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Direkte Demokratie braucht Qualitätsmedien

[Luzern, 12.05.2011 – Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann | «Swiss Media Forum»]

In Tunesien und Ägypten mobi­li­sier­te sich die Bevölkerung mit­tels Internet und SMS zum Aufstand gegen die Regierung. Neue Kommunikationswege nutzt man auch in der Entwicklungspolitik: Auf Haiti wur­de kurz nach dem Ausbruch der Cholera-Epidemie mit SMS und Voice-Mail über die in der Karibik bis­her kaum bekann­te Krankheit auf­ge­klärt. Diese zwei Beispiele nen­nen neu­ste Medientechnik. Qualitätsmedien sind sie des­halb noch lan­ge nicht. Und von direk­ten Demokratien kann man weder in Nordafrika noch auf Haiti spre­chen. Doch was nicht ist, kann ja noch wer­den. Die Medien spie­len eine ent­schei­den­de Rolle.

Meine Damen und Herren, neue Generationen von Handies, aber auch Facebook, Twitter und Youtube ver­än­dern unser Verhalten, wie wir mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren und wie wir uns infor­mie­ren. Auch an Tempo legen wir zu. Überall und jeder­zeit sind wir erreich­bar. Praktisch live kön­nen wir Ereignisse auf der gan­zen Welt ver­fol­gen.

Diese Schnelligkeit und Vielfalt sind eine gewal­ti­ge Herausforderung. Eindrücklich haben die Ereignisse in Japan gezeigt, dass man sich in der Informationsflut nach zuver­läs­si­gen Nachrichten sehnt. Doch die­se sind nicht immer ein­fach zu fin­den. Manchmal wäre weni­ger mehr. Der Wandel in der Medien- und Kommunikationsbranche for­dert uns alle. Politiker, Konsumenten und Medien-schaf­fen­de glei­cher­mas­sen. US-Präsident Barack Obama hat bereits vor zwei Jahren gezeigt, wie man elek­tro­ni­sche Medien nutzt, um Wähler zu gewin­nen.

Der Konsument ent­schei­det, wie, wann und wo er sich infor­miert. Verlagshäuser und Medienschaffende müs­sen den Spagat zwi­schen der schnel­len Online-Information und gut recher­chier­ten Hintergrundberichten mei­stern. Ein trans­pa­ren­ter, viel­fäl­ti­ger Zugang zur Information ist die Grundlage für das Funktionieren einer moder­nen Gesellschaft. Nur so sind wir in der Lage, uns eine Meinung zu den ver­schie­den­sten Themen zu bil­den. Und nur so kön­nen wir auch unse­re Rolle in der direk­ten Demokratie wahr­neh­men. Das ist für die Bürgerinnen und Bürger ganz beson­ders wich­tig in einem Wahljahr wie die­sem.

Liebe Gäste, für mich ist klar: Die Schweizer Wirtschaft ist erfolg­reich, weil sie hohe und höch­ste Qualität lie­fert. Das Erfolgsrezept der Schweiz heisst Qualität und Wettbewerbsfähigkeit dank Innovation. Sie wis­sen es, die Schweizer Volkswirtschaft erwirt­schaf­tet bereits jeden zwei­ten Franken im Ausland. Schweizer Unternehmen sind also auf dem inter­na­tio­na­len Markt genau­so erfolg­reich wie auf dem Binnenmarkt. Im rau­hen Wettbewerb kön­nen sich die Unternehmen nur des­halb behaup­ten, weil sie mit inno­va­ti­ven, qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­den Produkten über­zeu­gen. Viele Schweizer Unternehmen sind in ihrem Nischenmarkt welt­weit die Nummer eins. Daran haben wir uns zu ori­en­tie­ren.

Qualität ist auch das Erfolgsrezept für die Land- und Ernährungswirtschaft. Als Landwirtschaftsminister ver­fol­ge ich die Qualitätspolitik unse­rer Agrarwirtschaft ganz dezi­diert wei­ter. Ich will eine wett­be­werbs­fä­hi­ge, pro­du­zie­ren­de Landwirtschaft. Lebensmittel aus der Schweiz müs­sen in Zukunft noch ver­mehrt quer über alle Preissegmente mit Qualität punk­ten. Dafür sind Kunden im In- und Ausland bereit, auch tie­fer in die Tasche zu grei­fen.

