einsicht bekom­men hät­ten. Der offi­zi­el­le Trick dabei: Die eigent­li­che Eingabe muss­te per Post und auf einem USB-Stick erfol­gen, davor ist es egal, wer die­se Unterlagen ein­sieht – und des­we­gen ist legal kei­ne Registrierung not­wen­dig. Nur wenn die Einreichung aus­schliess­lich digi­tal erfol­gen soll, ist ein «Konto» nötig. Das klingt nach einer Bagatelle – ist aber bei einer Ausschreibung, die im kul­tu­rel­len Bereich zum ersten Mal in die­ser Form statt­ge­fun­den hat, wesent­lich, weil das nie­mand ein­fach so weiss. Es erhöht die Hürden.

Zu den GewinnerInnen der ersten Phase: Der Bewertungsprozess wur­de gemäss den Standards vom Amt für Beschaffungswesen von Bern defi­niert, die­se gel­ten schweiz­weit, sogar inter­na­tio­nal. Die maxi­mal zu errei­chen­de Punktzahl war 5. Und man staunt:

Rangfolge und erreich­te Punkte
Verein Dampfzentrale Bern, Bern = 4,200
Verein Auawirleben, Bern = 3,675
ARGE Julia Reist / Lea Heimann / Lea Vettiger Moro, Belgien (Verein Hannah Dampf), Bern = 3,225

Der Verein Dampfzentrale war als ein­zi­ge Institution im Besitz offi­zi­ell beleg­ter Daten und Fakten zum Haus. Niemand hat­te offi­zi­ell ähn­li­che Informationen bekom­men, und der Verein Dampfzentrale Bern ver­öf­fent­lich­te sei­nen Jahresbericht 2024 erst im Oktober 2025. Es gibt kei­ne Studien, gab kei­ne Besichtigung, das Inventar ist unklar gere­gelt, der offi­zi­el­le Übergabetermin ist unklar, kei­ne Sicherheiten, kaum Fakten.
Interessant ist: Der bis­he­ri­ge Leistungsvertrag der Dampfzentrale wur­de auf­grund unge­nü­gen­der Leistungen auf­ge­löst. Bemerkenswert ist, dass ein neu­er Vorstand gemein­sam mit dem bis­he­ri­gen Team nun inner­halb eines Monats mit einem neu­en Konzept schein­bar mühe­los Höchstbewertungen erzielt. Ebenso ist her­vor­zu­he­ben, dass die bei­den wei­te­ren Mitbewerberinnen bis­lang kei­ne Erfahrung in der Gesamtleitung eines Kulturhauses vor­wei­sen und bis­her aus­schliess­lich als gastie­ren­de Miet-Veranstalterinnen in aus­ge­stat­te­ten Institutionen tätig waren und selbst auf Subventionsbeiträge ange­wie­sen sind.

