«Eben noch leben­di­ge Metropole: Beirut.»

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Von Anna Trechsel, Thomas Burkhalter (Libanon, Syrien) - Drei Uhr in der Früh. Der Sternenhimmel dröhnt. Es ist, als wür­de er über uns zusam­men­bre­chen. Irgendwo da oben im Dunkeln flie­gen israe­li­sche Kriegsflugzeuge. Wir hören sie kom­men und weg­flie­gen. Immer und immer wie­der durch­bre­chen sie die Schallmauer: Zuerst eine Mark erschüt­tern­de Detonation, dann knallt es drei-vier Mal. Erleichterung, wenn die Flugzeuge weg­flie­gen, Angst davor, dass sie wie­der­keh­ren. Wir rücken zusam­men, wagen uns nicht auf die Terrasse, von der aus wir den Hafen und viel­leicht auch die Flieger sehen wür­den. Eigentlich möch­ten wir Tonaufnahmen machen, um den Moment zu doku­men­tie­ren. Doch das käme uns zu voy­eu­ri­stisch vor. Wir blei­ben im Bett lie­gen, füh­len uns irgend­wie siche­rer. Wir wis­sen, dass wir in Achrafiye eigent­lich nichts zu befürch­ten haben, wir sind weit ent­fernt von den schii­ti­schen Quartieren. Doch in die­sem Moment reagiert der Körper, reagiert der Instinkt.

Nach gut andert­halb Stunden zie­hen die Flugzeuge ab, es wird end­lich ruhig. Und in die­ser unheim­li­chen Stille plötz­lich ein gigan­ti­scher Knall. Dumpf. Tief. Mit enor­mem Nachhall von den Bergen. Abgefeuert von einem israe­li­schen Kriegsschiff, das irgend­wo da draus­sen liegt, neh­men wir an. Wir eilen zum Fernseher Südbeirut ist getrof­fen, sagt CNN. Wir ent­schei­den, das Land so früh wie mög­lich über die Nordgrenze zu ver­las­sen – die ein­zi­ge Möglichkeit, raus­zu­kom­men, der Flughafen ist geschlos­sen, die Strasse nach Damaskus schwer beschä­digt von israe­li­schen Bombardements. Wir befürch­ten, dass die Israelis das Land abschlies­sen wol­len – nichts wie raus, solan­ge wir noch kön­nen. Wir packen unse­re Koffer, eini­ges las­sen wir zurück. Der Kühlschrank voll mit unse­ren Hamsterkäufen. Die Sonne geht auf. Vögel zwit­schern. Sie haben die Flieger ver­drängt.

Um punkt sie­ben Uhr war­tet das bestell­te Taxi vor unse­rer Haustür. Als wir Beirut ver­las­sen, sehen wir eine rie­si­ge Rauchwolke. Das wird wohl der Flughafen sein. Wir kom­men rasch vor­an, zum Glück. An der Grenze herrscht nur mäs­sig Betrieb, eini­ge Ausländer, eini­ge Libanesen ver­las­sen den Libanon. Erleichterung, als wir auf der syri­schen Seite ange­kom­men sind. Wir sind auf dem Weg in die Hafenstadt Tartus, etwa 25 Kilometer nörd­lich. Vorerst sind wir in Sicherheit. Wir sind pri­vi­le­gier­te Flüchtlinge mit Rückkehrabsicht. Und ein­fach nur trau­rig und wütend.

Wir ver­ste­hen noch nicht ganz, wie uns geschieht. Beirut ist uns ans Herz gewach­sen: Arabisch und doch nicht ara­bisch. Schick und schä­big, kriegs­ver­sehrt und glit­zernd-neu. Unzählige Bars, Clubs, Strand-Cafés und Restaurants. Theater, Konzerte, Vorträge, Ausstellungen: das Kulturangebot so reich­hal­tig, dass es oft schwie­rig ist, sich für einen Anlass zu ent­schei­den. Eine NGO, die sich für die Meeresfauna und ‑flo­ra ein­setzt. Und eine, die für die Rechte von Schwulen und Lesben kämpft, die ein­zi­ge im Nahen Osten. Beirut ist nicht Provinz, Beirut ist leben­di­ges Zentrum der ara­bi­schen Welt. Leben und leben las­sen, das abge­dro­sche­ne Sprichwort trifft auf die­se Stadt zu. Wir müs­sen uns infor­mie­ren, immer und immer wie­der gehen wir in Tartus ins Internet-Café. Mazen Kerbaj hat sei­nen Blog auf­ge­schal­tet. Zynisch dankt er den Israeli, dass sie sei­ne Kindheitserinnerungen auf­fri­schen. Sie sei­en wah­re Soundkünstler. Kerbaj ist das Aushängeschild der frei­en Improvisationsszene Beiruts, Trompeter, Comic-Zeichner, Karikaturist. Am Samstag hät­te er auf US-Tournee gehen sol­len. Er wur­de 1975 gebo­ren, als der Bürgerkrieg begann. Heute erin­nern sei­ne Sounds auf der Trompete an Helikopter und Bomben. Was hat es denn auf sich mit sei­ner Trompete, fragt er sich. Will er die Klänge sei­ner Kindheit rekon­stru­ie­ren? Nostalgie nach dem Krieg? Die Geräuschlandschaften sei­ner Kindheit sind die Soundkulissen der Gegenwart gewor­den. Seine Zeichnungen ver­su­chen dem Horror mit Zynismus bei­zu­kom­men.

Wir errei­chen Rana Eid übers Internet-Telefon. Sie ist auf­ge­löst, bei­na­he hyste­risch. Eid ver­tont alle wich­ti­gen Filme, die im Libanon pro­du­ziert wer­den.

