«Ein gutes Zeichen für unse­re Stadt»

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Interview mit Franziska Teuscher von Lukas Vogelsang – In Bern sind Wahlen ange­sagt. Doch die Politik redet nur über die Wichtigkeit von Kultur – den kul­tu­rel­len Auftritt aber scheu­en die Meisten. Nicht so das Grüne Bündnis, die ein­zi­ge Partei, wel­che sich bei ensuite – kul­tur­ma­ga­zin um einen Auftritt bemüh­te. Grund genug für uns, mit Franziska Teuscher zu plau­dern:

Erst mal müs­sen wir den Begriff «Kultur» defi­nie­ren. Sonst reden wir nicht von der glei­chen Sache: Was heisst «Kultur» für Sie, Frau Teuscher?

Eine gute Frage, aber auch eine schwie­ri­ge Frage. Kultur ist in unse­rem Alltag in aller Leute Munde: Kulturliebhaber und Kulturkritiker, Kulturförderung oder Kulturschock, ja sogar von Kulturpflanzen oder von poli­ti­scher Kultur ist die Rede. Um bei einer ein­fa­chen Definition zu begin­nen, die mir als Biologin am näch­sten liegt: Kultur ist der Gegenbegriff zu Natur. Diese ist dem Menschen vor­ge­ge­ben, Kultur dage­gen schafft der Mensch. Was mir an die­ser Definition gefällt: die Kultur ist ein umfas­sen­der Begriff. Kultur drückt für mich ein leben­di­ges Selbstverständnis in einer Gesellschaft aus, und sie prägt jeden ein­zel­nen Menschen. Daher trägt jeder Mensch auch unter­schied­li­che Vorstellungen über Kultur in sich.

Was hat das Grüne Bündnis für die Kultur in Bern getan? Oder was ist das Parteiprogramm für Kultur? Ist Velofahren dem Grünen Bündnis Kultur genug?

Velofahren ist auch Kultur…. Aber sicher nicht Kultur genug. Kultur ist für das Grüne Bündnis wich­tig. Nicht nur in der Schweiz füh­len sich vie­le Kulturschaffende den Grünen nahe, weil sie wohl auch Neues ver­su­chen wol­len, wie wir Grünen auch.

Das Grüne Bündnis hat sich sehr für den PROGR ein­ge­setzt. Ich wür­de sogar sagen, der PROGR sei ein Symbol für unse­re Politik: Vielfalt för­dern und eine offe­ne Gesellschaft stär­ken. Der PROGR ist für mich auch ein gelun­ge­nes Beispiel der kul­tu­rel­len Umnutzung: ich ging noch in den PROGR zur Schule und habe in der heu­ti­gen Beiz noch geturnt. Ein ech­ter Kulturwechsel!

Das Grüne Bündnis setzt in sei­nem Kulturverständnis auf Breite: Wir wol­len nicht nur gros­se sub­ven­tio­nier­te Kulturbetriebe, son­dern wir unter­stüt­zen Kultur in den Quartieren, auch von Menschen mit Migrationshintergrund, oder auch Laienkultur.

Die Stadt Bern hat seit über einem Jahr kein Kulturkonzept mehr, und das letz­te «Konzept» war ein Budget – ohne Strategie. Es fehlt an jeg­li­cher Basis, ernst­haft Kulturförderung betrei­ben zu  kön­nen. Deswegen ver­lei­tet es den jet­zi­gen Stadtpräsidenten, Alexander Tschäppät, zu Aussagen wie: «Solange ich das Kulturbudget von Bern ver­ant­wor­te, soll es Shnit (dem Kurzfilmfestival / Anmerk. d. Redaktion) an Geld nicht feh­len.» Hat das Grüne Bündnis eine etwas kla­re­re Idee, wie Bern zu einem intel­li­gen­ten Kulturkonzept kommt, und wie man die­se Willkürförderung in Griff krie­gen kann?

Kultur gehört zu Bern, des­halb braucht die Stadt Bern auch eine Kulturstrategie, um ihr kul­tu­rel­les Profil zu schär­fen. Meine Parteikollegin Christine Michel hat im Stadtrat von Bern ein Auslegeordnung ver­langt, auf Grund derer neue Visionen for­mu­liert und rea­li­siert wer­den kön­nen.

