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EDITORIAL Nr. 114/115: Leere Worte

Von Lukas Vogelsang – Facebook, Apple, Google – es gibt natür­lich noch vie­le ähn­li­che Unternehmen, die eine welt­wei­te Allmacht anstre­ben, mei­ne Auswahl ist will­kür­lich, weil grad aktu­ell. Täglich wer­den wir mit Erfolgsmeldungen zu die­sen Firmen berie­selt. Die Medien und Menschen schau­en zu deren Produkten hoch – es kommt einer Götterverehrung gleich und die Umsätze die­ser Firmen las­sen jeden Bankenskandal oder jede Diskussion über Managersaläre im Regen ste­hen. Facebook hat soeben den Börsengang geschafft und wohl den gröss­ten Finanz-Bluff in der Geschichte des Aktienhandels insze­niert. Apple lan­ciert jedes hal­be Jahr ein neu­es Gadget, wel­ches einen sol­chen Marketing-Sog gene­riert, dass alle, die nicht auf dem neu­sten Stand der Technik mit­sur­fen, als Fossil und rück­stän­dig dekla­riert wer­den. Keine Fragen und Antworten ohne Google, so hat sich der Suchmaschinen-Guru breit gemacht, als Pächter der gesam­ten mensch­li­chen Weisheit. «The one and only» – der Wahnsinn der Milliarden, die abso­lu­te Anonymisierung des Individuums, die Dematerialisierung jeg­li­cher Persönlichkeit schei­nen kein Thema zu sein.

Und die Masse macht dies mit? Worin ist die­se Verehrung und Verherrlichung begrün­det?

Facebooks Börsengang hat es tref­fend gezeigt: Die Menschheit ist so visi­ons­los gewor­den, dass sie bereit ist, Milliarden zu bezah­len für ein Quäntchen einer Idee des «Sinns des Lebens». Nicht mal die Kirchen hat­ten je einen sol­chen Erfolg zu ver­zeich­nen – heu­te schon gar nicht mehr. Die Illusion des käuf­li­chen Glücks hat sich hart­näckig in unse­ren Köpfen fest­ge­nagt. Dass der «Sinn des Lebens» nichts mit Geld oder Einkauf zu tun hat kommt irgend­wie nie­man­dem in den Sinn. Marc Faber schrieb in sei­nem Buch «Der dis­zi­pli­nier­te Trader» ein paar wun­der­ba­re Schlüsselsätze über den Aktienhandel: «Denn die Märkte üben kei­ner­lei Macht oder Kontrolle über Sie (den nor­ma­len Aktienhändler/Red.) aus, sie erwar­ten kei­ne beson­de­ren Verhaltensmuster und neh­men auch kei­ner­lei Rücksicht auf Ihr Wohlergehen. Wenn aber die Märkte Sie nicht kon­trol­lie­ren oder mani­pu­lie­ren kön­nen, Sie selbst ande­rer­seits auch die Märkte weder kon­trol­lie­ren noch mani­pu­lie­ren kön­nen, dann liegt die Verantwortung für Ihre Wahrnehmung und die dar­aus resul­tie­ren­den Verhaltensmuster allei­ne bei Ihnen selbst. Als Trader haben Sie die Möglichkeit, sich ent­we­der selbst Geld aus­zu­zah­len oder den ande­ren Tradern.» Mit Glück hat das also nichts zu tun. Den Sinn des Lebens wer­den wir in den Aktien von Facebook, aber auch in Facebook sel­ber nie fin­den.

Niemand spricht dar­über, dass die­se Hype-Firmen von sehr jun­gen Menschen, ohne gros-se sozia­len Erfahrungen oder ber­triebs­öko­no­mi­schen Kompetenzen auf­ge­bla­sen wur­den. Facebook ist noch nicht mal 10 Jahre alt und viel zu schnell gewach­sen, als dass eine gesun­de Firmenstruktur hät­te auf­ge­baut wer­den kön­nen. Die Geschichte der Menschheit fin­det in die­sen Visionen kei­nen Platz – im Gegenteil: Die Welt wird infil­triert durch die Idee der Jugendlichkeit, der Unerfahrenheit und die Masse ver­gisst, was der Mensch eigent­lich ist: Keine Maschine, son­dern ein leben­di­ges Wesen mit einem eige­nen Willen und mit der Kapazität zum Denken, Träumen, Fantasieren. Wenn es eine Gottheit gibt, so wird die­se unse­rem Tanz um das gol­de­ne Kalb bald ein Ende berei­ten (sie­he Weltunterganstheorie). Als Atheisten kön­nen wir beden­ken­los wei­ter­fei­ern. Die Jugendlichkeit hat kei­ne Erfahrung mit dem, was da kom­men wird – egal ob Massenverblödung oder Weltuntergang. Wir könn­ten natür­lich eine Facebook-Gruppe eröff­nen oder zumin­dest eine reu­ige Statusmeldung hin­ter­las­sen …

Am Beispiel von Facebook ist ja die ver­hee­ren­de Feststellung, dass das ursprüng­li­che Konzept nichts wei­ter woll­te, als ein bes­se­res Flirttool zu sein und die Einladungen zu Parties zu ver­ein­fa­chen. Hinter Facebook steht kein soli­des Konzept – man ist immer noch ver­sucht, eines zu fin­den. Doch dafür ist die Menschheit bereit Milliarden zu bezah­len. Aber wir sind nicht bereit, die­se Milliarden für die Rettung der Erde zu inve­stie­ren, in die Rettung der Menschheit, gegen Hunger, Kriege, Katastrophen, Epidemien. Facebook macht kei­ne Forschung in alter­na­ti­ven Energien und inve­stiert auch nicht die Gewinnmilliarden in die Entwicklungshilfe. Hier also steht die Menschheit im Jahr 2012.

Und das alles hat sehr viel mit unse­rer Kultur zu tun. Wir kön­nen nicht schön­gei­stig die­se Welten von unse­rem Theater‑, Literatur‑, Musik‑, Tanz- und son­sti­gen Kulturleben tren­nen. Facebook ist ein ele­men­ta­res Werbemittel im Alltag der Kulturinstitutionen gewor­den. Wir sind mit­schul­dig, sind ein Teil von die­sem Hype, mit­ten drin. Wir sind viel­leicht sogar die wich­tig­sten Protagonisten in die­ser «neu­en Kultur-Ökonomie»: Wir geben die­sen Visionen Sinn. Dabei wären wir Menschen der Sinn der Visionen.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 114/115, Juni/Juli 2012