Die Suche nach dem neu­en, unbe­que­men Ton

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Von Till Hillbrecht – Beim Erkunden von Sounds in der Fremde wird klar, dass die Welt weit mehr birgt als die hier­zu­lan­de bekann­te und zu eso­te­ri­schen Klängen ver­schrie­ne Worldmusic. Das inter­na­tio­nal täti­ge Berner Netzwerk Norient.com begibt sich seit dem Jahr 2002 in die Tiefen der expe­ri­men­tel­len Soundprovinzen der Erde und taucht nach Perlen, die sich auch nach ihrem Finden im über­sät­tig­ten Markt schwer tun. Norient ist ein Sammelwerk von Artikeln über Künstler, die auf eigen­stän­di­ge Art loka­le und glo­ba­le Einflüsse ver­ar­bei­ten. Bombeneinschläge wer­den in der elek­tro­aku­sti­schen Szene im Arabischen Raum zum glei­chen musi­ka­li­schen Ereignis wie tra­di­tio­nel­le Klänge. Politische Realität führt die zeit­ge­nös­si­sche Künstlergeneration zur Form ihrer eige­nen Neuen Musik. Es geht der Plattform Norient jedoch nicht um Politik oder gesell­schaft­li­che Kriterien. Es geht um die Essenz: Gute Musik. Norient gestal­tet wäh­rend den Monaten April bis Juli im Zentrum Paul Klee audio­vi­su­el­le Veranstaltungen. Nebst Hörstationen in der Ausstellung «Traum und Wirklichkeit: zeit­ge­nös­si­sche Kunst aus dem Nahen Osten» und nam­haf­ten Soundkünstlern aus dem ara­bi­schen Raum tritt Norient-Gründer Thomas Burkhalter mit Simon und Michael Spahr mit der preis­ge­krön­ten Live-Performance «Sonic Traces from the Arab World» auf. Ein Moment, um Gleichheiten und tie­fe Gräben ken­nen zu ler­nen. Und sie zu ver­ges­sen. Denn es geht: Um gute Musik.

ensuite – kul­tur­ma­ga­zin: Wo liegt der Unterschied zwi­schen dem Deathmetal-Musiker aus dem Libanon und jenem aus der Schweiz?

Thomas Burkhalter: Es gibt eine eini­ger­mas­sen gros­se Szene im Libanon. Und auf der ober­sten Ebene ist klar: Auch deren Einflüsse kom­men aus Amerika oder Finnland, die mei­sten sind aus­ge­rich­tet auf ame­ri­ka­ni­sche Bands wie «Morbid Angels». Negativ äus­sert sich der Unterschied, dass es im Libanon weni­ger Tontechniker und Produzenten gibt, die sich mit die­sem Sound aus­ken­nen und die fähig sind, Aufnahmen mit der ent­spre­chend typi­schen Ästhetik hin­zu­krie­gen. Bezüglich der Essenz der Musik lässt sich die Frage fast nicht beant­wor­ten. Du hast Musiker, die fünf­zehn Jahre im Krieg waren, und wenn man die näher ken­nen­lernt merkt man, dass die­se Musiker oft sehr trau­ma­ti­siert sind. Musik ist in die­sem Falle oft eine Art Selbsttherapie. Ob sie des­we­gen Musik anders machen als eine Band in New York, ist schwie­rig zu beant­wor­ten. Ich weiss nicht, wie man das mes­sen könn­te. Was man aber mes­sen kann sind ein­ge­bau­te Melodien, wel­che ara­bisch klin­gen. Jedoch machen das Bands aus Amerika eben­so, wobei dann die ara­bi­schen Bands behaup­ten, das sei eine Kopie. Man kann die Frage nicht abschlies­send beant­wor­ten. Klar ist, dass es Unterschiede im Text gibt – auf die­ser Ebene sind sie oft sehr lokal.

Gibt es Konflikte mit dem Klischee World Music?