Ich hof­fe, dass die Stadt Bern nicht Willkürförderung betreibt, denn das wäre fatal. Es ist sicher schwie­rig zu ent­schei­den, wen die Stadt Bern finan­zi­ell unter­stüt­zen will. Weil das Budget nur begrenzt ist, wird es sicher immer Institutionen geben, die leer aus­ge­hen. Und lei­der schwimmt die Stadt Bern nicht im Geld, so dass auch das Kulturbudget kaum erhöht wer­den kann. Wichtig scheint mir aber, dass nicht jedes Jahr immer nur die­sel­ben Projekte unter­stützt wer­den. Die Unterstützungsbeiträge sol­len Jahr für Jahr der kul­tu­rel­len Vielfalt Rechnung tra­gen und auch Neuem eine Chance geben. Die Stadt Bern ist auch das kul­tu­rel­le Zentrum in der Agglomeration Bern, ja, bei gewis­sen Einrichtungen auch für den gan­zen Kanton Bern. Ich wür­de mich daher freu­en, wenn die Stadt dank einer enge­ren Zusammenarbeit mit den Nachbarsgemeinden mehr Mittel für Kulturprojekte hät­te. So könn­te mehr rea­li­siert wer­den, und wir könn­ten eine ech­te kul­tu­rel­le Vielfalt pfle­gen.

Mit der Kulturförderungspraxis bin ich ja auch ein hef­ti­ger Kritiker von Tschäppät gewor­den: Mit der offi­zi­el­len Begründung, dass er «die Konkurrenz nicht för­dern wol­le», erhält ensuite – kul­tur­ma­ga­zin seit Jahren kei­ne finan­zi­el­le Unterstützung von der Stadt – und des­we­gen, unter dem Joch der Subsidiarität, auch nicht vom Kanton. Hier formt eine komi­sche Auffassung von öffent­li­chem Dienst und pri­va­ten Interessen die Stadtführung. Ist das auch Ihre Auffassung von Führungsmacht? Wie wür­den Sie, Frau Teuscher, einem Kind erzäh­len, was Sie unter Gerechtigkeit ver­ste­hen und was Sie tun, um die Welt für die näch­sten Generationen etwas bes­ser zu machen?

Ob die aktu­el­le Kulturförderung gerecht ist oder nicht, kann ich nicht beur­tei­len, dafür ken­ne ich das Kulturdossier zu wenig.

Gerechtigkeit ist für mich eine ethi­sche Grundhaltung, deren Wahrnehmung vom sub­jek­ti­ven Empfinden jedes ein­zel­nen abhängt. Jedes Kind kann nach­voll­zie­hen, dass es unge­recht ist, wenn irgend­wer sehr viel und jemand ande­res viel weni­ger bekommt. Und jedes Kind wür­de sagen: es braucht kla­re Abmachungen, wie man etwas ver­teilt. Das gilt für mich auch für das Kulturbudget: sicher kann man nicht allen Projekten gleich viel geben, aber es braucht nach­voll­zieh­ba­re Regeln, nach denen das Geld ver­teilt wird. So kom­men wir wohl am ehe­sten zu einer mehr oder weni­ger gerech­ten Verteilung der Kulturgelder.

Ich ver­mu­te, in nicht fer­ner Zukunft wird die Stadt Bern einen Dachverband haben, bei wel­chem sowohl frei­schaf­fen­de KünstlerInnen und Kulturschaffende wie auch Institutionen und Veranstalter mit­wir­ken. Ich ver­mu­te, dass ein koor­di­nier­tes Kulturbern schnel­ler vor­an kommt. Bekult ist zwar ein guter Anfang. Aber es braucht jetzt einen star­ken Verband, in wel­chem alle kul­tu­rel­len Akteure zusam­men­kom­men, um gemein­sam ihre Anliegen vor­an­zu­trei­ben. Arbeitstitel: akult. Diese Vereinigung soll für die Stadt Bern eine erste und die wich­tig­ste Ansprechpartnerin in kul­tu­rel­len Belangen sein. Die Stadt unter­stützt die­sen Verband mass­geb­lich, und darf dafür auch erkenn­ba­re Gegenleistungen erwar­ten (zum Beispiel in der öffent­li­chen Kommunikation, oder bei der Erarbeitung einer Kulturstrategie für die Stadt Bern). – Womit wir wie­der beim ursprüng­li­chen Thema ange­kom­men wären.

Ich begrüs­se die Idee eines brei­ten Daches, unter dem alle Platz haben, die sich zur Kulturszene zäh­len. Ein sol­cher Dachverband könn­te der Stadt Bern zu einer leben­di­gen, kul­tu­rel­len Vielfalt ver­hel­fen.

