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Eine rebel­li­sche Versöhnung

Von Corinna Möller – Die Figur des Vaters nicht im Filmtitel auf­tre­ten zu las­sen, wür­de dem Inhalt des Films nicht gerecht wer­den, es wäre bei­na­he irre­füh­rend: «Vaters Garten – Die Liebe mei­ner Eltern» ist eine Art Tagebuch eines Ehepaars und zwei­er Menschen, die unter­schied­li­cher kaum sein könn­ten, aber mehr oder weni­ger ihr gesam­tes Leben mit­ein­an­der ver­bracht haben. Oder bes­ser gesagt: neben­ein­an­der. Der Mann hat schon immer getan was er tun woll­te, die Frau hat in sei­nem Schatten und dem Schatten sei­ner Aktivitäten gelebt. Sie selbst konn­te sich nie ver­wirk­li­chen, ist eigent­lich nur als Ehefrau und Mutter auf­ge­tre­ten, irgend­wann spä­ter dann auch und vor allem als gläu­bi­ge Katholikin. Der Mann schien schon immer eher mit der Aussenwelt ver­hei­ra­tet; und wenn das auch nicht für den gan­zen Mann zutrifft, dann doch zumin­dest auf sei­ne froh­mü­ti­ge und locke­re Seite, die bei der Arbeit, im Turnverein oder eben im eige­nen Garten aus­ge­lebt wur­de. Zuhause regiert die über alle Massen pedan­ti­sche Seite, die über alles den Überblick haben muss, in den kon­ser­va­tiv­sten Mustern denkt und, so kann man zumin­dest zunächst anneh­men, fühlt. Aber auch der Frau, die sich schon immer als depres­si­ve Natur ver­stan­den hat, waren die bei­den Kinder, die sich spä­te­stens ab der Pubertät nicht mehr so ver­hal­ten haben, wie es um des lie­ben Friedens wil­len von ihnen erwar­tet wur­de, unbe­quem. Die bei­den Kinder, die «Rebellen», das waren und sind Peter Liechti und sei­ne Schwester. Der Regisseur hat einen Film über sei­ne eige­nen Eltern gemacht. Die Beziehung zwi­schen Peter Liechti, inzwi­schen selbst über 60, und sei­nen Eltern kam der Mutter immer vor wie eine Dreiecksbeziehung; die Sache hat sich für die Mutter eigent­lich nie har­mo­nisch ange­fühlt. Dabei wäre gera­de die Harmonie das­je­ni­ge gewe­sen, das in einem Haushalt wie dem der Liechtis am mei­sten gewünscht wor­den und erwünscht gewe­sen wäre. Auch, um einen Anhaltspunkt weni­ger dafür haben zu müs­sen, dass der Sohn nach sei­nem Tod höchst­wahr­schein­lich in die Hölle kommt. Die Mutter und die Schwester, mitt­ler­wei­le eben­falls streng gläu­big, hof­fen in ihrer weib­li­chen Bescheidenheit auf den Himmel. Sicher sein kön­nen sie sich aber natür­lich nicht.

Auch wenn es schwer­fällt zu glau­ben, dass das Kind, das sich immer an den Wertvorstellungen und der Lebensweise der Eltern gerie­ben zu haben scheint, es schafft und schein­bar auch bedacht dar­auf ist, einen nicht wer­ten­den und von einem kind­li­chen Überlegenheitsgefühl gezeich­ne­ten Film über die­se Eltern zu machen, hat Peter Liechti eine Aufzeichnung des Lebens, der Vorstellungen, Träume und Wünsche der Eltern geschaf­fen, die von kaum mehr gefärbt ist als von der eige­nen Zerrissenheit und einem Wechselverhältnis aus Zuneigung, viel­leicht sogar Verständnis, und Distanz. Der Regisseur bringt Licht in das Dunkel, das als ein Lebensentwurf daher­kommt, der alle Parteien unbe­frie­digt zurück­lässt. Licht vor allem im Sinne von Beleuchtung, von genau­er hin­se­hen und sich mit etwas Selbstverständlichem befas­sen, das so selbst­ver­ständ­lich auf einen ein­ge­wirkt hat, dass man eines Tages das Bedürfnis ver­spürt, sein eige­nes Selbstverständnis in Frage zu stel­len.

Die Idee, die Beziehung zwi­schen ihm und sei­nen Eltern für sich selbst nach so lan­ger Zeit noch ein­mal genau­er zu betrach­ten, kam dem Regisseur nach einer uner­war­te­ten Begegnung mit dem Vater in der Öffentlichkeit, die bei­de Männer sich unan­ge­nehm berührt und «ertappt» füh­len ließ. Sowohl die Erkenntnis, Teil eines irgend­wie gestör­ten Vater-Sohn- bzw. Eltern-Kind-Verhältnisses zu sein, als auch die Wahrnehmung eines Perspektivenwechsels in der eige­nen Sichtweise, die den Vater plötz­lich als einen Fremden in der moder­nen Welt wahr-nimmt, gaben Anlass für das Porträt. Es folg­te ein Film, der sei­ne Geschichte, die Geschichte der Eltern mit Zitaten aus Interviews erzählt. Dies wird den Zuschauenden zu Beginn mit­ge­teilt, und man erwar­tet nicht, dass ein Film, der eigent­lich nur mit der Erinnerung und den Herzen zwei­er Menschen gefüllt ist, so flüs­sig und vor allem «voll­stän­dig» wir­ken kann. Der Sohn stellt Fragen, die Eltern ant­wor­ten – der Sohn lenkt, die Eltern fol­gen, möch­te man trotz der ver­meint­li­chen Freiheit den­ken. Und obwohl die sub­jek­ti­ve Sichtweise auch bei die­ser Dokumentation natür­lich eine gro­ße Rolle spielt, sind die Fragen zum einen so offen gestellt, dass die Eltern viel, viel­leicht tat­säch­lich genü­gend Raum haben, um ihren Gedanken frei­en Lauf zu las­sen. Und zum ande­ren neh­men sich die bei­den auch ein­fach den Raum, der ihnen für ihre Antworten zusteht. Und wenn die Antworten mal am Thema vor­bei­ge­hen, es bewusst nicht strei­fen wol­len, dann sagt das min­de­stens genau­so viel über Heidi und Max Liechti aus wie der Rest der teil­wei­se erstaun­li­chen, uner­war­te­ten und gleich­zei­tig so bere­chen­ba­ren Worte, die dem Film so viel Tiefe ver­lei­hen.

«Vaters Garden», Schweiz 2013. Regie:
Peter Liechti. Länge: 93 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013