Brisanter Nebenschauplatz Im August 2025 frag­ten wir die dama­li­ge Präsidentin vom Verein Dampfzentrale, Brigitte Hilty Haller, an, wie­so sich der Verein öffent­lich als «gemein­nüt­zig» bewer­be, aber in der Liste der steu­er­be­frei­ten und gemein­nüt­zi­gen Institutionen und Vereine von Bern nicht auf­ge­li­stet sei. Ihre Antwort nach der berüch­tig­ten Generalversammlung (im Anschluss trat der gesam­te Vorstand zurück) war nüch­tern: «Seit gestern sind wir es.» Nur: Das ist kei­ne Selbstdeklaration. Erst als sich im Oktober der Gemeinderat in einer Antwort wegen einer Interpellation im Stadtrat hin­ter den Verein Dampfzentrale stell­te und wie­der öffent­lich erklär­te, dass die­ser Verein gemein­nüt­zig sei, woll­ten wir es genau­er wis­sen. Die Stadt Bern gab zur Antwort, man habe das den Statuten ent­nom­men. Die Berner Steuerbehörden schrie­ben dazu am 28. Oktober 2025:
«Der Verein Dampfzentrale Bern ist mitt­ler­wei­le steu­er­be­freit. Bei der näch­sten Publikation (vor­aus­sicht­lich im November 2025) der von Ihnen erwähn­ten und bei Ihrer Anfrage bei­geleg­ten Liste ‹Institutionen, die wegen Verfolgung von öffent­li­chen oder gemein­nüt­zi­gen Zwecken steu­er­be­freit sind› der Finanzdirektion des Kantons Bern wird der Verein Dampfzentrale Bern auf­ge­li­stet sein. Das der­zeit publi­zier­te Verzeichnis datiert noch vom Juli 2025. Wir bit­ten Sie um Verständnis, dass wir auf­grund des Steuergeheimnisses kei­ne wei­ter­ge­hen­den Informationen zur kon­kre­ten Steuerbefreiung des Vereins mit­tei­len dür­fen.
Der Begriff der Gemeinnützigkeit ist im Steuerrecht enger umschrie­ben, als vie­le Menschen mög­li­cher­wei­se im Allgemeinen dar­un­ter ver­ste­hen. Sowohl der Begriff der Gemeinnützigkeit wie auch der­je­ni­ge des öffent­li­chen Zwecks respek­ti­ve der öffent­li­chen Aufgabenerfüllung (öffent­li­che Zwecke lie­gen ins­be­son­de­re dann vor, wenn ein Leistungsvertrag mit dem Gemeinwesen besteht) erläu­tern wir im Taxinfo-Beitrag ‹Steuerbefreiung von juri­sti­schen Personen Kanton Bern› (Anmerkung der Redaktion: www.taxinfo.sv.fin.be.ch) des­halb näher. Massgeblich bei der Beurteilung einer Steuerbefreiung ist schluss­end­lich immer, was die Institution tat­säch­lich macht, und nicht, ob in den Statuten die gemein­nüt­zi­ge Zwecksetzung fest­ge­schrie­ben ist.
Für die Abziehbarkeit von Spenden ist es nicht rele­vant, ob eine Steuerbefreiung wegen öffent­li­chen oder gemein­nüt­zi­gen Zwecks vor­liegt.»

So weit alles klar. Nur: Hat dem­nach der Verein Dampfzentrale in den letz­ten rund 20 Jahren Steuern bezahlt? Wenn nicht, dann wür­de das spä­te­stens jetzt zum Problem wer­den: Im Ausschreibungsprozess muss belegt sein – jetzt, nach der Veröffentlichung des Juryentscheids –, dass die Steuern der letz­ten Jahre kor­rekt bezahlt wur­den. Und wenn nicht? Erstaunlich ist, dass die heu­ti­ge Stadtberner Finanzdirektorin Melanie Mettler von 2018 bis 2022 Co-Präsidentin der Dampfzentrale war und die­sen Zustand nicht schon vor­her änder­te.

Absprachen? Bedenklicher sind für uns aber die in der Ausschreibung gefor­der­ten Angebotsdeklarationen, wel­che alle Parteien zu unter­zeich­nen hat­ten. Da steht zum Beispiel: «Haben Sie Abreden getrof­fen, die den wirk­sa­men Wettbewerb besei­ti­gen oder erheb­lich beein­träch­ti­gen?» Und hier wird’s jetzt seri­ös kom­pli­ziert:

