EDITORIAL Nr. 97: Visionslos bestim­men

Von

|

Drucken Drucken

Von Lukas Vogelsang – Am 10 Dezember titel­te «Der Bund»: «Tschäppät will bei der Kultur ‚das Niveau hal­ten‘» und man berich­te­te über die finan­zi­el­le Zukunft der Berner Kultur für die Jahre 2012 bis 2015. Das ist natür­lich so falsch gesagt: Tschäppät will bei der Kultur ‚das finan­zi­el­le Niveau hal­ten‘ – ein klei­ner Unterschied. Mit kul­tu­rel­lem Inhalt hat ein Budgetplan nicht viel zu tun – ok, viel­leicht stösst das Schweizer Kulturverständnis tat­säch­lich mit einem Budget bereits an sei­ne Grenzen.

Auch ist es falsch von «Kultur» zu spre­chen, wenn die Stadt vor allem ver­sucht, die Veranstaltungsinstitutionen auf­recht zu erhal­ten. Diese bil­den in die­ser «Kultur» nur einen Teil – die wah­re Verliererin ist aber die «freie Szene»: Alle Mehrkosten und neu bean­spruch­ten Gelder wer­den zu Lasten der MusikerInnen, TänzerInnen, SchauspielerInnen, AutorInnen, und so wei­ter fal­len. Wollte man nicht eben erst noch für die­se Berufsgruppen bes­se­re Lohnverhältnisse schaf­fen? Was ist mit der akti­ven Nachwuchsförderung? Müssen wir in Zukunft alle BühnenkünstlerInnen impor­tie­ren, damit unse­re Institutionen noch fähig sind, ein inter­es­san­tes Programm bie­ten zu kön­nen? Fakt ist, dass unse­re «freie Szene» bereits jetzt schon sehr schwach orga­ni­siert ist. Während die VerantstalterInnen von Bern sich mit dem Verein «bekult» zusam­men­ge­schlos­sen haben, um poli­tisch zu lob­bie­ren, fehlt der «frei­en Szene» die­se Kraft gänz­lich.

Das Berner Stimmvolk wird im Mai 2011 über die fünf gros­sen Verträge der Kulturhäuser Historisches Museum, Zentrum Paul Klee, Kunstmuseum Bern, neu: Konzert Theater Bern (Stadttheater und BSO) und eben­falls neu: die Dampfzentrale Bern abstim­men. Dabei geht es aber um viel mehr, als nur um Budgets: Ein JA zur Fusion Konzert Theater Bern hat unwei­ger­lich auch eine Auswirkung auf die Sanierung des Stadttheaters, die nota­be­ne über 50 Millionen Franken kosten soll (ist nicht Bestandteil der Abstimmung). Man kann nicht JA zu die­ser neu­en Gesellschaft stim­men, und zu der Gebäudesanierung, wel­che spä­ter zu einer Abstimmung kommt, NEIN sagen.

Das Kunstmuseum und das Zentrum Paul Klee haben ein ähn­li­ches, sich anbah­nen­des Problem. Momentan geht es bei­den ver­hält­nis­mäs­sig gut. Noch sind sie nicht ver­eint, doch das Zentrum Paul Klee hat, nach dem Abgang von Direktor Juri Steiner, die­sen schon gar nicht erst ersetzt – ein Zeichen, dass sich die Zusammenlegung anbahnt (oder auf­ge­gleist ist). Das Kunstmuseum Bern will eben­falls anbau­en – eine neue Gesellschaft der bei­den Museen wür­de dann so gese­hen mehr kosten, als was man bis­her zu zah­len hat­te.

Die Dampfzentrale Bern wie­der­um wird, weil neu der Mietzins end­lich im Subventionsvertrag mit ein­be­zo­gen wur­de, mit über 1.9 Millionen pro Jahr sub­ven­tio­niert. Vor das Stimmvolk muss die­ser Vertrag, weil die­se Subventionsverträge für vier Jahre gel­ten und damit die 7‑Millionengrenze über­schrit­ten wird – ab da muss das Volk ent­schei­den. Auch wenn die Miete schon vor­her von der Stadt bezahlt wur­de, sind die Finanzen erst jetzt klar ersicht­lich, und es wird dies­be­züg­lich sicher noch eini­ge Diskussionen geben.

Nur das Historische Museum scheint zur Zeit eini­ger­mas­sen ruhig und der neue Vertrag scheint auf sicher zu sein – zu Recht. Da bei die­sen gros­sen Verträgen auch die RKB Gemeinden (Regionalkonferenz Bern-Mittelland) betei­ligt sind, wird es kom­pli­ziert. Ein NEIN hät­te zur Folge, dass über die gesam­ten RKB-Verträge neu ver­han­delt wer­den müss­te. Ein uner­träg­li­cher und sehr zwei­fel­haf­ter Zustand.

Die Abstimmung im Mai ist gefähr­lich, weil Bern damit über eine kul­tu­rel­le Zukunft abstimmt – ohne dabei wirk­lich ein Konzept vor­wei­sen zu kön­nen. Die Abstimmung kommt vor einem neu­en Kulturkonzept, wel­ches die Makulatur vom Kultursekretärvorgänger Christoph Reichenau ersetzt. Dieses hät­te ja gera­de jetzt einen wert­vol­len Dienst erwei­sen sol­len. Da es aber kein Konzept, son­dern nur ein Budget ist, taugt es gar nichts. Und Veronica Schaller, die neue Berner Kultursekretärin, gibt immer wie­der deut­lich zu ver­ste­hen, dass sie eine Verwalterin und nicht für Visionen zustän­dig sei. Das kann – je nach Betrachtung – auch ganz kor­rekt sein. Sicher ist aber, dass damit kei­nem grös­se­ren Plan, schon gar nicht einem demo­kra­ti­schen, gefolgt wird und wir also völ­lig frei sind, bei der Abstimmung auch NEIN zu stim­men. Bern muss unbe­dingt aus die­ser Irrfahrt her­aus­fin­den. Aktion, Mut und Visionen sind jetzt gefragt, und dies wie­der­um ver­langt ganz viel Hoffnung.

 


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 97, Januar 2011

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo