Die Strategie für die Zeitung von mor­gen, Teil 1: Das Modell HBO

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(Constantin Seibt) –

Wer ist der gröss­te Künstler des noch jun­gen 21. Jahrhunderts? Wenn Sie mich fra­gen, wäre mei­ne Antwort: Passend zur­zeit ist es kein Mensch, son­dern ein Konzern: der ame­ri­ka­ni­sche Bezahlsender HBO.

Dabei war Fernsehen ein Medium, das unter Experten als krea­tiv tot galt. Das Rückgrat der mei­sten Programme besteht seit Jahren unver­än­dert aus Kopien von Kopien: dem end­lo­sen Reigen von Talk‑, Casting- und Realityshows. Vieles ist bil­lig, eini­ges böse, im besten Fall glit­zert es.

Doch HBO erfand das Geschäft neu. Es erober­te den Markt mit einem Produkt, von dem zuvor nie­mand nicht ein­mal geträumt hät­te: mit Fernsehserien von unge­ahn­ter Eleganz.

Dank HBO wur­de die Fernsehserie die auf­re­gend­ste Kunstform des 21. Jahrhunderts. Es ist ein Erlebnis, heu­te vor dem Fernseher zu sit­zen. Man steht kla­rer und mit wei­te­rem Herzen wie­der auf – als grös­se­rer Mensch, als der man sich setz­te. HBO-Serien wie «The Sopranos» (Bild oben), «Six Feet Under», «In Treatment», «The Wire», «Hung», «Breaking Bad», «Newsroom» sind die moder­nen Enkel des Fortsetzungsromans des 19. Jahrhunderts. Sie sind so kom­pro­miss­los und kom­pro­miss­los unter­hal­tend wie die besten Romane von Balzac, Dickens und Tolstoi. Und wie die­se sind sie gleich­zei­tig eine schar­fe Zeitdiagnose und ein Bombengeschäft.

Nur, wie kam es dazu?

Die Idee des Ungewöhnlichen

Zwar gaben sich die Manager von HBO nach ihren Erfolgen gern als Dandys. «Wir suchen kei­ne Hits», sag­te etwa der HBO-Präsident Simon Sutton: «Wir bemü­hen uns nur um gute Geschichten.» Und plau­der­te dann von Kunst.

Doch das war 2009, als HBO schon Dutzende Hits gelan­det und hun­der­te Millionen Dollar gemacht hat­te. Doch Kunst ist fast nie das Ziel, nicht bei Konzernen, nicht ein­mal bei den Künstlern selbst. Kunst ist fast immer nur das Nebenprodukt einer ande­ren Idee.

Die Revolution des Fernsehens geschah aus Verzweiflung. Am Anfang stand der Zusammenbruch eines Geschäftsmodells. HBO hat­te auf zwei Produkte gesetzt, um sein Publikum zum Bezahlen zu brin­gen: Sport und Hollywood-Premieren. Mitte der Neunzigerjahre brach letz­te­res weg: Die gros­sen Studios began­nen, ihre Filme am TV sel­ber zu ver­mark­ten.

Die HBO-Bosse frag­ten sich, was tun. Und kamen dar­auf, dass man dem Publikum etwas «Ungewöhnliches» bie­ten müs­se. Sie über­leg­ten, was das sein könn­te. Und taten etwas Kühnes. Sie inve­stier­ten den Löwenanteil ihres Budgets – 400 Millionen Dollar – in Eigenproduktionen.

Und dann taten sie etwas noch Kühneres. Etwas, was Medienmanager erschreckend sel­ten tun: Sie dach­ten ihr Konzept radi­kal durch. Für die Idee des «Ungewöhnlichen» hiess das: Sie sahen sich an, wie Fernsehserien bei der Konkurrenz gemacht wur­den. Und taten auf allen Ebenen das Gegenteil.