Beim Verein Dampfzentrale und dem Theaterfestival Auawirleben ist die lang­jäh­ri­ge Partnerschaft offen­sicht­lich. Jedes Jahr fin­det ein Teil des Festivals in der Dampfzentrale statt. Auch jetzt sit­zen die­se bei­den Vereine an einem Tisch und pla­nen das Festival für das Jahr 2026. Eine wei­te­re Verbindung besteht über­ra­schend mit dem ehe­ma­li­gen Kapitel im Bollwerk und den dort agie­ren­den «Spaces», soso­so und inTransformation. Eigentlich ist der Veranstaltungsort Kapitel geschlos­sen – aber neben­an gibt es noch Räume, und dafür sucht man auf der Website MitarbeiterInnen für 40–80 % ab Januar 2026. Im Vereinsvorstand ist die ehe­ma­li­ge Stadträtin Tabea Rai auf­ge­li­stet, die eben­falls neu beim Verein Dampfzentrale Bern im Vorstand sitzt und mass­geb­lich bei der Eingabe um den neu­en Leistungsauftrag mit­ge­wirkt hat. Erwähnt sei auch, dass die neue Direktorin der Kunsthalle Bern, iLiana Fokianaki, Mitglied in die­sem Vorstand von intransformation.space ist. Warum auch immer. Und was hat das mit der Kunsthalle Bern zu tun? Fokianaki war poli­tisch vor Amtsantritt in Bern schon auf­ge­fal­len. Man ver­ur­tei­le den Angriff der Hamas «ohne Wenn und Aber», kom­men­tiert Franziska Burkhardt, Kulturverantwortliche Stadt Bern, im «Bund» vom 18.11.2023 den Artikel «Künftige Direktorin unter­schreibt kon­tro­ver­sen Palästina-Brief». «Zu der Unterzeichnung offe­ner Briefe neh­me die Stadt aber nicht Stellung, ‹solan­ge die­se nicht straf­recht­lich rele­van­te Aussagen ent­hal­ten oder in kras­ser Form gegen aner­kann­te gesell­schaft­li­che Werte oder Normen ver­stos­sen›.» (Zitat «Bund»-Artikel)

Der Verein Auawirleben wie­der­um hat­te in den Büros von intrans­for­ma­ti­on, oder wie sie jetzt alle an der glei­chen Adresse im Bollwerk Bern heis­sen, das Festivalbüro ein­ge­rich­tet und pflegt offen eine insti­tu­tio­nel­le Partnerschaft. Mahalia Aura Haberthür, bei Auawirleben für die Kommunikation zustän­dig, ist als Geschäftsleiterin vom sososo.space erwähnt, eben­falls im ehe­ma­li­gen Kapitel im Bollwerk, der «kul­tu­rel­lem Schaffen aus und in der Stadt Bern eine Heimat» bie­ten will. Dieses Bollwerk enga­giert sich für «Menschenrechte», ist eher poli­tisch enga­giert und damit im letz­ten Jahr auch auf­ge­fal­len.

Und es wird noch enger: Unter dem Titel «Berner Kulturszene ver­beisst sich in Nahost-Konflikt» wur­de am 29. März 2025 im «Bund» (Tamedia) ein Artikel ver­öf­fent­licht, der auf anti­se­mi­ti­sche Vorfälle in der Berner Kulturpolitik hin­wies. Es ging dabei um KünstlerInnen, wel­che durch pro­pa­lä­sti­nen­si­sche AktivistInnen bedroht wur­den. Es ent­stand eine gehäs­si­ge Debatte rund um die Ansichten zum Israel-Palästina-Konflikt, Hassreden wur­den erwähnt. Mittendrin war Dino Dragić-Dubois, Co-Betreiber vom Kapitel im intransformation.space und in den gan­zen Netzwerken dar­um her­um. Er war eben­so Mitglied der Kulturkommission von der Stadt Bern und wur­de in Folge die­ses Disputes im April nicht mehr wie­der­ge­wählt – der «Bund» schrieb: «Wegen Hassrede – Stadt wirft umstrit­te­nes Mitglied aus Kulturkommission» (3.4.2025). Die NZZ publi­zier­te zum Thema am 10. April 2025 einen Artikel von Lucien Scherrer mit dem Titel: «Raven für die Hamas: Die Berner Kulturszene hat ein Antisemitismusproblem». Im Artikel wer­den die Musikerin Sophie Hunger und ande­re KünstlerInnen genannt, die eine kla­re Haltung gegen Judenhass zeig­ten und «ein­ge­schüch­tert» wür­den. Das Portal nachtkritik.de zitier­te Bernhard Ott im Berner «Bund» vom 6.4.2025 («Gegen Hass und Mobbing – Stadt Bern muss im Kampf gegen Antisemitismus mehr Flagge zei­gen»): «Im Kulturbereich teilt die ‹Palästina-Fraktion› Kulturschaffende auf­grund ihrer jüdi­schen Identität oder nicht geneh­mer Äusserungen in zwei Lager und ‹mar­kiert› die ver­meint­li­chen Gegner auf Social Media.» Auch die Kunsthalle-Direktorin iLiana Fokianaki war im Vorfeld ihrer Neuanstellung in Bern wegen einer Unterzeichnung eines Manifests in den inter­na­tio­na­len Medien in die Schlagzeilen gera­ten. Um wel­che poli­ti­sche Haltung es dabei geht, ist für uns unwe­sent­li­cher als die Tatsache, dass sich all die­se Menschen im glei­chen poli­ti­schen Umfeld bewe­gen. Vor allem soli­da­ri­sie­ren ideo­lo­gi­sche Verbindungen stär­ker als künst­le­ri­sche Programme. Und in die­sen Verbindungen geht es nicht um Kultur und Kunst.