Das ist viel­leicht gera­de beim Beispiel des Beiruter Death Metal nicht unbe­dingt das Problem. Aber Hiphop-Musiker oder Rocker wür­den genau aus die­sem Grund nie­mals mit ori­en­ta­li­schen Klischees oder Musik begin­nen zu expe­ri­men­tie­ren, weil sie sich dann vor­kom­men wür­den, als ob sie sich an einem Markt anbie­dern wür­den. Die sehen sich viel mehr als Gegenbewegung zur jener Sicht, die wir auf die­se Welt haben. Sie wol­len sich über ihre gute Musik ver­kau­fen. Und das ist, was zählt.

Und was Norient schluss­end­lich auch aus­zeich­net.

Letztlich geht es dar­um, nicht nur auf die Unterschiede der Kulturen hin­zu­wei­sen, son­dern auch Gemeinsamkeiten zu fin­den. Wir wol­len die sub­kul­tu­rel­len Szenen auf­wei­sen; im expe­ri­men­tel­len Bereich, im poli­ti­schen Bereich. Neue Musik, E‑Musik. Da gibt es natür­lich auch Musiker, die aus der Tradition her­aus ver­su­chen, neue Wege zu gehen. Die bei­spiels­wei­se mit Konzepten indi­scher Musik arbei­ten, aber mit aty­pi­schen Instrumenten. Die klingt zwar dann west­lich, bezüg­lich Aufbau ist sie aber völ­lig indisch.

Im Zentrum Paul Klee tre­ten Simon Grab, Michael Spahr und Sie als Veranstalter der Soloprojekte ara­bi­scher Künstler und der Hörstationen, aber auch selbst als akti­ve Künstler ins Rampenlicht. Mit dem Projekt «Sonic Traces From The Arab World» wird ein Startschuss für die Zukunft gesetzt.

Sonic Traces ist eine Live-Performance. Eine Arbeit, in wel­cher alle Resultate unse­res Schaffens zusam­men­kom­men und künst­le­risch umge­setzt wer­den. Es ist eine Geschichte über Neue Musik in der ara­bi­schen Welt: Wie sie sich defi­niert, sich dar­stellt und wo sie her­kommt. Es ist vol­ler Sounds von ara­bi­schen Künstlern, die in Sonic Traces noch ein biss­chen genau­er ange­schaut wer­den. Was dabei ent­steht ist eine Art Hör-Bild-Feature: Man sitzt im Stuhl und lehnt sich zurück und schaut sich die­sen Hör-Film an. Wir hof­fen, der Zuschauer bekommt über das Ohr mit, was in die­ser frem­den Welt pas­siert.

Das Ziel ist, aus Sonic Traces eine Serie zu machen, die mit Künstlern vor Ort arbei­tet und in die Performance ein­ge­baut wird. Es ist so: Wenn man das in der Schweiz macht, dann ist das was ande­res, als wenn wir mit Sonic Traces in der ara­bi­schen Welt auf­tre­ten. Wenn drei Schweizer den Arabern erklä­ren, wie ihre Musik funk­tio­niert, ist das ein biss­chen schräg. Es soll­ten schon Kollaborationen statt­fin­den. Die Leute reagie­ren zwei­er­lei: Sie sind begei­stert, weil sie teil­wei­se Stücke ihrer eige­nen Musik oft nicht ken­nen. Bei pro­vo­ka­ti­ven Aussagen hin­ge­gen fra­gen sie sich, was der Schweizer da wohl sagen will.

Spannend wäre in die­sem Fall, wenn Sonic Traces im ara­bi­schen Raum mit Schweizer Musik auf­ge­führt wür­de.

Das ist auch eine Idee und die möch­te ich eigent­lich schon lan­ge rea­li­sie­ren, frü­her oder spä­ter. Schwierig an Sonic Traces ist, dass sehr viel und fun­diert recher­chiert wer­den muss und dies mit gros­sem Reiseaufwand ver­bun­den ist. Da wäre ein Schweizer Fokus ein­fa­cher.

Hier ist es inzwi­schen für jeden mög­lich, Musik zu pro­du­zie­ren: Fast jeder kann sich einen Laptop lei­sten, kann Audiosoftware run­ter­la­den, kann Sounds auf­neh­men. Das Feld der expe­ri­men­tel­len Musik hat sich mit der fort­schrei­ten­den Technik geöff­net. Gilt das auch in ande­ren Kulturräumen?