Nach die­sem kur­zen Ausflug in mei­ne Welt, kom­me ich jetzt zu Ihrer und unse­rer gemein­sa­men Welt: «Direkte Demokratie braucht Qualitätsmedien» – und umge­kehrt. Ich bin mir bewusst, dass die Medienbranche mit­ten im Umbruch steht. Im Online-Bereich ver­dient noch kaum jemand rich­tig gutes Geld. Die tra­di­tio­nel­le Zeitung kann­te auch schon bes­se­re Zeiten. Neue Kommunikationsträger eta­blie­ren sich. Wie immer sich Ihre Welt ver­än­dert: Ich bin über­zeugt, dass gera­de in einem sol­chen Umfeld Erfolg hat, wer auf Qualität und Innovation setzt. Das gilt glei­cher­mas­sen für digi­ta­le und ana­lo­ge Medien. Das gilt für den Boulevard wie für Medien, die sich an ein eli­tä­res Publikum rich­ten.

Letztlich ent­schei­det immer der Kunde, wel­ches Medium er nutzt. Für ihn müs­sen die Qualität, der Service und das Preis-Leistungsverhältnis stim­men. Das gilt sowohl für News als auch für Hintergrundinformationen. Doch was heisst Qualität? Was sind die Kriterien, die den Mehrwert sicht- oder hör­bar machen?

Meiner Meinung nach müs­sen die fol­gen­den sechs Kriterien erfüllt sein:

  1. Objektivität:
    Die Berichterstattung ori­en­tiert sich an Fakten.
    Tatsachen und Ereignisse wer­den sach­ge­recht dar­ge­stellt.
  2. Korrektheit:
    Die Berichterstattung muss feh­ler­los und aus­ge­wo­gen sein.
  3. Unabhängigkeit:
    Niemand ̶ das heisst, weder Eigentümer, Mächtige, noch Inserenten ̶ nimmt Einfluss auf die Berichterstattung.
  4. Vielfältigkeit:
    Die Themenauswahl ist gewich­tet nach objek­ti­ven Kriterien.
    Die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten muss zum Ausdruck kom­men.
  5. Verständlichkeit:
    Die Berichterstattung ist ver­ständ­lich, logisch auf­ge­baut und span­nend gemacht.
  6. Konstanz:
    Die Berichterstattung zeich­net sich durch kon­stan­te Qualität aus.

Meine Damen und Herren, wer sei­ne Arbeit auf die­se Qualitätskriterien aus­rich­tet, dürf­te auf die lan­ge Frist gegen­über der Konkurrenz die Nase vorn haben. Die Wirtschaftskrise hat in der Schweizer Medienbranche zu teil­wei­se mas­si­ven

Einbussen in den Werbeeinnahmen geführt. Vielerorts muss­ten Stellen abge­baut wer­den. Entscheidend war, dass in der schwie­ri­gen Zeit der Rotstift dort ange­setzt wur­de, wo die Grundwerte, die Qualitätsgrundlagen des Unternehmens, nicht oder mög­lichst nicht betrof­fen wur­den.

Denn nach jeder Krise kommt der Aufschwung. Und wer schnel­ler zurück ist, geht als Gewinner her­vor. Will ein Unternehmen diver­si­fi­zie­ren, müs­sen genü­gend Ressourcen zur Verfügung gestellt wer­den. Das gilt auch für Ihre Branche.

Setzt sich bei­spiels­wei­se ein Verlag zum Ziel, im Online-Bereich zum Marktführer für Wirtschaftsinformationen zu wer­den, muss die Redaktion ent­spre­chend auf­ge­rü­stet wer­den. Dieses Ziel kann kaum mit der klein­sten Redaktion im Hause erfüllt wer­den.

Verlagshäuser sol­len in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter inve­stie­ren.

Insbesondere jun­ge Quereinsteiger müs­sen auf ihre jour­na­li­sti­sche Tätigkeit geschult wer­den. Weiterbildung muss ein Dauerthema sein. Meine Damen und Herren, wir ste­hen mit­ten in einem grund­le­gen­den Wandel der Medienlandschaft.