Erleichterung, wenn die Flugzeuge weg­flie­gen, Angst davor, dass sie wie­der­keh­ren.

Sie hat eine tie­fe Verbindung zu Sound. Als sie klein war und der Himmel wäh­rend der israe­li­schen Invasion 1982 vibrier­te und die Bomben fie­len, hat sie sich jeweils einen Walkman über die Ohren gestülpt und Musik gehört. Bis heu­te asso­zi­iert sie des­halb Musik mit Krieg und Horror. Jetzt bricht das gan­ze Trauma wie­der über sie her­ein. Wir sind den Tränen nahe, wenn wir sie reden hören.

Auch Wael Kodeih, Rapper der Gruppe von Aks’ser, hat einen Blog auf­ge­schal­tet: «Lebanon under Attack». Auf sei­nem Newswire berich­tet er von all den Zielen, die von israe­li­schen Bomben getrof­fen wer­den. Der Leuchtturm an der Corniche, mit­ten in Beirut und sicher kein Versteck der Hizbullah. Der Flughafen, zwei, drei, vier Mal. Er ist schon kaputt, was wollt Ihr noch mehr!? Das schmucke Fischerstädtchen Tyr, wo Beirutis am Wochenende ger­ne Fisch essen. Tanks, Elektrizitätsanlagen, alles, ein­fach alles. Die Israeli wer­fen Flugblätter über Downtown Beirut ab: «Jeder, der mit Hizbullah sym­pa­thi­siert, bringt sich in Gefahr.» Wie will Israel das von der Luft aus her­aus­fin­den kön­nen? Dely, Aktivisitin in einer NGO, ist Iranerin. Sie hasst die Hizbullah dafür, dass sie ihr eige­nes Land ein­fach so aufs Spiel setzt. Die Hizbullah führt ihr Land doch gera­de­wegs an den Abgrund. Sie lie­fert den Israeli lau­fend Vorwände, im Namen der Terror-Bekämpfung Libanon zu zer­stö­ren, Zivilisten zu töten, die Infrastruktur lahm zu legen. Weder Israel noch die Hizbullah küm­mern sich um Menschenleben. Libanon ist kein Wüstenstaat! Beirut soll­te in weni­gen Jahren zur regio­na­len Konkurrenz Dubais wer­den, pro­gno­sti­zier­ten Experten. Hier tra­fen Business, Finanzen, Kultur und Nightlife zusam­men. «Beirut, the New Ibiza», ver­lau­te­te das neue Ausgangsmagazin «Time Out Beirut» gera­de noch. Strandpartys mit inter­na­tio­na­len DJs, Konzerte und Festivals mit inter­na­tio­na­len Stars (von 50 Cent bis Barbara Hendricks) lock­ten tau­sen­de Touristen an. Beirut, ein kul­tu­rel­ler Hotspot! Mit zwei­fel­haf­ter Politik, zuge­ge­ben. Die mei­sten liba­ne­si­schen Politiker sind alte Clan-Führer, die schon wäh­rend des Kriegs regier­ten. Doch seit die Syrer weg sind, rauf­ten sie sich zusam­men. Im so genann­ten «National Dialogue» rede­ten alle Leader Libanons am run­den Tisch und ver­such­ten, die­ses Land vol­ler Gegensätze, lang­sam vor­an­zu­brin­gen. Oft war’s ein Theater, aber immer­hin. Die USA, so schien es, stan­den hin­ter der Regierung. In einer Demokratie sind auch die unbe­que­men Gruppierungen, sprich Hizbullah, ein­ge­bun­den. Und das wird dem Land jetzt zum Verhängnis. Die USA schwei­gen. Dialog ist nicht mehr gefragt. Israel hat ange­kün­digt, das Rad der Zeit im Libanon um zwan­zig bis fünf­zig Jahre zurück­zu­wer­fen. Es scheint ihnen zu gelin­gen.

Nat Muller, Kuratorin aus Amsterdam, schreibt eine SMS. Sie ver­lässt Beirut mit einem Bus voll mit Niederländern. «Eben Beirut ver­las­sen. Mein Herz blu­tet», schreibt sie. Andere Freunde wer­den wohl bald von Kriegsschiffen eva­ku­iert. Die mei­sten unse­rer liba­ne­si­schen Freunde haben Beirut ver­las­sen und sich in die Berge zurück­ge­zo­gen. Sie füh­len sich sicher, aber ihre SMS zeu­gen von Angst. Oft dringt Zynismus durch. Keiner weiss, wie das wei­ter­ge­hen wird.

Amar al-Husn, Sonntag Nachmittag. Wir haben uns ins «Réduit» zurück­ge­zo­gen, in die Berge nörd­lich der liba­ne­sisch-syri­schen Grenze. Morgen zie­hen wir wohl nach Amman wei­ter.

Noch vor einer Woche haben wir in Beirut Sushi geges­sen und aus­ge­las­sen den WM-Final gefei­ert. Alles war auf den Strassen, um Italien zuzu­ju­beln. Heute wis­sen wir nicht, wie lan­ge der Horror noch andau­ern wird. Wir wis­sen noch nicht, wohin wir als näch­stes sol­len. Der Schlüssel zu unse­rer Wohnung steckt in der Innentasche des Koffers. Noch hof­fen wir, dass wir ihn bald raus­ho­len kön­nen.

die Autoren

Thomas Burkhalter ist Musikethnologe und schreibt sei­ne Dissertation über die unab­hän­gi­ge Musikszene Beiruts (sie­he Texte zu Beirut auf www.norient.com). Anna Trechsel ist Islamwissenschaftlerin und Radiojournalistin. Originaltextversion.

Bild: zVg.
ensuite, August 2006

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