  • Sie defi­nier­ten das Publikum neu: Herkömmliche Serien ver­such­ten, mög­lichst breit beliebt zu sein. Das hiess: Niemand vor den Kopf zu stos­sen. HBO erkann­te, dass für einen Bezahlsender eine mitt­le­re Zufriedenheit nicht reich­te. Geld zahl­ten nur Überzeugte. Also setz­te nicht auf Mehrheiten, son­dern auf Begeisterung: auf klei­ne Gruppen, die so begei­stert waren, dass sie zahl­ten. Und die bei Absetzung Protest orga­ni­sier­ten. (Wodurch HBO und sei­ne Nachfolger spä­ter die Kabelgesellschaften erpres­sen konn­ten.)
  • Sie fou­tier­ten sich um Tests: Statt wie die Konkurrenz Ideen zu Tode zu testen, setz­te HBO auf etwas Uraltes: die Magie einer Geschichte. Wie alle ech­ten Erzähler frag­ten sie nicht gross: Sie erzähl­ten und sahen, was pas­sier­te. Der Hit, der HBO den Durchbruch brach­te, die Vorstadt-Mafia-Serie «Sopranos», hät­te nie das Licht der Welt erblickt, hät­te man vor dem Start auf das Testpublikum gehört.
  • Sie setz­ten auf neu­es Führungspersonal – Autoren: HBO gab denen, die etwas von guten Geschichten ver­ste­hen, in der Filmindustrie nie gekann­te Freiheiten: den Autoren. Zuvor stan­den die­se in der Hierarchie nur im Status der Zulieferer. Die Entwicklung eines Drehbuchs glich einem Nacktbad in einem Haifischbecken. Alle hat­ten mit­zu­re­den: Regisseure, Produzenten, Marketingprofis. Bei HBO kam das Produkt aus einer Hand, in einem Guss.
  • Sie erschlos­sen einen neu­en Kontinent: die Nachtseite der USA. Die Produkte der Konkurrenz waren vom eigent­li­chen Kunden geprägt: der Werbung. Diese lebt in einer Welt, in der ewi­ger Tag herrscht. Im wer­be­frei­en HBO setz­te man auf das radi­ka­le Gegenteil: auf Sex, Melancholie, Flüche, Verirrung und Scheitern. Nicht nur im Inhalt, auch in der Ästhetik. Bei der ersten Version der Bestatterserie «Six Feet Under» kri­ti­sier­te der dama­li­ge HBO-Boss Chris Albrecht: «Das fühlt sich zu sau­ber an. Wir wol­len es düste­rer und maka­be­rer haben.» Das Resultat war, wie immer, wenn  eine neue Ästhetik pro­biert wird, für das Publikum ein über­wäl­ti­gen­des Gefühl von Realismus. Die USA ent­deck­te sich neu.
  • Sie bezahl­ten in einer neu­en Währung – Freiheit: Zu Anfang arbei­te­te HBO mit höchst mode­ra­ten Löhnen und ohne Stars. Denn für wirk­lich gute Köpfe gibt es immer zwei Währungen, für die sie arbei­ten: Geld und Freiheit. HBO zahl­te einen Teil der Gage in Freiheit. (Kam der Erfolg, floss dann rich­tig Kohle nach.)
  • Sie ver­trau­ten dem Publikum als Publikum: Herkömmliche Serien ver­trau­en ihrem Publikum höch­stens halb: Die Charaktere blei­ben ewig gleich. So kann ein Zuschauer über Wochen fern blei­ben. Und ist dann beim Hineinzappen sofort wie­der zu Hause sein. HBO hin­ge­gen sag­te sich, dass eine wirk­lich star­ke Geschichte genü­gend Sog ent­wickeln müss­te, den Zuschauer von Folge zu Folge zu fes­seln. Und ris­kier­te etwas Neues: Hauptfiguren, die sich ver­än­dern, teils sogar ster­ben. Das – nicht etwa Sex, Fluchen oder Finsternis – war der wah­re Tabubruch und der wich­tig­ste Schritt in die Freiheit.
  • Sie züch­te­ten nicht Würmer, son­dern Angler. Das revo­lu­tio­nä­re Motto beim Start des Privatfernsehens war der Satz des RTL-Chefs Helmut Thoma: «Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.» Es war der Start des Trash-TVs. HBO tat nun das Gegenteil: Es setz­te radi­kal auf den Geschmack der Angler. Es finan­zier­te das Beste, was sei­ne Macher hin­krie­gen konn­ten. Ein Akt sou­ve­rä­nen Vertrauens. Und einer, der HBO zum Marktführer mach­te.