Die Akteure auf dem schwei­ze­ri­schen Medienmarkt müs­sen sich ver­mehrt einer aus­län­di­schen Konkurrenz stel­len. Zwar haben aus­län­di­sche Programme schon seit eini­ger Zeit etwa 60 Prozent Marktanteil im Fernsehmarkt. Die Präsenz der aus­län­di­schen Medien-kon­zer­ne hat sich vor allem durch das Internet akzen­tu­iert. Heute haben wir welt­weit täti­ge Unternehmen wie Google, Apple, Facebook, Youtube, die auf den Schweizer Markt zugrei­fen. Dieser Wandel und die damit ver­bun­de­ne Veränderung der Märkte kön­nen nicht auf­ge­hal­ten wer­den. Es ist eine Illusion zu glau­ben, man kön­ne bis­he­ri­ge Marktabgrenzungen qua­si poli­tisch fest­le­gen.

Die inter­na­tio­na­le Entwicklung stellt den Medienstandort Schweiz vor neue Herausforderungen. Wir müs­sen uns auch in Ihrem Gebiet auf unse­re Stärken besin­nen. Dies bedeu­tet, dass der Bund der SRG den Entwicklungsspielraum gewäh­ren muss, den sie braucht, um gegen die inter­na­tio­na­le Konkurrenz bestehen und den Service public erbrin­gen zu kön­nen. Wenn ihre Konkurrentinnen ihre Programme mit einem Internetauftritt ver­bin­den, muss dies auch der SRG mög­lich sein. Diese Entwicklung soll aber nicht unkon­trol­liert erfol­gen. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die gebüh­ren­fi­nan­zier­ten Online-Angebote der SRG die pri­va­ten Marktteilnehmer kon­kur­ren­zie­ren. Damit ist die Gefahr einer Marktverzerrung ver­bun­den.

Deshalb ist ange­mes­sen Rücksicht zu neh­men auf die ande­ren Akteure und die exi­stie­ren­den Strukturen. Die Verlagerung von tra­di­tio­nel­len zu neu­en Medien soll nach­hal­tig sein. Sie soll ermög­li­chen, dass sich die Beteiligten, nament­lich auch die Printmedien, dar­auf ein­stel­len kön­nen. Die aus­län­di­sche Konkurrenz ist nicht die ein­zi­ge Herausforderung. Auch die Art und Weise, wie wir uns infor­mie­ren, wird sich wei­ter ver­än­dern. Diese Vielfalt gilt es zu nut­zen. Das gilt für Anbieter und Nutzer.

In der Politik und in der Verwaltung haben wir Aufholpotenzial. Die neu­en Medien kön­nen noch bes­ser genutzt wer­den. Dabei geht es nicht dar­um, über Twitter&Co Informationen zu ver­mit­teln. Vielmehr müs­sen wir über die­se neu­en

Kanäle neue Zielgruppen errei­chen. Auf der Nutzerseite zäh­le ich mich zu den Konservativen. Die Schlagzeilen lese ich im Internet oder auf dem Handy. Immer wie­der nut­ze ich mein Natel, um die Tagesschau zu einem spä­te­ren Zeitpunkt anzu­schau­en. Für Hintergrundinformationen lie­be ich es, die Zeitung in der Hand zu hal­ten. Doch ver­mut­lich wer­de auch ich in Kürze zu den­je­ni­gen gehö­ren, die den «Bund», den «Tages-Anzeiger», die «NZZ» und die «Financial Times» auf dem i‑Pad lesen. Was heu­te noch nicht gang und gäbe ist, wird mor­gen bereits Realität sein.

Liebe Verlegerinnen und Verleger, lie­be Medienschaffende, lie­be Vertreterinnen und Vertreter aus der Kommunikationsbrache:

In Nordafrika haben neue Kommunikationsträger eine Demokratisierungswelle aus­ge­löst. Hierzulande nennt man die Medien neben der Legislativen, Exekutiven und Judikativen auch die vier­te Macht im Staat. Sie neh­men die­se Verantwortung ehr­lich wahr. Dafür bedan­ke ich mich bei Ihnen. Die Schweiz ist die direk­te Demokratie. Auch dank unse­rer Qualitätsmedien. Die Errungenschaften, die Wohlfahrt und der Wohlstand sind wert­vol­le Güter. Sie zu pfle­gen, sie nicht irgend­wel­chen Launen und ego­isti­schen Machtansprüchen zu über­las­sen, ist Ihre und unse­re gemein­sa­me Verantwortung.

Es gilt das gespro­che­ne Wort !

Herausgeber:

Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement
Internet: http://www.evd.admin.ch