Ein ein­zig­ar­tig nor­ma­les Leben

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Von Dr. Regula Stämpfli – Michelle Obama ist eine gros­se Erzählerin. Die ehe­ma­li­ge First Lady, Nachkommin ame­ri­ka­ni­scher Sklaven, hat ein zau­ber­haf­tes und sehr per­sön­li­ches Buch über ihren Werdegang beschrie­ben. Anhand ihrer Biographie erzählt sie die US-ame­ri­ka­ni­sche Geschichte, die einer­seits hoff­nungs­froh und uni­ver­sa­li­stisch ande­rer­seits bit­ter­lich ras­si­stisch ist. Der deut­sche Feuilleton behan­del­te das gros­se Werk Obamas wie „ano­ther“ Frauenbuch, was punk­to Frauensichtbarkeit, Wissenschaft, Literatur und Misogynie eigent­lich schon alles aus­sagt. Dabei ist Obamas Werk ist ein lite­ra­ri­scher Grossentwurf.

Michelle Obama malt den Aufstieg einer spi­ri­tu­el­len, anstän­di­gen,  Jazz und Arbeit ver­pflich­te­ten schwar­zen Arbeiterfamilie in South Chicago. Her Story führt aus, wie es sich denn so anfühlt als intel­li­gen­tes schwar­zes Mädchen, das sehr behü­tet, aber von den klas­si­schen Institutionen auf­grund sei­ner Hautfarbe und sei­nes Geschlechts immer wie­der unter­schätzt wird. Die Lesenden gehen die oft ernied­ri­gen­den Karrierestufen, die Enttäuschungen und die Whiteness der obe­rer Bildungs- und Wirtschaftsschichten mit. Wir ler­nen auch den gut­aus­se­hen­den Harvard-Lawyer ken­nen, der Michelles Weg durch­kreuz­te, sie zu sei­ner Mentorin mach­te und auch in die klas­si­sche Frauenrolle dräng­te: Dies tat er nicht mit Absicht, son­dern es gehör­te ein­fach zum System „Politik“.  Wir leben die Babyblues mit, die­se gros­se Ernüchterung, die alle smar­ten, wil­den, star­ken, frei­en Frauen erschlägt wenn sie plötz­lich, mit Kleinkind im Arm, von ihrem bis dahin gleich­be­rech­tig­ten Partner ein­fach sit­zen gelas­sen wer­den. Sie erzählt auch von der Schwierigkeit, über­haupt schwan­ger zu wer­den: „Es stellt sich her­aus, dass selbst zwei ent­schlos­se­ne Macher, die sich sehr lie­ben und eine har­te Arbeitsmoral haben, kei­ne Schwangerschaft erzwin­gen kön­nen. Es ist uner­träg­lich, aber es gibt kei­ne direk­te Verbindung zwi­schen Bemühen und Belohnung. Für mich und Barack war das über­ra­schend und ent­täu­schend.“

So macht Michelle Obama allen Frauen Mut: Den hete­ro­se­xu­el­len Frauen mit gros­sem Intellekt, den Arbeiterkindern, den Queers, den People of Color, Menschen mit und Menschen ohne Kinder, den jun­gen und alten Demokratinnen und Demokraten, den Traumatisierten, kurz uns allen, die Empathie nicht nur buch­sta­bie­ren, son­dern leben.

Die 426 Seiten sind viel zu kurz. Ich hät­te ihr noch wochen­lang zuhö­ren kön­nen. Wäre ger­ne mit ihr den Weg auch nach der Präsidentschaft von Barack Obama gegan­gen. Doch viel­leicht kommt dies noch. Michelle Obama ist so ein­zig­ar­tig, dass ich nach der Lektüre alle Gespräche mit ihr nach­ge­guckt habe. In die­sen Tagen hat glück­li­cher­wei­se auch NETFLIX eine Dokumentation zu ihrer Buchtour ver­öf­fent­licht. Von Frauen gemacht als Einsicht in die Universalität aller Menschen. Die erste Lesung fand in Chicago statt, natür­lich! Das klei­ne schwar­ze Mädchen von damals erzähl­te sein uni­ver­sel­les Leben des aus­ge­hen­den 20. und des begin­nen­den 21. Jahrhundert: Über 20.000 Menschen hör­ten gebannt zu.

Michelle Obama wäre eine gross­ar­ti­ge US-Präsidentin. Doch nach der Lektüre des Buches und der Dokumentation weiss ich: „Never. She just wouldn’t face ano­ther eight years of hat­red, of a mali­cious Congress and an even worse Press.“ Denn eines haben wir von Michelle Obama gelernt: Die acht Jahre im Weissen Haus waren nicht die Jahre, die die Intellektuelle geformt haben. Im Gegenteil. Es ist ein Wunder, dass Michelle Obama es in die­ser unend­lich miso­gy­nen Umgebung in Washington geschafft hat, Mensch zu blei­ben.

 

BECOMING Michelle Obama Viking Press, Penguin Book 2018.

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