Ein Tagebuch der Nacht

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einaudiVon Luca D’Alessandro – Vor drei Jahren hat der Turiner Pianist Ludovico Einaudi mit «Divenire» ein klang­far­ben-präch­ti­ges Album geschaf­fen, mini­ma­li­stisch ele­gant und lei­den­schaft­lich. Im Vergleich dazu ist sein aktu­el­les Oeuvre «Nightbook» als Gegenpol zu betrach­ten – zumin­dest the­ma­tisch. Wie der Titel ver­mu­ten lässt, wid­met sich «Nightbook» der Welt der Träume und Mysterien, den dunk­len Seiten des Unterbewusstseins. «Das Album ist eine Reise und jedes Stück ist wie ein Kapitel einer Geschichte oder die Facette eines Prismas. Ein Weg, zu einer tie­fe­ren Ebene von uns selbst vor­zu­drin­gen. Die Musik öff­net die Pforten zu ver­bor­ge­nen Welten und ermög­licht es dem Hörer, mit sei­nen geheim­sten Emotionen in Kontakt zu kom­men», sagt Ludovico Einaudi.

Ludovico Einaudi ent­stammt einer berühm­ten Familie. Sein Vater Giulio ist der Gründer des ange­se­he­nen Turiner Verlagshauses, der Grossvater Luigi war von 1948 bis 1955 Präsident der ita­lie­ni­schen Republik. Regelmässig fan­den sich in Ludovicos Elternhaus Politiker, Künstler, Medienschaffende und Autoren ein. In die­sem intel­lek­tu­ell-künst­le­risch gepräg­ten Ambiente lern­te er schon von klein auf die Kunst des Klavierspielens. In den Achtzigern besuch­te er das Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand, wo er das Diplom in Komposition erlang­te.
Sein Repertoire ist beach­tens­wert und wird nicht nur in Italien geschätzt. In der ersten Novemberhälfte war Einaudi in ganz Europa unter­wegs: In den Konzerthäusern von Innsbruck, Prag und Amsterdam fand «Nightbook» gebüh­ren­de Anerkennung.

ensuite-kul­tur­ma­ga­zin hat den Meister der Atmosphäre getrof­fen: Ein Gespräch über dunk­le Seiten, hell­blaue Türme und Planetenbahnen.
Ludovico Einaudi: «Nightbook ver­kör­pert eine dunk­le Seite der Seele, es berührt die inti­men Bereiche des Unterbewusstseins.»
Weshalb haben Sie gera­de die­se dunk­le inne­re Seite erkun­den wol­len?

