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Ein Rückblick auf die 14. Ausgabe des NIFFF: Operationen am offe­nen Auge

Von Sandro Wiedmer – Das Neuchâtel International Festival du Film Fantastique wächst und wächst, und schliesst auch die­ses Jahr wie­der mit einem neu­en Publikums-Rekord: 33 000 Leute, das sind rund 2 000 mehr als letz­tes Jahr, sahen sich in fünf Kino-Sälen wäh­rend neun Tagen Filme aus dem Angebot von 80 Langspielfilmen und 28 Kurzfilmen an, nah­men an Workshops und Symposien teil, wohn­ten Vorträgen und Konferenzen bei.

Dabei darf gesagt wer­den, dass den Verantwortlichen der Erfolg nicht in den Kopf gestie­gen ist: das Festival lebt aus­schliess­lich von der Liebe zum Kino, kommt schlicht und unprä­ten­ti­ös daher wie seit sei­ner Gründung im Jahr 2000. Damals stand H.R. Giger Pate, wel­cher auch den Hauptpreis des NIFFF, den «Narcisse» gestal­tet hat. Die dies­jäh­ri­ge Ausgabe gedach­te dem am 12. Mai ver­stor­be­nen Künstler mit einer klei­nen Filmreihe mit Werken von ihm und über ihn. Ein wei­te­rer Tribut wur­de die­ses Jahr Kevin Smith mit einer Retrospektive zuteil, Ikone des Independent Cinema Amerikas, der auch zu den gela­de­nen Gästen zähl­te. Im Rahmen der «New Worlds of Fantasy» war zudem George R.R. Martin als Ehrengast in Neuenburg, der «Amerikanische Tolkien», Autor von «Songs of Fire and Ice», der Vorlage für die Fernsehserie «Game of Thrones». Beide Gäste stell­ten sich den Fragen des Publikums, wobei der rede­ge­wand­te Kevin Smith (a.k.a. Silent Bob aus sei­nen «Clerks»-Filmen) kaum Fragen brauch­te, um für Unterhaltung zu sor­gen. George R.R. Martin sprach über die Quellen sei­ner Inspiration und über sei­ne Arbeitsprozesse als Schriftsteller. Als Neuheit ste­hen bei­de Veranstaltungen, die Schluss-Zeremonie mit der Preisverleihung, und Interviews mit den anwe­sen­den Regisseuren als Live-Stream auf der Homepage des Festivals zur Verfügung (www.nifff.ch).

Wer ger­ne Filme aus Asien hat, ist die­ses Jahr gut bedient gewe­sen. Neben dem Wettbewerb für den besten Asiatischen Film, «New Cinema from Asia», hat das NIFFF, aus Anlass des 150. Jubiläums der Unterzeichnung des Freundschafts- und Handelsvertrags zwi­schen der Schweiz und Japan unter der Federführung des Neuenburgers Aimé Humbert mit dem Musée d’Ethnographie de Neuchâtel zusam­men­ge­spannt: wäh­rend das Museum mit der Ausstellung «Imagine Japan» die zen­tra­len Elemente aus Humberts Buch «Le Japon Illustré» auf­nimmt und zeigt, wie viel die­ses Werk zur west­li­chen Wahrnehmung Japans bei­getra­gen hat, wid­me­te das NIFFF unter dem Titel «Le Japon Imaginaire» eine Filmreihe dem aktu­el­len Filmschaffen Japans, wel­ches in allen Bereichen des fan­ta­sti­schen Films die das Festival beinhal­tet viel zu bie­ten hat. Gleichzeitig ver­schaff­te die Serie tie­fe Einblicke in die­se uns eher frem­de Gesellschaft. So lern­ten wir zum Beispiel, dass es im Land der auf­ge­hen­den Sonne einen Trend gibt mit Filmen, wel­che rea­le Ereignisse auf­grei­fen von erzürn­ten Eltern, die Lehrpersonal gewalt­tä­tig attackie­ren weil ihr Kind schlech­te Noten bekom­men hat. Oder wir sehen die Beziehungsprobleme hin­ter den Kulissen einer Show mit Namen «Girl’s Blood», wel­che in ver­schie­de­nen Martial Arts trai­nier­te Frauen auf der Bühne in mehr oder weni­ger insze­nier­ten Kämpfen auf­ein­an­der los­ge­hen lässt. Und natür­lich dür­fen die Animes nicht feh­len, die zei­gen, war­um Mangas und Animationsfilme in Japan durch­aus nicht nur für Kinder gedacht sind.

Im inter­na­tio­na­len Wettbewerb war zudem ein neu­es Werk des regel­mäs­sig ver­tre­te­nen Japaners Takashi Miike zu sehen, «The Mole Song – Undercover Agent Reiji», eine adap­tier­te Manga-Geschichte um einen in einen Yakuza-Clan ein­ge­schleu­sten Polizisten, mit wel­cher sich der uner­müd­lich arbei­ten­de Regisseur in der Ausstattung, den Kostümen und der Inszenierung wie­der ein­mal frei­en Lauf gelas­sen und einen grim­mi­gen, aber höchst ver­gnüg­li­chen Thriller abge­lie­fert hat. Zu Recht hat er damit den Preis «Imaging the Future» für das beste Produktions-Design gewon­nen. Mit dem Preis der «International Competition», dem «Narcisse» aus­ge­zeich­net wur­de die­ses Jahr «Housebound» von Gerard Johnstone, eine Horror-Komödie aus Neuseeland. Eine jun­ge Kleinkriminelle wird nach einem miss­glück­ten Delikt zu Hausarrest im Haus ihrer Mutter ver­dammt, in wel­chem die­se übel gesinn­te Geister wahr­zu­neh­men scheint. Mit der an ein mit einem Fluch beleg­tes Haus mit­tels elek­tro­ni­scher Fussfessel gebun­de­nen Protagonistin beweist der Regisseur in einer wohl­tem­pe­rier­ten Mixtur aus Komödie, Schock-Effekten und Gesellschafts-Studie, dass dem Motiv des «Haunted House» durch­aus noch neue Seiten abzu­ge­win­nen sind. Die Konkurrenz um den «Narcisse» war stark. Mit dem «Mélies d’Or» für den besten euro­päi­schen Film wur­de «Blind» von Eskil Vogt aus­ge­zeich­net, die Geschichte um eine erblin­de­te Frau, deren Welt zuneh­mend von ihren Fantasien durch­drun­gen wird. Die erste eigen­stän­di­ge Regie-Arbeit des Norwegers für einen Spielfilm zeich­net sich aus durch die Einfühlsamkeit und Vielschichtigkeit, mit wel­cher die Tragödie der Hauptdarstellerin nicht ohne ver­hal­te­nen Humor dar­ge­stellt wird. Den «Prix RTS du Publique», den Publikumspreis, wel­cher dem Film einen Platz im Programm der «Midnight Movies» des Fernsehens der wel­schen Schweiz beschert, hat «What We Do In The Shadows» gewon­nen, das Werk der Macher der irr­wit­zi­gen Fernseh-Serie «The Flight Of The Conchords» aus Neuseeland. Hier haben Jemaine Clement und Taika Waititi einen Mockumentary insze­niert, in wel­chem eine Film-Crew die Nächte einer Wohngemeinschaft von Vampiren aus ver­schie­de­nen Zeitaltern beglei­tet, in wel­cher nie­mand den Abwasch täti­gen will.

Mit dem Preis für den besten Film aus Asien, der an «Yasmine: The Final Fist» der Regisseurin Siti Kamaluddin ging, hono­rier­te die Jury den ersten Film aus dem streng isla­mi­schen Sultanat Brunei, der seit fünf­zig Jahren dort rea­li­siert wur­de – nach dem im letz­ten, in den 60er-Jahren gedreh­ten, vom Ministerium für Religion pro­du­zier­ten Streifen der Bevölkerung ein­ge­impft wor­den war, wie gutes Verhalten aus­zu­se­hen hat. Der erste Martial-Arts Streifen über­haupt, der im Kleinstaat Brunei gedreht wur­de, ist denn auch unter Mithilfe aus Indonesien ent­stan­den. Für die Inszenierung der Kampf-Sequenzen wur­de zudem Chan Man-Ching her­bei­ge­zo­gen, der durch sei­ne Choreografien für die Filme von Jackie Chan Bekanntheit erlangt hat. Auch im asia­ti­schen Wettbewerb war die Konkurrenz gross. Nicht zuletzt galt es anzu­tre­ten gegen einen Film just aus Indonesien, «The Raid 2 – Berandal» des in Wales gebo­re­nen, nach Indonesien aus­ge­wan­der­ten Gareth Evans, wel­cher schon mit dem Action-Kracher «The Raid – Redemption» (2011) für Aufmerksamkeit gesorgt hat­te. Mit dem Helden Rama aus dem Vorgänger, wel­cher nun in den mäch­tig­sten indo­ne­si­schen Mafia-Clan ein­ge­schleust wird, wo er sich gleich­zei­tig mit kor­rup­ten Polizisten und einem Ableger der japa­ni­schen Yakuza anle­gen muss, schafft Evans einen Action-Thriller mit epi­schen Dimensionen, der sich an Klassikern von Coppola und Scorsese ori­en­tiert, gleich­zei­tig aber ein Feuerwerk an Action ent­zün­det, wel­ches sei­nes­glei­chen sucht, dar­in ent­hal­ten eine spek­ta­ku­lä­re Auto-Verfolgungsjagd, die in die Geschichte ein­ge­hen wird. Wir dür­fen gespannt sein, ob das zwei­ein­halb­stün­di­ge Werk zu den weni­gen im Rahmen des Festivals gezeig­ten Filmen gehö­ren wird, die hier­zu­lan­de einen Verleih fin­den. (Nachtrag: es wird! Filmstart: 14. August).