In der ara­bi­schen Welt haben wir die­sel­ben Voraussetzungen. In Afrika viel­leicht weni­ger, jedoch darf man nicht ver­ges­sen, dass Künstler, die expe­ri­men­tel­le Musik pro­du­zie­ren, in die­sen Ländern zu 90 Prozent einer Elite ange­hö­ren, aus einer rei­chen Familie stam­men und sich das ent­spre­chen­de Equipment lei­sten kön­nen. Man kann sagen, dass es eine Elite-Künstler-Szene gibt. Interessant wird es dann, wenn sich die­se Szene mit loka­len Themen aus­ein­an­der­setzt, weil sie so nahe an den Wurzeln ihrer Gesellschaft gar nicht sind. Wenn bei­spiels­wei­se liba­ne­si­sche Künstler den Krieg als Thema in ihrem Sound oder ihren Texten benut­zen, heisst dass nicht unbe­dingt, dass die­se Künstler in den Häusern leb­ten, die zer­stört wor­den sind. Das führt oft zu merk­wür­di­gen Konstellationen: Eine Elite, die über Dinge berich­tet, mit wel­chen eigent­lich die Mittel- und Unterklasse kon­fron­tiert ist. Das ist an sich nicht schlecht, könn­te jedoch dekla­rier­ter sein.

Soundtechnisch wür­de ich sagen, sind Künstler im ara­bi­schen Raum tech­nisch auf dem glei­chen Niveau wie wir und kön­nen des­halb inzwi­schen auf ande­ren Märkten mit­mi­schen. Eine Motivation für mich ist, dass neue Sounds in Zukunft aus die­sen Regionen kom­men, denn die­se Leute haben viel erlebt und haben ein gros­ses Know-how. Sie geben Vollgas, um ihre künst­le­ri­sche Sprache zu fin­den und her­aus­zu­ge­ben. Darum geht’s mir per­sön­lich bei Norient: Neue Musik ken­nen zu ler­nen, gute Musik. Es ist die Freude an der Musik.

Es geht um Musik. Schnell aber schwin­gen bei die­sem Thema auch die Begriffe Politik, Krieg, Fremde, Gesellschaft mit.

Auf das wird man auch immer gleich redu­ziert. Aber der Fokus liegt letzt­lich auf der Musik, die wir gut fin­den. Man kann dann dar­über debat­tie­ren, ob unser Geschmack schlecht oder gut ist. Aber für uns geht es um die Musik und wir haben das Gefühl, dass dar­in die span­nen­den Sachen ent­ste­hen. Und dass wir die auch unter­stüt­zen kön­nen. Zum Beispiel, indem wir wie jetzt im Zentrum Paul Klee Künstler nach Bern ein­la­den kön­nen und sie auf einer zwei­ten Ebene in unse­ren Texten prä­sen­tie­ren. Dabei kann es sein, dass wir einen Stein ins Rollen brin­gen und diver­se Künstler von ande­ren Leuten ent­deckt wer­den. Wir sind eine Art Scouts, die aber nach neu­en, auch unbe­que­men Tönen suchen. Nicht nur sol­che, die im Musikmarkt sofort funk­tio­nie­ren, son­dern die wir in unse­rem Netzwerk tra­gen und ver­brei­ten kön­nen.

Der Netzwerkgedanke ist seit eini­gen Jahren sehr popu­lär: Dank Plattformen wie MySpace kom­men unbe­kann­te Musiker rund um den Globus in Kontakt. Ist das eine Konkurrenz für Norient?

Ich fin­de die­se Vernetzung sehr gut. Wir sind sel­ber bei MySpace. Die Stärke von Norient ist jedoch der direk­te Kontakt zu Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern. Wir machen eine Auswahl und neh­men nicht alles und jeden. Wir sol­len und wol­len auch wer­ten kön­nen: Wir tref­fen Entscheidungen und haben eine Perspektive. Das ist das Wichtige an die­sem Netzwerk, das es aber auch angreif­bar macht. Wir wol­len Farbe beken­nen zu dem, was wir auf unse­re Plattform stel­len und haben Kontakt zu allen, die wir prä­sen­tie­ren.

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2009

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