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EDITORIAL Nr. 17

Von Lukas Vogelsang – Letzte Woche habe ich von der Post einen net­ten Brief erhal­ten. Man erklä­re mir dar­in, dass ab Juni mei­ne eige­ne pri­va­te Kontoführung bei Yellownet (also die Buchungen per Internet) nicht mehr gra­tis sein soll. Wunderbare und defi­ni­tiv ver­kehr­te Welt: Ich arbei­te für die Post und muss mich sel­ber bezah­len dafür. Mit den unend­li­chen Schalterwarteschlangen haben die Banken und die Poststellen uns bereits die letz­ten Nerven geko­stet und jetzt müs­sen wir die­se Finanzheinis sogar für unse­re eige­ne Arbeiten bezah­len. Kein Wunder, dass die­se Betriebe rei­cher wer­den. Morgen wer­den wir in der MIGROS und bei COOP erst ein Ticket kau­fen, damit wir über­haupt ins Einkaufszentrum ein­tre­ten dür­fen und das Tram und die Busse in Bern wer­den ab sofort von den Passagieren gestos­sen – natür­lich nicht ohne vor­her ein Billet gelöst zu haben. Irgendwie aber gefällt das System – es sozia­li­siert uns zumin­dest unge­mein, trotz krän­keln­der Systematik: Schlechtere Dienstleistungen sol­len mit Geld, Applaus und einem gros­sen Dankeschön an die befeh­len­de und gut­ver­die­nen­de Elite, bezahlt wer­den. Hiess es nicht vor einem Jahr noch über­all „spa­ren, wir haben kein Geld!“ Die Realität zeigt, dass viel mehr Geld ein­fach anders ein­ge­setzt wird – bezah­len tut aber immer jemand… wirk­lich!

Dies betrifft auch die Kultur in Bern. Als Beispiel: Vor einem Jahr konn­te die Stadt Bern trotz gros­sen Lobes an ensuite – kul­tur­ma­ga­zin kein Kulturgeld spre­chen und spen­de­te uns einen sym­bo­li­schen Betrag von Fr. 2‘000.-. Nun soll plötz­lich für eine eige­ne Kulturagenda 800‘000 Franken flott gemacht und dazu für den glei­chen Betrag eine Ticketing-Vorverkaufsstelle gebaut wer­den, wel­che dazu pro Jahr sat­te 1,2 Millionen Franken Unterhaltskosten schlucken wird. Dazu wird die Dampfzentrale – zwar mit einem ver­hält­nis­mäs­sig klei­nen Betrag – zusätz­lich sub­ven­tio­niert. Das Paul Klee Museum ist noch nicht fer­tig und wird auch noch ca. 3 Millionen pro Jahr benö­ti­gen – nicht zu spre­chen von all den wei­te­ren Umbauten, die in den rest­li­chen öffent­li­chen Kulturinstitutionen anste­hen. Toll. Und wo bleibt dann die Kultur und damit vor allem die kul­tur­schaf­fen­den Menschen? Wird Kulturgeld jetzt wie in einer Immobilienverwaltung ver­wal­tet? Wenn dem so ist, dann mie­te ich mir jetzt eine en – suite im Stadttheater…


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 17, Mai 2004