Gerade ein­mal für drei Filme waren die Vorstellungen am NIFFF Vorpremieren, ist der Kinostart für die Schweiz bereits geplant. Der Eröffnungsfilm, «The Zero Theorem» von Terry Gilliam, wird im November zu sehen sein. Schon 2005 mit «Tideland» Ehrengast des Festivals, liess Gilliam das Publikum in einer Video-Botschaft wis­sen, dass er und Autor Pat Rushin vor über zehn Jahren «The Zero Theorem» als Science Fiction-Film ange­legt hät­ten, inzwi­schen habe jedoch die Realität auf­ge­holt. Der kahl gescho­re­ne Christoph Walz spielt dar­in einen Computer-Hacker, der im Auftrag eines Konzern-Managements den mathe­ma­ti­schen Beweis erbrin­gen soll, dass die Addition von allem schluss­end­lich nichts, die voll­kom­me­ne Leere ergibt: das Chaos als das idea­le Geschäftsmodell, den Menschen die dage­gen anzu­füh­ren­den Ordnungsprinzipien zu ver­kau­fen. An «Brazil» (1985) anknüp­fend wird die Geschichte in opu­len­ten, dem Retro-Futurismus hul­di­gen­den Dekors erzählt. In Gast-Auftritten sind unter ande­ren David Thewlis, Tilda Swinton und Matt Damon zu sehen. Im September wird «Calvary» von John Michael McDonagh in die Kinos kom­men. Nach sei­ner ersten Regiearbeit für «The Guard» (2011) arbei­te­te McDonagh auch hier wie­der mit Brendan Gleeson zusam­men, wel­cher in der Thriller-Komödie den schlitz­oh­ri­gen iri­schen Cop ver­kör­pert hat­te. Hier gibt er den gut­her­zi­gen Priester Father James Lavelle, dem im Beichtstuhl ange­kün­digt wird, dass er am näch­sten Sonntag umge­bracht wer­den soll: Der Beichtende wur­de als Kind von einem Kirchenvater miss­braucht; da die­ser jedoch längst gestor­ben ist, sieht er nach einer ver­dreh­ten Logik den Mord an einem guten, all­seits belieb­ten Priester als ein­zi­gen Weg, die Missetat zu süh­nen. Der Name des fik­ti­ven Kaffs in Irland, das dem Film den Namen gibt, ver­weist unzwei­deu­tig auf den Kalvarienberg, die letz­ten Tage vor sei­nem ange­kün­dig­ten Tod wer­den für den Priester zum Passionsweg. Im Gegensatz zu «The Guard» tritt hier der Humor eher in den Hintergrund, statt des­sen fin­det eine fein­füh­li­ge, zutiefst mensch­li­che Auseinandersetzung mit der katho­li­schen Kirche und ihrem unaus­lösch­li­chen Einfluss auf die Geschichte Irlands statt. Bereits im August wird «Under the Skin» von Jonathan Glazer gezeigt, die drit­te Spielfilm-Arbeit des Briten, der zuvor vor allem Werbefilme und Musik-Videos, unter ande­ren für Massive Attack, Radiohead und Nick Cave & The Bad Seeds gedreht hat­te, bevor er mit «Sexy Beast» (2000) sein Kino-Debut gab. Mit spär­li­chen Dialogen, in lan­gen Einstellungen und küh­len Bildern ver­fol­gen wir die Aktivitäten von Scarlett Johansson, wel­che als Alien in Menschengestalt mit­tels ihrer Verführungskünste rei­hen­wei­se Männer in ein nicht näher defi­nier­tes Jenseits beför­dert, buch­stäb­lich ver­schwin­den lässt. Der an ver­schie­de­nen Festivals kon­tro­vers auf­ge­nom­me­ne, in Schottland gedreh­te Film lebt, mit erle­se­ner Fotografie, unter­legt von einem beun­ru­hi­gen­den Soundtrack, vor allem von Stimmungen – eine Art Meditation über Liebe, Sex und Einsamkeit.

