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EDITORIAL Nr. 132: Zeit der Besinnung

Von Lukas Vogelsang – Kulturinstitutionen ver­lie­ren an Publikum – oder haben gene­rell zu wenig davon – und geben die Schuld dafür dem­sel­ben Publikum zurück: «Weil ihr zu wenig neu­gie­rig seid, was wir VeranstalterInnen und KünstlerInnen euch bie­ten wol­len, geht es uns schlecht.» Eine inter­es­san­te Logik, vor der selbst Veronica Schaller, Kultursekretärin der Stadt Bern, nicht zurück­schreckt: «Wie die Leute ins Kino gehen, soll­ten sie auch in die Museen und Theater gehen, und sehen, was Kulturschaffende für sie bereit­hal­ten», mein­te Sie, erst noch an einem Podiumgespräch, im November. Sie wün­sche sich, dass die Gesellschaft neu­gie­ri­ger sei. (BZ, «Über Sinn und Unsinn von Kultur-Subventionen», 19.11.2013). Eine ziem­lich gro­tes­ke Vorstellung: Das Publikum bezahlt Steuern, sub­ven­tio­niert damit das Kulturschaffen und muss sich auch noch vor­wer­fen las­sen, dass das, was gebo­ten wird, kon­su­miert wer­den muss. Die Steuerzahler arbei­ten für Ihr Geld, damit Sie die Steuern bezah­len kön­nen, wel­ches wie­der­um den Kulturschaffenden ermög­licht, zu tun, was sie als wich­tig für die Gesellschaft erach­ten. Es ist eini­ger­mas­sen nach­voll­zieh­bar, dass nach der Arbeit nicht unbe­dingt Trash-Theater oder expe­ri­men­tel­le moder­ne Klassik an ober­ster Stelle der Freizeitagenda ste­hen. Zumindest bei der gros­sen Masse, und selbst für «Intellektuelle» ist die Forderung oft­mals etwas hoch ange­setzt.

Am Anspruch, eine intel­lek­tu­el­le­re Gesellschaft zu wer­den, ist sicher nichts ver­kehrt. Aber der Weg dahin, das Lösungsangebot klingt ziem­lich hilf­los. Hilflos wirkt die Kulturszene vor allem des­halb, weil sie nicht argu­men­tiert, weni­ger Werbung für sich macht, die Ansprüche an das Publikum anhebt, und all­ge­mein die Öffentlichkeitsarbeit wie auch die gesell­schaft­li­che Funktion stark ver­nach­läs­sigt hat. Je mehr finan­zi­el­le Sicherheit wir den Institutionen geben, desto wei­ter drif­ten sie von der gesell­schaft­li­chen Realität weg – so fühlt es sich an. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass die Kulturinstitutionen vor allem neh­men, aber ziem­lich wenig zurück­ge­ben wol­len. Schlussendlich sind die KünstlerInnen jene, wel­che das Programm bestrei­ten – nicht die VeranstalterInnen. Aber aus­ge­rech­net die KünstlerInnen erhal­ten in den Kulturförderdiskussion nicht mehr Geld. Es gibt immer noch kaum Verbände, Gewerkschaften, geschwei­ge denn KünstlerInnen-Pensionskassen und geschlos­se­ne Mindestlohnforderungen. Es sind die Institutionen, wel­che das Geld fres­sen, mit all ihren Direktoren – die­se Institutionen haben sich orga­ni­siert.

Die Rechtfertigung «Kultur ist wich­tig!» ist das ulti­ma­ti­ve Todesurteil für jeg­li­ches Kulturschaffen. Die Institutionen wer­den oft­mals von KünstlerInnen geführt, wel­che kei­ne kauf­män­ni­sche Ausbildung aus­wei­sen, noch im Marketing oder in der Betriebsführung aus­ge­bil­det sind. Und ich will damit nicht in die­se unsin­ni­ge «Jungfreisinnige»-Debatte über selbst­tra­gen­des Kulturschaffen ein­tre­ten. Aber: Mit dem momen­ta­nen Idealismus machen die Kulturinstitutionen Visionen für die Gesellschaft? Ist die­ses «Scheitern» der Spiegel der Gesellschaft oder läuft es eben gera­de umge­kehrt? Das Problem ist ja eben, dass inhalt­lich der gesell­schaft­li­che Bezug kaum noch vor­han­den ist.

Das klingt wie­der pro­vo­ka­tiv. Aber ich stel­le dies bewusst jetzt in die Öffentlichkeit, wo «Sparen» zum Unwort des Jahres erko­ren wird. Wir haben auf der einen Seite die Schulden von den Städten und vom Kanton, und auf der ande­ren Seite die Millionenforderungen der Kulturinstitutionen. Ich erschrak über die Pläne vom Berner Kino Kunstmuseum, wel­ches ein bestehen­des und funk­tio­nie­ren­des Kino mit 1.8 Millionen Franken umbau­en will und dafür noch beim Kanton und Stadt um Geld anfragt. Dabei muss man sich vor Augen füh­ren, dass die­ser Kinobetrieb zu den klei­nen Off-Kinos gehört und aus­ge­rech­net jener ist, wel­cher die Stadt Bern, nament­lich Frau Veronica Schaller, im 2011 eigent­lich ster­ben las­sen woll­te. Ist das absurd?

Genauso haar­sträu­bend ist die «Was für eine Stadt ist Bern»-Diskussion. Kunststadt? Tanzstadt? Jazzstadt? Theaterstadt? Die künst­le­ri­schen Ergebnisse sind nicht «wir», son­dern das sind Ideen und Modelle, Impulse, wel­che wir aus­sen­den – als gesam­te Stadt. Wir sind die Hauptstadt der Schweiz und wir bie­ten sehr viel Kultur und Kunst, die breit und viel­fäl­tig ist und inter­es­san­te Tiefen auf­weist. Wir haben wahr­lich ein stol­zes Kulturinventar, und her­vor­ra­gen­de Kulturpersönlichkeiten her­vor­ge­bracht. Interessant sind die Visionen und Ideen, die wir nach aus­sen trans­por­tie­ren kön­nen, nicht die ein­zel­nen Kunstdisziplinen. Unsere Kulturdiskussion muss also nicht nach innen, son­dern nach aus­sen gerich­tet wer­den: Was wol­len wir aus Bern aus­sen­den?

Früher orga­ni­sier­ten Städte Feste, damit die Leute aus den Nachbarschaftsdörfern in die Stadt kamen, ihr Geld bei Shopping, «Sang, Klang und Weib» (die Ausdrucksweise sei ent­schul­digt) in der Stadt depo­nier­ten. Sicher, kul­tu­rel­le Feste waren auch da, um mit den BürgerInnen zu fei­ern, nach gelun­ge­nen Ernten und erfolg­rei­chen Handelsjahren. Die Obrigkeit bedank­te sich beim Volk und sorg­te für gute Stimmung vor den näch­sten Strapazen. Heute den­ken wir nur noch an uns und ver­pras­sen unser eige­nes Geld in der eige­nen Stadt. Dabei geben wir dem Verein (!) Bern Tourismus ein so mick­ri­ges Jahresbudget, dass sich die Frage stellt, was die­ser eigent­lich noch errei­chen soll. Das ist der Spiegel unse­rer Gesellschaft. Wir alle müs­sen uns neue Gedanken machen und neue Visionen kre­ieren.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 132, Dezember 2013