Und auch bei der drit­ten «Gewinnerin», dem Verein Hannah Dampf (ARGE Julia Reist / Lea Heimann / Lea Vettiger Moro, Belgien), zei­gen sich schon nach weni­gen Klicks im Internet akti­vi­sti­sche pro­pa­lä­sti­nen­si­sche Aktionen, dies­mal in der Kunsthal Gent in Belgien, wel­che mit ziem­lich hef­ti­gen Parolen auf­fällt. Das alles ist anschei­nend inter­na­tio­nal ver­netzt, ist bekannt, ver­schwi­stert und in Zusammenarbeit mit über Bern hin­aus­rei­chen­den Kreisen. Noch wäh­rend wir die­sen Text schrei­ben, erreicht uns eine E‑Mail vom Bones-Festival, und dar­in lesen wir gleich Namen (Martin Schick, neu im Verein Dampfzentrale Bern), die in Zusammenhang mit der Dampfzentrale und mit dem Ciné Résistance (eben­falls im Bollwerk) ste­hen (Zitat Bones: «Ciné Résistance ist seit Januar 2024 ein wöchent­li­ches Ereignis in Bern, ent­stan­den als Reaktion auf den andau­ern­den Genozid in Gaza») … Wir wol­len das alles gar nicht mehr wis­sen!

Was jetzt neu ist: Wenn das alles wirk­lich einer ideo­lo­gisch geplan­ten Orchestrierung folgt, dann steht die­ses Netzwerk kurz vor einem kolos­sa­len Triumph: der Übernahme eines rie­si­gen und geschichts­träch­ti­gen Kulturortes, eines Kulturdenkmals der frei­en Besetzerszene von 1987, gar­niert mit hohen Subventionen und Förderbeiträgen und der poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Anerkennung der Stadt Bern. Ausgewählt in einem Ausschreibungsprozess gegen alle ande­ren, unab­hän­gi­gen MitbewerberInnen. Diese Gedanken muss man erst ver­dau­en. Und es ist dabei völ­lig egal, ob es sich um eine radi­kal christ­li­che, sata­ni­sti­sche, eso­te­ri­sche oder pro­pa­lä­sti­ni­sche Ideologie han­delt. Wer hier wen beein­flusst oder mani­pu­liert, wis­sen wir nicht.