Es steckt kei­ne Absicht dahin­ter: Die Stücke sind über meh­re­re Jahre hin­weg ent­stan­den und mün­de­ten schliess­lich ins aktu­el­le Album. Sie bezie­hen sich auf Erlebtes und auf Orte, die mich inspi­riert haben. Vor ein paar Jahren hat­te ich einen Auftritt in Mailand im Hangar Bicocca, einem ehe­ma­li­gen Industriekomplex, wo der deut­sche Künstler Anselm Kiefer eine Installation mit dem Titel «I Sette Palazzi Celesti» (die sie­ben hell­blau­en Türme) errich­tet hat­te. Das Ambiente hat­te eine mystisch-magi­sche Wirkung auf mich. In dem Moment war mir bewusst, dass mein Standardrepertoire nicht zu die­sem Konzept pas­sen wür­de. Ich muss­te mir etwas ein­fal­len las­sen; etwas, das sich aku­stisch in die­sen Ort ein­fü­gen lässt. Später, in einem ähn­li­chen Kontext in Rom, habe ich das Konzept aus­ge­baut. Mit den Jahren hat sich ein Leitfaden erge­ben, den ich auf «Nightbook» fest­ge­hal­ten habe.
Sie sagen, es ver­kör­pe­re eine dunk­le Seite der Seele. Es scheint fast, als wür­den Sie die eige­nen dunk­len Seiten erkun­den.
So wür­de ich es nicht aus­drücken. In sich hin­ein­hor­chen, ist nicht zwin­gend nega­tiv. Im Gegenteil: Es hat doch etwas Gutes, wenn man sich gegen­über dem Unterbewusstsein öff­nen kann. Ich bin kein Mensch, der nur an der Oberfläche kratzt. Ich brau­che die Tiefgründigkeit. Die Nacht bie­tet die Plattform dazu. Viele Dichter und Musiker haben sich an der Dunkelheit der Nacht inspi­riert, wes­halb soll ich es ihnen nicht gleich tun?
Titel wie «Rêverie» oder «The Planets» sind typi­sche Symbole der Nacht.
Ja, Letzteres hat etwas Schwebendes an sich, als ob man ins letz­te Zimmer eines Hauses tre­ten wür­de: ein Zimmer ohne Boden. Plötzlich steht man im Nichts. Es ist eine aku­sti­sche Konstruktion mit vier über­la­gern­den Variationen. Jede die­ser Variationen steht für einen Planeten. Die Bahnen der Planeten kreu­zen sich immer wie­der, stets in einer ande­ren Konstellation.
In der Astrologie haben Planeten einen mystisch-sym­bo­li­schen Charakter. Welche Symbole haben Sie Ihren Planeten gege­ben?
Ich möch­te nicht von Symbolik spre­chen. Vielmehr ist es ein Gedanke, der die Beziehungen im Leben erfasst. Wie spie­len die­se zusam­men? Das ist die Frage, die ich mir stel­le. Daraus las­sen sich unge­ahn­te Bewegungen ablei­ten.
Aus sti­li­sti­scher Sicht lässt sich Nightbook nur schwer ein­ord­nen. Es ist pri­mär klas­sisch, ent­hält aber auch Elemente aus der Elektronik und des Jazz. Wo sehen Sie sich?
Etiketten ent­spre­chen mir nicht. Ich will nicht, dass man mich einem ein­zi­gen Genre zuord­net. Jeder Musiker unter­liegt unter­schied­li­chen Einflüssen. Dies hat damit zu tun, dass er sich tag­ein, tag­aus mit ver­schie­de­nen Genres befasst. In mei­nem Leben habe ich dies­be­züg­lich reich­hal­ti­ge Erfahrungen gemacht.
Können Sie die­se beschrei­ben?
Ich habe eine klas­si­sche Ausbildung gemacht, inter­es­sie­re mich aber auch für folk­lo­ri­sti­sche Elemente, für den Jazz und den Rock. Meine Musik beinhal­tet all die­se Stile. Ich erschaf­fe musi­ka­li­sche Formen, die viel frei­er sind, als es Folkloristische jemals sein kön­nen.
In gewis­ser Hinsicht sind Ihre Formen auch moder­ner: Sie wer­den pas­sa­gen­wei­se von einem elek­tro­ni­schen Schlagzeug beglei­tet.
Das ist kor­rekt. Robert Lippok, ein Soundingenieur aus Berlin, unter­stützt mich in mei­nen Experimenten. Es sind Begleitungen, die er syn­chron mit mir gene­riert. Ich spie­le eine Melodie am Klavier und er schafft das pas­sen­de Ambiente dazu.
Spontan oder nach Drehbuch?
Das Ganze geschieht spon­tan. Es ist rei­ne Improvisation.
Welches sind Ihre näch­sten Pläne?
Im Dezember gehe ich in Italien auf Tournee. Ich wer­de in ver­schie­de­nen Grossstädten auf der Bühne sein.
In der Schweiz sind Sie nicht anzu­tref­fen?
Gegenwärtig ist kein Konzert vor­ge­se­hen. Warten wir es ab. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit. Ich habe ein­mal eines in Zürich gege­ben, dar­an habe ich gute Erinnerungen. Wer weiss?
Info: Ludovico Einaudi, «Nightbook» (Ponderosa Music & Art) www.einaudiwebsite.com

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