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End of watch

Von Sonja Wenger – Kein Vorspann, kein lang­sa­mer Einstieg und kaum eine ruhi­ge Minute ist dem Publikum von «End of Watch» gegönnt. Der Film beginnt mit einer hoch­dra­ma­ti­schen Verfolgungsszene über die Strassen von Los Angeles, die in einer Schiesserei endet, und die sogleich den Ton des Films angibt: schmerz­haft authen­tisch, mit­ten­drin, kom­pro­miss­los.

Das Kinojahr hat gera­de erst begon­nen, doch «End of Watch» dürf­te mit zum Besten gehö­ren, was im Genre des Polizeifilms für lan­ge Zeit zu sehen sein wird. Protagonisten sind die Polizisten Brian Taylor (Jake Gyllenhaal) und Miguel Zavala (Michael Peña), enge Freunde und Partner auf Streife im berüch­tig­ten Stadtteil von South Central Los Angeles, in dem Bandenkriege und Drogenexzesse zum Alltag gehö­ren. Taylor, ein ehe­ma­li­ger Soldat, hält ihren Alltag für ein Filmprojekt auf Videokamera fest, sehr zum Verdruss von Zavala und den Kollegen auf dem Revier.

Wie ein Videotagebuch ist auch der Film auf­ge­baut. Episodenhaft beglei­tet man die bei­den bei ihren Einsätzen, bei denen jede Routinekontrolle eska­lie­ren und jede noch so banal wir­ken­de Situation aus­ser Kontrolle gera­ten kann. Taylors Aufnahmen sind im Film inte­griert, und ver­stär­ken zusätz­lich die semi­do­ku­men­ta­ri­sche und teils expe­ri­men­tel­le Bildsprache von Regisseur David Ayer und Kameramann Roman Vasyanov.

«End of Watch» scheint zudem über kei­ne feste Dramaturgie zu ver­fü­gen, ist mehr Chronologie denn Erzählung. Doch der Film braucht auch kei­ne: Die Darstellung der Realität ist packend genug, das Leben pas­siert, und nur der all­täg­li­che Irrsinn einer end­lo­sen Gewaltspirale zieht sich wie ein roter Faden durch das Geschehen des Films, durch das Leben der bei­den Polizisten und das ihrer Familien.

Man könn­te «End of Watch» als eine Hommage an die Polizei von South Central Los Angeles bezeich­nen, die aller­dings nichts ver­klärt oder beschö­nigt. Doch ganz genau genom­men, ist es ein Film über Freundschaft, Liebe und Familie, gegen­sei­ti­ges Vertrauen und den Sinn des Lebens – aller­dings ver­steckt hin­ter einer grenz­wer­tig rea­li­sti­schen Darstellung mensch­li­cher Grausamkeit und see­li­scher Abgründe.

Entsprechend muss gesagt sein, dass «End of Watch» strecken­wei­se nichts für Zartbesaitete ist. Die Bilder des Films, respek­ti­ve die Situationen, mit denen Taylor und Zavala kon­fron­tiert sind, könn­ten direkt aus den aktu­el­len mexi­ka­ni­schen Mainstreammedien stam­men, die gefan­gen in einem maso­chi­sti­schen Extremvoyeurismus über jedes abar­ti­ge Verbrechen der Drogenkartelle berich­ten.

Umso erstaun­li­cher ist, dass sich Taylor und Zavala ihre Menschlichkeit, ihre Betroffenheit und Empörung bewahrt haben, und sich des­halb auf Dauer nicht damit begnü­gen mögen, die klei­nen Fische von der Strasse zu holen. Doch wenn man zu lan­ge in einen Abgrund blickt, blickt die­ser irgend­wann zurück: Als die bei­den bei einer Kontrolle Drogen sowie dia­man­ten­be­setz­te Waffen fin­den, füh­ren sie ihre wei­te­ren Ermittlungen mit­ten in die Hölle des Drogenhandels und Menschenschmuggels – und somit ins Visier eines mexi­ka­ni­schen Kartells, das sich in Los Angeles nie­der­ge­las­sen hat.

«End of Watch» ist ein packen­der Film, ja eine Offenbarung – wenn man sich ihm stellt. Tragisch, ver­stö­rend, berüh­rend, aber auch wit­zig und warm­her­zig, getra­gen von sen­sa­tio­nel­len schau­spie­le­ri­schen Leistungen zeich­net er ein Bild der rau­en Realität und der Polizei, wie man es lan­ge nicht gese­hen hat, und das so nichts mit den mar­ki­gen Sprüchen und dem Hauruck-Humor der manch­mal unsäg­li­chen «Buddy-Filme» zu tun hat, die das Genre so oft prä­gen.

Wenig wun­dert des­halb das Lob der Polizisten aus South Central Los Angeles, die sich und ihre Arbeit erst­mals rea­li­stisch dar­ge­stellt sahen, wie einer der Produzenten von «End of Watch» am Zürich Filmfestival 2012 erzähl­te, bei dem das Darstellerensemble eine beson­de­re Erwähnung erhielt. Und nicht nur dort: Für den Film wie für die bei­den Hauptdarsteller – die vor dem Dreh ein mona­te­lan­ges Training bei der Polizei von Los Angeles absol­viert hat­ten und bei vie­len Patrouillen mit dabei waren – reg­net es inzwi­schen Nominationen für Filmpreise.

Zu recht – nicht nur, was die Qualität des Films angeht. Denn «End of Watch» ist mehr als nur der Versuch, mit unge­wohn­ten Bildern und Erzählweisen die Sehgewohnheiten eines manch­mal über­sät­tig­ten Publikums zu durch­bre­chen. Der Film ist auch ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, Vernunft und Inspiration im Umgang mit Gewalt. Denn selbst wenn Taylor und Zavala prin­zi­pi­ell mit gezo­ge­ner Waffe in ein Haus gehen, wür­den sie eine ande­re Form der Konfliktlösung zwei­fel­los vor­zie­hen.

«End of Watch», USA 2012. Regie: David Ayer. Länge: 109 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2013