Kernthema und Warnung: Im Editorial in die­sem Heft ist es erwähnt: Michel Houellebecq beschreibt in «Unterwerfung» die schlei­chen­de Unterwanderung des poli­ti­schen Systems durch eine mus­li­mi­sche Partei, die sich lang­sam, aber gezielt demo­kra­ti­scher Machtmechanismen bedient. Die tra­di­tio­nel­len Parteien ver­bün­den sich aus purem Opportunismus mit Vertretern des poli­ti­schen Islam, um den rechts­extre­men Front National zu ver­hin­dern, was die mus­li­mi­sche Partei im Zuge eines schein­bar nor­ma­len Wahlsiegs an die Spitze bringt. Der Marsch durch die Institutionen ver­läuft ruhig, ohne offe­ne Konflikte; fun­da­men­ta­le Prinzipien wie der Laizismus wer­den heim­lich auf­ge­ge­ben und gesell­schaft­li­che Werte ange­passt. Houellebecq zeigt, dass die­se Übernahme nicht durch Gewalt, son­dern durch Kollaboration und Anpassung der Eliten geschieht – es ist eine in den Alltag und die Verwaltung hin­ein­ge­wach­se­ne Transformation, mit einer Atmosphäre der still­schwei­gen­den Zustimmung in der Bevölkerung. Die beschrie­be­ne Islamisierung setzt auf Konsens und per­sön­li­che Vorteile, sodass auch Intellektuelle und Akademiker sich dem neu­en System bereit­wil­lig andie­nen. Insgesamt stellt der Roman die Demokratie als anfäl­lig gegen­über Infiltration und sozia­ler Resignation dar. All die­se Mechaniken sehen wir jetzt exakt so im Zusammenhang mit der Dampfzentrale-Ausschreibung: wie sich ein ideo­lo­gi­sches System immer mehr in die gesell­schaft­li­che Struktur ein­bin­det. Dabei ist es voll­kom­men egal, um wel­che Ideologien es geht. In der vor­lie­gen­den Affäre geht es um die Dampfzentrale, um ein Kultur- und Kunstbudget, um 2,4 Millionen Franken, die die Bevölkerung ver­meint­lich in «Kunst» inve­stiert – und nicht in poli­ti­sche Meinungsbildung!

Was alle ver­blei­ben­den AnbieterInnen gemein­sam haben, ist, dass sie par­al­lel fixe Bestandteile der sub­ven­tio­nier­ten Berner Kultur sind. So ist Lea Heimann vom Veranstalter bee-flat seit 2023 Kommissionspräsidentin der zwei­spra­chi­gen Musikkommission. Man kennt sich über die­se öffent­li­chen kul­tur­po­li­ti­schen Kanäle. Für all die­se Vereine und Institutionen wer­den nam­haf­te FörderInnen und Sponsoren geli­stet: Kultur Stadt Bern, Burgergemeinde Bern, Kanton Bern, Pro Helvetia, Migros Kulturprozent, Ernst Göhner, Stiftung Temperatio, Stanley Robert Johnson und wei­te­re. Wer sich durch das Dickicht der Berner Namen und Organisationen durch­kämpft, steht bald vor dem Rätsel: «Wie» soll man hier fest­stel­len, wer mit wem «nicht» spricht? Bringen die­se Verbindungen nicht genau das Dilemma der «Abrede» mit sich, wel­ches in die­sem Ausschreibungsprozess – von Marieke Kruit gelobt – nach WTO-Regeln (Welthandelsorganisation) ver­lau­fen soll? Und wir unter­stel­len nie­man­dem eine radi­ka­le poli­ti­sche Meinung – aber die Nähe aller Beteiligten zu gleich­ge­schal­te­ten ideo­lo­gi­schen Kreisen und die teils akti­ve Mitmischung dar­in stel­len Fragen nach der Unabhängigkeit. Was wir kri­ti­sie­ren, ist vor allem: Es ist nicht die Kunst, die poli­tisch ist, son­dern die Politik, die sich als Kunst tarnt. Und in die­ser Form geht es nur noch um Manipulation von Gesellschaften und um Einflussnahme auf gesell­schafts­po­li­ti­sche Prozesse. Und das kann nicht gut kom­men.

Der Theaterregisseur Samuel Schwarz, der Künstler Johannes Lortz und der Autor Raphael Urweider haben in ihrem Podcast «Berner Marsch» in der Folge 8 eine impo­san­te Zusammenfassung zu die­sem Thema erstellt. Sie gehen sogar noch eini­ge Etagen tie­fer. Besonders die Folge 8 macht sprach­los, es lohnt sich aber, die frü­he­ren Folgen auch zu ver­fol­gen, da gibt es eini­ge inter­es­san­te geschicht­li­che Verbindungen. Wir haben in unse­rer gesam­ten kul­tur­jour­na­li­sti­schen Karriere noch nie eine sol­che Konzentration von Ideologie und Kulturpolitik ent­deckt.

