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Elgar, Vaughan Williams, Boult: Englisch und muster­gül­tig

Von François Lilienfeld – In der Ausgabe Juni/Juli 2013 von Ensuite habe ich die CD-Sammlung Sir Adrian Boult- from Bach to Wagner lobend bespro­chen. Inzwischen sind bei EMI zwei wei­te­re Boxen mit Boult-Aufnahmen erschie­nen; sie sind zwei Komponisten gewid­met, mit denen der bedeu­ten­de Dirigent beson­ders ver­bun­den war: Sir Edward Elgar (1857–1934) und Ralph Vaughan Williams (1872–1958).

Elgar war unzwei­fel­haft ein roman­ti­scher Komponist, auch wenn er ein Gutteil sei­nes Lebens im 20. Jhdt ver­bracht hat. Sein Werk ist geprägt von Größe – er leb­te noch im British Empire! – lan­gen melo­di­schen Bögen und einer enor­men Vielseitigkeit: Oratorien, Symphonien, Instrumentalkonzerte, aber auch Märsche, Kammermusik und Salonpiecen. Eine oft vor­han­de­ne epi­sche Breite ver­lei­tet vie­le Dirigenten zum Schleppen und Zelebrieren – die Folge kann Langerweile sein. Dies geschieht jedoch nie bei Boult. Er hat Elgar gut gekannt und hat ihn sei­ne Werke sel­ber diri­gie­ren hören. Er hat ver­stan­den, dass die bei ihm oft vor­kom­men­de Bezeichnung nobilm­en­te nicht mit lar­go oder gar len­to zu ver­wech­seln ist. Nach Elgars Tod stan­den Sir Adrian die zahl­rei­chen Plattenaufnahmen zur Verfügung, die der Komponist von eige­nen Werken ein­ge­spielt hat­te. Und Elgar war alles ande­re als ein pathe­ti­scher Dirigent! Das heißt nun nicht, dass Boult Elgars Dirigat kopiert, aber er hat sich die Grundzüge Elgarschen Musikverständnisses aneig­nen kön­nen. Im Übrigen hat er oft mit Komponisten über Interpretation dis­ku­tiert und war, im Rahmen sei­ner ange­bo­re­nen Bescheidenheit, auch bereit, kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Daraus ent­steht die ihm eige­ne Kombination von Werktreue und per­sön­li­cher Interpretation.

Solche Diskussionen hat­te er beson­ders häu­fig mit Ralph Vaughan Williams. Dieser war gele­gent­lich als Dirigent tätig, aller­dings hin­ter­lässt er bedeu­tend weni­ger Tondokumente als Elgar. Vaughan Williams spiel­te eine beson­ders wich­ti­ge Rolle in der Renaissance der Englischen Musik, einer Bewegung, die sich anfangs des 20 Jhdts auf das künst­le­ri­sche Erbe der bri­ti­schen Inseln besann und Einflüße der eng­li­schen Madrigalisten, aber auch der tra­di­tio­nel­len Volkslieder und ‑tän­ze über­nahm.

Sowohl Elgar wie Vaughan Williams blie­ben der Atonalität fern und waren in erster Linie Melodiker. Neben Dur und Moll fin­den wir aber bei Vaughan Williams, eng­li­scher Tradition gemäß, auch vie­le moda­le Stellen. Beide waren bril­li­an­te Orchestratoren, Elgar im roman­ti­schen Idiom, Vaughan Williams auf der stän­di­gen Suche nach neu­en Klangfarben. So trifft man bei ihm uner­war­te­te Klangkombinationen, wobei diver­se­ste Schlaginstrumente, aber auch Saxophone, eine wich­ti­ge Rolle spie­len kön­nen.

Die bei­den Boxen sind Gesamtausgaben, d.h. sie ent­hal­ten alle Aufnahmen, die Boult bei EMI mit Musik die­ser Komponisten ein­ge­spielt hat. Sie umspan­nen die Zeit von 1932–1978 (Elgar), bzw. 1940–1975 (Vaughan Williams). Einige Werke erschei­nen also mehr­mals. Dabei kön­nen fei­ne Unterschiede fest­ge­stellt wer­den, aber auch die Tatsache, dass Boult sei­nem Stil in Grundzügen treu bleibt: Interpretationen, die immer span­nungs­er­füllt, aber frei von Mätzchen sind, ein untrüg­li­cher Sinn für orche­stra­le Farben und ein fei­nes Gespür bei der Wahl der Solisten: Pablo Casals, Yehudi Menuhin, Ida Haendel, Paul Tortelier u.v.a. Dass Boult die fünf gro­ßen Londoner Orchester zur Verfügung hat­te, ist ein zusätz­li­cher Glücksfall.

Elgars Violinkonzert mit Menuhin oder Haendel, sein Cellokonzert mit Casals oder Tortelier – wahr­lich, wir sind im musi­ka­li­schen Schlaraffenland! Auch des Dirigenten Stimme kann man hören: Über Elgar›s Oratorium The Apostles hält er einen Vortrag mit Musikbeispielen, und die Aufnahmen, die bei den Proben zu der Oper The Pilgrim›s Progress von Vaughan Williams gemacht wur­den, sind auch end­lich wie­der zugäng­lich.

Mit die­sen zwei Sammlungen erhal­ten Freunde eng­li­scher Musik eine wah­re Schatzgrube; für Musikliebhaber, denen die­se zwei Komponisten noch fremd sind, ergibt sich eine Gelegenheit, Meisterwerke in muster­gül­ti­ger Interpretation ken­nen­zu­ler­nen.

Foto: zVg.
ensuite, November 2013