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«Drei Vögel im Rosenbusch» sprengt Löcher in die Schweiz

Michael Zwicker über Gerold Späths Erzählung – Ein nicht ganz unbe­kann­ter Spezialist für fik­ti­ve Sachen wird von der stadt­be­kann­ten Madame Hoggh, die in «luf­tig flir­ren­dem Vielfarbentuch als Paradiesvogel» daher wallt, abge­fan­gen und ins Hogghsche Stadthaus «Zum Blühenden Rosenbusch» auf einen «Räuschling», einen süf­fi­gen Tropfen ein­ge­la­den. Madame Hoggh zwit­schert dem «Fiktionsfabulierer» an sechs auf­ein­an­der fol­gen­den Nachmittagen eine explo­si­ve Story ins Ohr, die wir dank der Niederschrift des jun­gen Geschichtenerzählers, schluss­end­lich aber dank der Niederschrift des nicht mehr ganz so jun­gen, aber renom­mier­ten Schweizer Schriftstellers Gerold Späth im hand­lich kom­pak­ten Buch «Drei Vögel im Rosenbusch» nach­le­sen kön­nen.

«TUTTIFRUTTIKNALLBUMMBUMM!» Für die inhalt­li­che Sprengkraft der Erzählung sorgt Madame Hogghs Bruder Ernst. Ernst, der in sei­nem Leben schon eini­ge Male auf die eine oder ande­re Weise durch Repräsentanten des soge­nann­ten Staates gede­mü­tigt wur­de – unter ande­rem wur­de er von staat­li­chen Beamten ver­prü­gelt, von sol­chen, als er Hilfe von ihnen erwar­te­te, in die Ausnüchterungszelle gesteckt, von eben sol­chen eines Koffers vol­ler Geld beraubt, und von «Milchbuben vom ewig leer­lau­fen­den Landesverteidigungs-Circus» in die mili­tä­ri­sche Autowaschanlage gesteckt statt zum Unteroffizier aus­ge­bil­det zu wer­den – die­ser gede­mü­tig­te Ernst erwar­tet von den Staatsbeamten Respekt, den er sich mit einer geball­ten Ladung Dynamit zu erzwin­gen hofft. Doch bevor Madame Hoggh mehr von den «aven­tü­rio­sen Vorkommnissen» ihres Bruders erzählt, müs­sen wir uns die vier Generationen zurück­rei­chen­de und nicht weni­ger amü­san­te Familiengeschichte anhö­ren, die, so könn­te man mei­nen, nichts zur Sache tut.

«Plattnormale Kuhschweizer» Der Leser wird mit dem Schreiberling über­ein­stim­men, wenn die­ser beteu­ert, was und wie Madame Hoggh erzäh­le habe sei­ne gan­ze Aufmerksamkeit, wodurch er den Bruder Ernst und sei­ne explo­si­ven Abenteuer bei bester Laune abwar­ten kön­ne. Die süf­fig geschrie­be­ne und urko­mi­sche Familiengeschichte über das Leben der ver­schro­be­nen Vorfahren über­zeugt mit wort­ge­wal­ti­gem Sprachwitz und kari­kier­ten Darstellungen «platt­nor­ma­ler Kuhschweizer». Die Familiengeschichte ist die lodern­de und fun­ken­sprü­hen­de Zündschnur, die das Dynamit, Ernst, schluss­end­lich zum Knallen bringt, und den Leser betäubt. Die Erzählung ist eine in Sprache gemal­te und über­zeich­ne­te Schweizer See- und Hügellandschaft, die erfreut; eine Vogelfeder, die an der Fusssohle kit­zelt.

Späth als Wichtigtuer und Lügner Die Erzählung endet mit der Abführung des Geschichtenerzählers durch die Polizei: Verdacht auf Insiderkenntnisse bezüg­lich gewis­ser Sprengstoffdelikte. Gerold Späth the­ma­ti­siert in sei­ner Erzählung in zahl­rei­chen Anspielungen den alten und bezüg­lich der Literatur oft dis­ku­tier­ten Gegensatz von Fiktion und Realität. Der Geschichtenerzähler, der sich selbst als «klei­ner Schwindler, gros­ser Lügner, Schwadroneur, Aufschneider und Wichtigtuer» bezeich­net, steht für die Fiktion, die ledig­lich an Fakten inter­es­sier­te Polizei, und mit ihr alle ande­ren Staatsangestellten, für die Realität. Der Realität, so scheint es, fehlt es oft­mals am nöti­gen Respekt. Jedoch, so scheint es aus­ser­dem, nicht gegen­über Gerold Späth. Was erstaun­lich ist. Denn nor­ma­ler­wei­se zollt man hier­zu­lan­de Lügnern und Wichtigtuern kei­nen Respekt, es sei denn, sie ver­die­nen sich die­sen mit üppig aus­ge­schmück­ten und aber­wit­zi­gen Schelmengeschichten.

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2014