Auch wich­tig ist es, ein Augenmerk auf die von Stadtpräsidentin Marieke Kruit beschwo­re­ne «Vielfalt der Eingaben» zu legen, die mit die­ser Endgame-Selektion für die Zukunft der Dampfzentrale – jetzt mal aus künst­le­ri­scher Sicht – nicht funk­tio­nie­ren kann. Mit den drei aus­ge­wähl­ten Bewerbungen bleibt das Kernkonzept-Problem bestehen:

Ab dem Jahr 2004 wur­de die Dampfzentrale im Rahmen des damals neu­en Leistungsauftrags zu einer kura­tier­ten Institution. Die Dampfzentrale – die Kulturhallen mit zwei Sälen bezie­hungs­wei­se Bühnen und einem Foyer – wur­de ab 2004 im Kern wie ein Gastspielhaus geführt, das nach dem Prinzip eines Repertoiretheaters funk­tio­niert. Sie ver­fügt jedoch weder über ein eige­nes Ensemble noch über ein eige­nes Repertoire. Sobald das künst­le­ri­sche Programm oder die inhalt­li­che Ausrichtung zur Diskussion steht, gerät daher auto­ma­tisch die Dampfzentrale als sub­ven­tio­nier­ter Kulturort ins­ge­samt infra­ge.

Erklärung am Beispiel eines Stadttheaters: An der Spitze eines Repertoiretheaters steht eine künst­le­ri­sche Leitung, die für das Programm des Theaters ver­ant­wort­lich zeich­net. Die glei­che Person (oder im Mehrspartenhaus auch ein klei­nes Leitungsteam mit kla­rer Hierarchie) bestimmt das Ensemble. Das heisst: Man holt eine bestimm­te künst­le­ri­sche Leitung, um deren künst­le­ri­sche Ausrichtung, Handschrift und Werke die­ser Person/Personen am Theater zu haben. (Nebenbei kann das Haus auch von Image und Renommee der Person pro­fi­tie­ren.) Durch die­se Leitungsperson wird das Theater geprägt und von aus­sen wahr­ge­nom­men. Solche Verträge sind zeit­lich begrenzt, und wenn die Erwartungen nicht erfüllt wer­den, wer­den die Verträge nicht ver­län­gert – wie es zum Beispiel im Schauspielhaus Zürich mit den Co-Intendanten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg 2023 pas­sier­te.

Ursprünglich war die Dampfzentrale als Ort für unter­schied­li­che Stilrichtungen, Compagnien und Protagonistinnen und Protagonisten der frei­en Szene kon­zi­piert. Seit nun 20 Jahren jedoch liegt die Programmverantwortung bei einem klei­nen KuratorInnenteam, das bestimmt, wel­che Produktionen in der Dampfzentrale gezeigt wer­den und wel­che nicht. Diese Selektion ori­en­tiert sich stark an den per­sön­li­chen künst­le­ri­schen Vorlieben und Präferenzen der Kuratorinnen und Kuratoren, die allein die Gatekeeper-Funktion wahr­neh­men. Dies führt zwangs­läu­fig zu Spannungen in der frei­en loka­len Szene, die das Nachsehen hat. Genau die­se Struktur hat die leben­di­ge Berner Tanzszene, wel­che genau bis vor 20 Jahren um die Dampfzentrale erblüh­te, zer­bro­chen. Ebenso die sehr krea­ti­ve Jazz-Szene um den Musikkeller.

Kuratorinnen und Kuratoren inter­es­sie­ren sich in erster Linie für das Programm, zei­gen jedoch nur begrenz­tes Interesse am Gesamtkonzept einer insti­tu­tio­nel­len Infrastruktur – etwa hin­sicht­lich der räum­li­chen Strukturen, LieferantInnen, des gastro­no­mi­schen Angebots oder der Einbindung in Gemeinde und Gesellschaft. In einem Gespräch mit Lea Heimann sag­te die­se deut­lich, dass sie für bee-flat nicht an der Dampfzentrale als Institution inter­es­siert sei, son­dern nur an deren Bühnen und am Geld.