Das Ex-Produkt der Massenmedien: Rituale

Warum die­se Aufzählung? Weil das HBO-Management der Pionier für die gesam­te Medienbranche ist. Es begriff am klar­sten die neu­en Gesetze im Aufmerksamkeitsmarkt nach der Jahrtausendwende. Im Business der Zukunft geht es zuneh­mend nicht mehr um Nicht-Enttäuschung, son­dern um die Erzeugung von Begeisterung.

Das ist ein völ­lig neu­es Produkt. Denn zuvor ver­kauf­ten die gros­sen Medien nur vor­der­grün­dig News oder Unterhaltung. In Wahrheit ver­kauf­ten sie Gewohnheiten: den Morgen mit Zeitung und Zigarette, den Abend mit Tagesschau und Tatort.

Diese Gewohnheiten waren ein fast unzer­stör­ba­res Geschäftsmodell. Der ein­zi­ge Fehler, den ein Medium wie Zeitung oder TV frü­her machen konn­te, war sei­ne Kunden mit Gewalt zu ver­trei­ben. Das pri­mä­re Produktionsziel war also die Nicht-Enttäuschung: eine Art geho­be­ne Routine.

Doch das ist Geschichte. Der Schock des Internets geht für tra­di­tio­nel­le Medien weit über den Einbruch an Werbeeinnahmen hin­aus. Er trifft den Kern des Produkts. Nachrichten und Unterhaltung lösten sich von den Trägermedien und festen Zeiten. Damit bricht ein Jahrhundertgeschäft zusam­men: der Verkauf von Ritualen.

Sowohl klas­si­sches TV wie klas­si­sche Zeitungen waren pri­mär Gratismedien: TV war durch Gebühren und Werbung, die Zeitung zu mehr als 80 Prozent durch Werbung finan­ziert. Deshalb sind auch die wich­tig­sten Routinen die­ser Medien dar­auf getrimmt, mög­lichst viel Quote und mög­lichst wenig Ärger zu machen.

Doch jetzt wan­delt sich die Kundschaft radi­kal: Sie wur­de durch das Internet wäh­le­ri­scher, fle­xi­bler, untreu­er, unzu­frie­de­ner und ist zuneh­mend ato­mi­siert.

Begeisterung, nicht Nicht-Enttäuschung

Kein Wunder, erle­ben Zeitungen bit­te­re Jahre. Denn alles, was Jahrzehnte als gute Arbeit galt, wird nicht mehr hono­riert. Die Werbung springt ab, die Leser zah­len nicht, Prestige und Macht bröckeln, die eige­ne Verlagsetage wird zur Mördergrube: Jahr für Jahr plant sie neue Entlassungen.

Das hängt damit zusam­men, dass das Produkt nicht mehr stimmt. Die Verwaltung von Nachrichten, die täg­li­che Lieferung einer Portion Wissen und Unterhaltung kon­kur­riert heu­te nicht nur mit dem Informationsangebot des Netzes, son­dern mit dem gesam­ten Unterhaltungsangebot: mit Games, Filmen, Facebook & Co.

Das Publikum ist immer weni­ger bereit, für tra­di­tio­nel­le Arbeit zu zah­len: dafür, dass es nicht ent­täuscht wird. Es muss zuver­läs­sig immer neu erobert wer­den, um das Abonnement zu hal­ten oder um über den Paywall zu sprin­gen. Es darf nicht pas­siv zufrie­den, es muss aktiv begei­stert sein.

Nur, wie kriegt man das hin? Dazu mehr, Mittwoch die­se Woche, hier in die­sem Theater.

 

 

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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