Die Nachtlebendiskussion hat in die­sem Sommer mit dem geschichts­träch­ti­gen «Tanz dich frei»-Marsch für Aufsehen gesorgt. Wer sich an einem nor­ma­len Freitagabend in der Nähe vom Bollwerk oder auch in der Altstadt auf­hält, traut sei­nen Augen nicht: Es sind tau­sen­de von Jugendlichen auf den Strassen, bei den Clubs, Bars und natür­lich der Reitschule. Noch vor eini­gen Jahren hiess es, in Bern sei nichts los – jetzt haben wir zu wenig Platz, zu vie­le Ansprüche und kei­ne Handhabung. Was ver­mu­ten Sie, ist mit unse­rer Gesellschaft gesche­hen, wohin bewe­gen wir uns?

Mir gefällt es, dass sich die Jugendlichen ger­ne in der Stadt Bern tref­fen. Das ist ein gutes Zeichen für unse­re Stadt. Ich kann einer­seits nach­voll­zie­hen, dass die Jugendlichen lie­ber in der urba­nen Stadt Bern in den Ausgang gehen als in einem Quartier, in einer Agglomerationssiedlung oder in einem Dorf. Die Stadt Bern soll durch­aus auch in Zukunft eine Magnet für die Jugendlichen blei­ben, wo man sich ger­ne trifft. Aber auch hier braucht es eine gute Zusammenarbeit mit den umlie­gen­den Gemeinden, die auch ihren Beitrag an die Stadt Bern lei­sten müss­ten, damit die­se den Jugendlichen ein attrak­ti­ves und alters­ge­rech­tes Angebot zur Verfügung stel­len kann.

Andererseits sind die ande­ren Gemeinden auch in der Pflicht. Auch sie müs­sen den Jugendlichen Freiräume anbie­ten, in denen man sich unge­zwun­gen tref­fen kann. Dasselbe gilt für die Stadt in den Quartieren. Hier möch­te ich ver­mehrt auf kul­tu­rel­le Zwischennutzung set­zen.

Ich weiss, dass sich vie­le Leute immer wie­der fra­gen, war­um tau­sen­de von Jugendlichen jedes Wochenende vor der Reithalle her­um­ste­hen und so auch Lärm ver­ur­sa­chen. Die Antwort ist für mich ein­fach: die Reithalle ist einer der ganz weni­gen Orte in der Stadt Bern, wo man sich ohne kom­mer­zi­el­len Zwang tref­fen und Musik hören kann. All die Clubs haben Alterslimiten, Eintrittspreise oder hohe Getränkepreise. Und wenn man ein­mal drin­nen ist und es einem nicht gefällt, dann hat ein Jugendlicher wohl sein Geld für den Abend bereits aus­ge­ge­ben.

Das Nachtleben-Konzept, wel­ches Alexander Tschäppät urplötz­lich aus sei­nem Tschäppu gezau­bert hat, sieht vor, dass Änderungen erst in ca. 5 Jahren spür­bar wer­den. Tschäppät wird wohl nur noch 4 Jahre im Amt sein – der oder die näch­ste StadtpräsidentIn wird es aus­ba­den müs­sen. Von den 15 Umsetzungspunkten ist jener, der die Diskussion aus­ge­löst hat, der letz­te: «Lärm». Die Gesellschaft wird sich in den näch­sten vier Jahren schnel­ler wei­ter bewe­gen, und mit die­sem Konzept wer­den wir in 5 Jahren an einem neu­en Anfang ste­hen – und wie­der ein neu­es Konzept brau­chen. Was kön­nen Sie, Frau Teuscher, der Stadt Bern, als viel­leicht zukünf­ti­ge Gemeinderätin, bie­ten und wo sehen Sie jetzt Handlungsbedarf?

Die Debatte über das Nachtleben in Bern erhitzt tat­säch­lich die Gemüter. Ich bin über­zeugt, dass man eine ver­nünf­ti­ge Grenze zie­hen muss zwi­schen Leben und Lärm, zwi­schen Nachtruhe und Nachtleben.

Im Moment habe ich das Gefühl, dass es Blockaden gibt, und dass man nicht gewillt ist, mit­ein­an­der eine Lösung zu suchen. Da es ein kla­rer Nutzungskonflikt ist, wenn jemand in der Nacht schla­fen und der ande­re den Ausgang genies­sen will, kön­nen Regelungen nur eine Richtschnur sein. Ich wür­de vor allem auf den Dialog aller Beteiligten set­zen und ver­su­chen, mit allen Betroffenen ange­pass­te Lösungen zu fin­den. Allerdings kann wohl nie­mand, der in der Innenstadt lebt, für sich in Anspruch neh­men, in abso­lu­ter Ruhe schla­fen zu kön­nen. Das war schon in mei­ner Jugendzeit nicht so.