Als ein­zi­ges Festival der Schweiz für den Genre-Film, mit einer Ausstrahlung, die mitt­ler­wei­le weit über die Landesgrenzen hin­aus reicht, hat das NIFFF auch die­ses Jahr wie­der den Beweis erbracht, dass die oft mit gerin­gen Budgets gedreh­ten, unab­hän­gi­gen Produktionen Themen auf­grei­fen, an die sich die gros­sen Studios kaum je wagen wür­den, zum Teil in einer inno­va­ti­ven Filmsprache, die als Zumutung an das Publikum ein­ge­schätzt wird. Dass es in die­ser Hinsicht immer wie­der Perlen zu ent­decken gibt, ist sicher­lich auch der wie immer umsich­ti­gen Programm-gestal­tung zu ver­dan­ken, einer der Qualitäten des Festivals. So gab es die­ses Jahr zum Beispiel «White God» zu sehen, den Film aus Ungarn von Kornél Mundruczó, der in ein­zig­ar­ti­ger Weise anhand der Beziehung zwi­schen Menschen und ihrem treue­sten Begleiter, dem Hund, eine Parabel schafft zu Rassismus und Fremdenhass, die unter die Haut geht. Oder «La Santa» des Italieners Cosimo Alemà, der ein Quartett von Kleinkriminellen in ein klei­nes Städtchen in Süditalien ver­schlägt, in dem jeder Fremde auf­fällt, um die Statuette der Orts-Heiligen zu steh­len, wor­auf die Bewohner des Ortes zum Lynch-Mob mutie­ren. Der austra­li­sche Film «These Final Hours» von Zak Hildich the­ma­ti­siert die Bedrohung der Menschheit durch eine nicht näher beschrie­be­ne Katastrophe, schil­dert die unter­schwel­li­ge Barbarei, die eine dem Untergang geweih­te Gesellschaft unter der dün­nen Oberfläche der Zivilisation zum Vorschein tre­ten lässt, von der exzes­si­ven letz­ten Party über Vergewaltigung und Mord bis zum Selbstmord.

Dann gibt es natür­lich auch immer wie­der die für das Festival typi­schen Filme, wel­che mit weni­ger Sinn bela­den sind, zur Unterhaltung die­nen, meist in der Sektion «Ultra Movies» unter­ge­bracht und nach Mitternacht zu sehen. Dieses Jahr etwa «Død Snø 2 – Red vs. Dead» des Norwegers Tommy Wirkola, die mit Spannung erwar­te­te Fortsetzung von «Død Snø» (2009), in wel­cher wie­der­um Nazi-Zombies ihr Unwesen trei­ben. Oder «Wolfcop» des Kanadiers Lowell Dean, wor­in ein Polizist zum Werwolf mutiert, was ihn jedoch nicht dar­an hin­dert, sei­ne Rolle als Gesetzeshüter wahr­zu­neh­men: allen­falls hilft sei­ne furcht­erre­gen­de Gestalt bei der Verbrecherjagd. Völlig abge­dreht geht es auch in «Zombeavers» des Amerikaners Jordan Rubin zu und her, des­sen Titel Programm ist. Die unto­ten Nagetiere sind so bil­lig gemacht, der Streifen nimmt sich so wenig Ernst dass es eine rei­ne Freude ist. Das sind die Gelegenheiten, da das Publikum jeweils laut­stark mit­fei­ert, die Toten Leben in die Bude brin­gen. Auch das ist das NIFFF!


Bild: «Blind» von Eskil Vogt, 2014, zVg.

 

Publiziert: ensuite Nr. 140,  August 2014