Im Jahr 2024 ver­zeich­ne­te die Dampfzentrale gemäss Jahresbericht noch ein Besucheraufkommen von rund 15 000 Menschen. Ein Kulturort ist jedoch ein sozia­ler Ort, den man regel­mäs­sig auf­sucht. Im Fall der Dampfzentrale bedeu­tet dies, dass tat­säch­lich nur etwa 3000 bis 5000 Personen pro Jahr das kul­tu­rel­le Angebot die­ses gewal­ti­gen und geschichts­träch­ti­gen Kulturgebäudes aktiv nutz­ten. Und das genügt nicht bei einer Subvention von 2,4 Millionen. Alle BewerberInnen, die jetzt noch im Rennen sind, wei­sen ein kura­tier­tes Programm auf, haben selbst bis­her knapp die Hälfte des gefor­der­ten Publikumsaufkommens pro Jahr hin­be­kom­men und brin­gen kei­ne Erfahrung in der Betriebsorganisation eines solch kom­ple­xen und fixen Hauses mit – geschwei­ge denn in der Finanzierung eines sol­chen. Wir haben bewusst den Schwerpunkt unse­rer Eingabe auf die Betriebsorganisation gelegt und beim künst­le­ri­schen Ansatz die freie Szene von Bern offen in den Betrieb inte­griert. Alle jetzt ver­blei­ben­den BewerberInnen arbei­ten mit inter­na­tio­na­len Acts und eher im klei­nen Rahmen mit loka­len KünstlerInnen (Programme der letz­ten Jahre). Kaum jemand hat ele­men­ta­re inter­na­tio­na­le Presse oder über­haupt eine media­le Reflexion erhal­ten, die über einen Vorschauartikel (Werbung) hin­aus­geht. Beispiel: «Tanz in Bern» in der Dampfzentrale hat in die­sem Jahr kei­nen ein­zi­gen Kritikartikel aus­ge­löst.

Fazit: Sicher ist, die freie Szene von Bern ist die gros­se Verliererin in die­sen absur­den «Hunger Games» um die Dampfzentrale-Ausschreibung. Es ist uns nicht klar, ob von der Stadt Naivität, Unwissen oder eine kal­ku­lier­te Absicht dahin­ter­steckt. Nichts macht Sinn. Der ange­kün­dig­te Ideenwettbewerb zur zukünf­ti­gen Rolle und Ausrichtung der Dampfzentrale hat mit die­ser Neuausschreibung nie statt­ge­fun­den. Marieke Kruit schreibt in der Medienmitteilung: «Die Menge und Vielfalt der Eingaben zeu­gen von einer inspi­rie­ren­den Dynamik und einer hohen Kreativität in der Berner Kulturlandschaft.» Wir fin­den die­sen Satz unter­des­sen, mit all die­sen neu­en Erkenntnissen, sehr bedroh­lich.

Und wer nichts von einer Orchestrierung wis­sen will, wird auch nicht glück­li­cher: «Der alte Direktor wur­de ent­las­sen, die Stelle aus­ge­schrie­ben, ange­stellt wur­de wie­der der alte Direktor, aber mit neu­en Klamotten.» Und alle schüt­teln sich die Hände. Damit hat sich die Berner Kulturpolitik in einer unmög­li­chen, unglaub­haf­ten und ideo­lo­gi­schen Insider-Bubble-Politik ver­rannt, die nach Untersuchung schreit. Wir von ensuite kön­nen des­we­gen für alle bevor­ste­hen­den Abstimmungen zur Dampfzentrale nur eine Empfehlung geben: NEIN zu einer ideo­lo­gi­schen und kura­tier­ten Dampfzentrale.

 

Weblinks:
intransformation.space
sososo.space
kunsthal.gent
auawirleben.ch
www.dampfzentrale.ch/verein
Berner Marsch #8: youtu.be/RhRXX-75uUc