Ein Berner Zweifler

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Von Julia Richter - Die Lieder Mani Matters sind zum Inbegriff des Berner Chansons gewor­den und sei­ne Person zu einer Ikone. In der ersten umfas­sen­den Biographie zeigt der Historiker Wilfried Meichtry neue Seiten des Musikers und Juristen auf.

Wer ist Mani Matter? Eben der mit dem Eskimo, der wegen sei­nem neu­en Cembalo von Eisbär gefres­sen wird, und der mit dem Babettli, das tifig unter das Tabourettli kriecht. In der Schweiz ist er wegen sei­ner lako­nisch-leicht­füs­si­gen Berndeutschen Chansons mitt­ler­wei­le zu einer Ikone gewor­den.

Dass sich hin­ter der Person Mani Matter weit mehr ver­birgt als ein «Värslischmied» wird in der im April erschie­ne­nen ersten umfas­sen­den Biographie über den Berner Chansonnier und Jurist deut­lich.

Der Biograph Wilfried Meichtry (der das Konzept für die viel­be­ach­te­te Mani Matter-Ausstellung in Zürich, Schwyz und Bern 2011/13 erstell­te) erhielt dabei Zugang zu Material, das für die Öffentlichkeit bis­her nicht zugäng­lich gewe­sen war – bei­spiels­wei­se das Jugendtagebuch Mani Matters, den Briefwechsel mit sei­nem Vater Erwin Matter, unver­öf­fent­lich­te Gedichte und Liederentwürfe.

Die Biographie zeigt Mani Matter in sei­ner Vielseitigkeit und gibt Einblicke in ein span­nen­des und suchen­des Leben.

Mani Matter als Zweifler und Denker Der 4. August 1936, so Mani Matter 1952 in einem «klei­nen Selbstporträt», sei der bis­her wich­tig­ste Tag in sei­nem Leben gewe­sen – der Tag, an dem er gebo­ren wur­de.

Mani und sei­ne Schwester Helen wuch­sen in Bern in gut­bür­ger­li­chen Verhältnissen auf und wur­den gleich­zei­tig in einer Atmosphäre erzo­gen, die das Hinterfragen und den Widerspruch erlaub­ten. Die Liebe zur Literatur, zu Sprachspielen und Wortakrobatik wur­den Mani Matter von sei­nem bele­se­nen Vater Erwin Matter mit­ge­ge­ben («Me git ne Milch und Heitibrei, bis sie die räch­ti Breiti hei»).

Mani Matter ent­wickel­te sich zu einem viel­sei­tig begab­ten und inter­es­sier­ten Menschen. So befass­te er sich schon in jun­gen Jahren mit phi­lo­so­phi­schen Debatten, Politik, Kunst, Musik, Literatur und Theologie.

Die Biographie zeigt, dass sich hin­ter dem gewitz­ten und wort­ge­wand­ten Mani Matter auch ein Zweifler ver­barg, der sich selbst, das Leben und gesell­schaft­li­che Zusammenhänge stets hin­ter­frag­te. So setz­te er sich inten­siv damit aus­ein­an­der, was mit dem Leben anzu­fan­gen und wie es zu gestal­ten sei. Dabei war er inspi­riert vom Existentialismus von Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Aber auch der Schweizer Schriftsteller Ludwig Hohl wur­de zu einer wich­ti­gen Inspirationsquelle für den jun­gen Mani Matter. Wie Hohl träum­te er davon, das Schreiben zum Mittelpunkt sei­nes Lebens zu machen – sah sich gleich­zei­tig aber ein­ge­sperrt im «Räderwerk bür­ger­li­cher Notwendigkeiten».

Auch die musi­ka­li­sche Entwicklung Mani Matters begann in jun­gen Jahren — inspi­riert vom fran­zö­si­schen Chansonnier Georges Brassens schrieb er früh Lieder und trat mit ihnen an Pfadfinder-Unterhaltungsabenden auf.

Später schloss er sich den erfolg­rei­chen Berner Troubadours an — beschloss aber 1971, die Musikergruppe zu ver­las­sen, und absol­vier­te mit einem Soloprogramm rund 100 Auftritte. Dass sei­ne Lieder von vie­len Personen als brav und ange­passt emp­fun­den wur­den, stör­te Mani Matter, der nach einem Aufenthalt in Cambridge 1967/68 poli­tisch zuneh­mend nach links rück­te und mit einem libe­ral-demo­kra­ti­schen Sozialismus nach dem Vorbild Harold Laskis sym­pa­thi­sier­te. Was er nicht woll­te war zum gut geklei­de­ten Liebling der Bourgeoisie zu wer­den. Vielmehr ver­trat er die Überzeugung, dass poli­ti­sche Botschaften in sub­ti­ler Verpackung bes­ser beim Publikum ankom­men als sol­che, die mit auf­ge­streck­tem Zeigefinger daher­kom­men.

Zweifelsohne hat Mani Matter mit sei­nen Chansons wich­ti­ges Kulturgut hin­ter­las­sen. Sein frü­her Tod – er starb im Alter von nur 36 Jahren bei einem Autounfall – kam zu einem Zeitpunkt, an dem sich Mani Matter künst­le­risch wei­ter­ent­wickel­te. So waren sei­ne letz­ten Lieder ern­ster und nach­denk­li­cher gewor­den.

Berührendes und Konstruiertes Meichtry schafft es, einem die Person Mani Matter näher­zu­brin­gen: Die Biographie ist gespickt mit berüh­ren­den Anekdoten, doku­men­tier­ten Gesprächen und Zeitzeugeninterviews. Schwach bleibt das Buch an Stellen, an denen Meichtry fik­ti­ve Szenen kon­stru­iert. Dort wir­ken die Gedanken, die er Mani Matter auf­ok­troy­iert, bis­wei­len auf­ge­setzt. Beispielsweise als er Mani Matter bei einem nächt­li­chen Spaziergang über­le­gen lässt, ob er sein Germanistikstudium abbre­chen und Rechtswissenschaft stu­die­ren soll­te («Vielleicht war die Jurisprudenz, in der es genau­so um Logik wie um Sprache ging, halt doch das Richtige»). Zudem wur­den vie­le Briefwechsel und Tagebucheinträge unkom­men­tiert abge­druckt und nicht kon­tex­tua­li­siert — was ein leich­tes Bedauern dar­über aus­löst, dass Meichtry die neu zugäng­li­chen Quellen nicht bes­ser zu nut­zen wuss­te.

Trotzdem ist die Mani Matter-Biographie eine loh­nens­wer­te Lektüre. Sie bie­tet Einblicke in das Leben eines Mannes der trotz beruf­li­chem und künst­le­ri­schem Erfolg nie auf­hör­te, zu fra­gen und zu zwei­feln. Auch gut vier­zig Jahre nach sei­nem Tod lohnt sich die Auseinandersetzung mit Mani Matter.

Wilfried Meichtry: Mani Matter. Eine Biografie. Nagel & Kimche, Zürich 2013. 320 S, Fr. 34.90

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2013

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