Ich möch­te auch im Nachleben eine gros­se Vielfalt pfle­gen. Die Vorschriften müss­ten sicher so gestal­tet sein, dass auch klei­ne Lokale, die sich sel­ber als Kultur-Lokale ver­ste­hen oder einen ent­spre­chen­den kul­tu­rel­len Auftrag haben, über­le­ben kön­nen.

Ist eigent­lich unse­re Gesellschaft lau­ter gewor­den? Oder den­ken wir nur lau­ter?

Schwer zu sagen. Ich kann mich noch gut erin­nern, dass die Generation mei­ner Eltern die Beatles als laut und lär­mig emp­fun­den hat, die­se Musik emp­fin­den mei­ne Kinder hin­ge­gen nun eher als ruhig. Und auch ich füh­le mich manch­mal in lau­ter Musik wohl, und manch­mal gefal­len mir die lei­sen Töne bes­ser.

Was sicher zutrifft: vie­le, die heu­te unzu­frie­den sind, schrei­en als erstes laut, um auf sich auf­merk­sam zu machen. Die Erarbeitung einer Lösung zum Nachleben, die von allen Beteiligen mit­ge­tra­gen wer­den kann, ist hin­ge­gen ein eher ruhi­ger Prozess.

In der Unterhaltungskultur ver­ste­hen wir ja nicht nur das Nachtleben als wich­tig, son­dern auch die Theater, Oper, Kinos und Filmschaffenden, Literatur, Musik, Quartiertreffs und Kunst. Wir haben eine rege Kunstszene in Bern, einen Berg von Museen, eine Hochschule, wel­che ange­hen­de KünstlerInnen vom Fliessband wirft, eine PROGR-Kunstbrutstätte, und inter­na­tio­nal ver­net­ze Galerien. Was kön­nen wir als Stadt tun, damit die Welt aus­ser­halb von Bern auch nur ansatz­wei­se mit­be­kommt, wie viel­fäl­tig und krea­tiv Bern ist? Und: Kann man die­se Brut nicht bes­ser ver­kau­fen?

Kultur als Städtemarketing darf nicht über­schätzt wer­den, ich hal­te nichts vom Wettstreit zwi­schen den Schweizer und den euro­päi­schen Städten. Weil Kultur für mich zur Identität einer Gesellschaft gehört, gehört sie auch zur Identität einer Stadt. Wichtig sind für mich daher die Rahmenbedingungen, eben bei­spiels­wei­se das brei­te Dach aller Kulturschaffenden, das Kulturkonzept und das Kulturbudget. Sicher braucht es auch eini­ge Leuchttürme. Aber es soll vor allem Kultur ent­ste­hen, die den Menschen in der Stadt Bern ent­spricht, ein kul­tu­rel­les Klima in der Stadt für die Stadt. Das wird die Wirkung nicht ver­feh­len.

Und die viel­leicht poli­tisch wich­tig­ste Frage: Wie wich­tig ist es, dass die öffent­li­che Hand all die­se Kultur sub­ven­tio­niert? Wo sehen Sie Grenzen und wo wird es sinn­los?

Gegenfrage: Wie wich­tig ist es, dass die öffent­li­che Hand all den Verkehr, die Sicherheit, die Schulen bezahlt? Sehr wich­tig. Kultur ist eine Kernkompetenz des Staates, und für die­se muss er geeig­ne­te Rahmenbedingungen auf­stel­len. Es kann nie­mals sinn­los sein, immer wie­der in Kreativität und neue Ansätzen zu inve­stie­ren. Kultur ist Ausdruck einer Gesellschaft und des­halb immer sinn­voll.

Sie wol­len Ihr Nationalratsmandat bei einer Wahl in den Berner Gemeinderat nie­der­le­gen. Warum stel­len Sie die Gemeinderatstätigkeit über den Nationalrat?

Nach 16 Jahren Nationalrat, wo ich mich bei der Gesetzesarbeit vor allem mit dem poli­ti­schen Rahmen für die Schweiz beschäf­tigt habe, möch­te ich ger­ne mei­ne poli­ti­sche und beruf­li­che Erfahrung in die kon­kre­te Umsetzung grü­ner Politik in der Stadt Bern ein­brin­gen. Die Gemeindeebene gefällt mir sehr, weil ich hier im Dialog mit der Bevölkerung mei­ne Politik ent­wickeln und umset­zen kann.

Was ist Ihr per­sön­li­cher Bern-Traum?

Bern, eine viel­fäl­ti­ge und leben­di­ge Stadt, Bern, eine lie­bens­wer­te und lebens­wer­te Stadt für uns alle.

Infos: www.gbbern.ch

Foto: zVg.
ensuite, November 2012

 

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