«Die Stadt Bern woll­te uns schlicht aus dem Markt drän­gen»

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Interview von kleinreport.ch mit dem Gründer und Chefredaktor Lukas Vogelsang, zum 15. Jubiläumsjahr von ensuite – Zeitschrift zu Kultur & Kunst, erschie­nen am 08.01.2017:

Aus wel­cher Idee ist «ensuite» ent­stan­den?
Grundsätzlich ging es um die Idee, ein Kulturmagazin zu bau­en, und nie um Geld. Da ent­stand auch der Satz «Es geht um Inhalt, nicht um Geld», den wir vor zwei Jahren, im Zusammenhang mit dem Kulturkonzept der Stadt Bern, wie­der aus­pack­ten (www.kulturkonferenz.ch). Ursprünglich hat­te ich die Idee, einen Medienbetrieb wie das Betriebssystem Linux auf­zu­bau­en. Also «open source», mit vie­len ver­ein­ten Kräften. Je mehr Menschen dar­an arbei­te­ten, umso weni­ger hat­te jeder Einzelne zu inve­stie­ren. Meine Arbeit bestand aus Koordination von Motivation und die Arbeitsabläufe zu bün­deln. Das Experiment hat viel bes­ser funk­tio­niert, als ich mir das vor­ge­stellt hat­te. Bis heu­te funk­tio­nie­ren wir so.

Natürlich stecken dahin­ter noch eini­ge Gedanken mehr: Kulturmedien gehö­ren zu den media­len Königsdisziplinen. Kultur und Kunst wer­den vom Individuum immer indi­vi­du­ell wahr­ge­nom­men und nur in der Gemeinschaft als Kultur oder Kunst defi­niert. Insofern kann man eigent­lich gar kein Magazin für die­se Bereiche pro­du­zie­ren, ohne dau­ernd LeserInnen aus­zu­schlies­sen. Und weil Kulturelles immer ganz viel mit der per­sön­li­chen Meinung zu tun hat, bewe­gen wir uns in einem sehr emo­tio­na­len Umfeld. «ensuite» star­te­te noch bevor es Facebook und die «Sozialen Medien» gab, aber wir haben schon immer genau mit und in die­sem sozi­al-media­len Umfeld gear­bei­tet. Die per­sön­li­che «Meinung» ist im Kulturjournalismus ein zen­tra­les Element. Das hat­ten wir schon damals ver­stan­den.

Warum wird «ensuite» – im Gegensatz zu ande­ren Kulturzeitschriften – nicht (vom Kanton) unter­stützt?
Also grund­sätz­lich wer­den kaum Kulturzeitschriften öffent­lich direkt geför­dert. Aber indi­rekt schon, mei­stens durch sub­ven­tio­nier­te Veranstaltergruppen, was ich wie­der­um schwie­rig fin­de. Aarau ist eine gros­se Ausnahme, da bot der Kanton gleich zwei­mal eine Startsubventionierung an, in Bern zahlt die Stadt eine Dauersubvention (bis­her über 1.5 Milionen) für die „Berner Kulturagenda“. Wir haben in den 15 Jahren ins­ge­samt unge­fähr 185’000 Franken von öffent­li­chen Ämtern erhal­ten. Allerdings weder als Startfinanzierung dekla­riert noch mit einem Leistungsauftrag ver­bun­den, was ich mir eigent­lich gewünscht hät­te. Ich muss­te alles mit Einzelgesuchen lösen, die ich immer wie­der ein­reich­te, teils für eigen­stän­di­ge Projekte. Vom Kanton Bern allein erhiel­ten wir dadurch in acht Jahren ins­ge­samt 98’000 Franken – die Druck- und Vertriebskosten für einen Monat betru­gen damals allein 25’000 Franken. Der dama­li­ge Leiter vom Amt für Kultur vom Kanton Bern hat­te ein hal­bes Ohr für uns. Seine spä­te­re Nachfolgerin «ver­gass» dann aller­dings den Sinn der Sache und sah nur noch Paragraphen. Ab da ging es um das «Subsidiaritätsprinzip» bei Gesuchen – obwohl dies in ihrem Kulturreglement sel­ber rela­ti­viert ist. Endlose Sitzungen und zig Eingaben spä­ter sag­te sie dann trotz­dem ab, gab uns aber über­ra­schen Geld für eine neue Webseite, für die wir nie ein Gesuch ein­ge­ge­ben aber schon pro­du­ziert hat­ten.

In Zürich war die Situation nicht bes­ser, denn ich hat­te ein infor­mel­les Gespräch mit Jean Pierre Hoby, der sich inter­es­siert zei­ge und sich mel­den woll­te – aller­dings genau einen Monat spä­ter gab er im Gemeinderat ein eige­nes Projekt ein. Mir hat­te er nichts davon erzählt. In Bern wur­den wir eben­falls vom dama­li­gen Kultursekretär kon­kur­riert, der sein eige­nes Kulturblatt pro­du­zie­ren woll­te. Die Städte, wenn sie denn was machen, geben sehr viel Geld aus für ihre eige­nen Publikationen, die aber kaum an Boden gewin­nen, und pri­va­ten Organisationen wie­der­um bekom­men kaum Beiträge, um bestehen­des zu finan­zie­ren. Und so zie­hen sich immer mehr pro­fes­sio­nel­le Medienbetriebe, ob klein oder gross, zurück und über­las­sen das Feld der Kulturmedien den Ämtern. Das ist fatal.

Es bleibt vor­erst schwie­rig: Mit den Behörden geht es nie um die Sache an sich. Es geht immer um Macht, Verantwortlichkeiten, Ängste, Kompetenzen – aber nie um Kulturmedien oder Dienstleistungen.

Sie schrei­ben in die­sem Zusammenhang von «nicht­ein­ge­hal­te­nen Versprechungen»: Inwiefern?
Personenwechsel bei den öffent­li­chen Kulturstellen koste­ten uns viel Geld. Generell gese­hen auch bei den WerbekundInnen. Jede Diskussion beginnt immer wie­der bei Null. Wenn vor­her jemand etwas defi­niert, exi­stiert  das mit dem näch­sten Wechsel nicht mehr. Insofern ist «poli­ti­sches Geld», was öffent­li­che Unterstützungsbeiträge immer sind, sehr gefähr­lich – aus­ser man erar­bei­tet mal grund­sätz­li­che Definitionen und Regelungen. Das sieht man ja auch bei der gan­zen SRG-Diskussion. Insofern wur­de uns beim Kanton ver­spro­chen, dass wir jähr­lich etwas Geld krie­gen wür­den – aller­dings haben wir zum Beispiel ein­mal einen pole­mi­schen Artikel über das Berner Stadttheater publi­ziert und dar­auf kürz­te uns der Amtsvorsteher den jähr­li­chen Zustupf um 50 % mit der Begründung, dass er ja im Verwaltungsrat des Theaters sit­ze. Eine Züricher Grossveranstalterin war aller­dings noch schlim­mer: Sie zog einen Werbeauftrag zurück, nach­dem wir nach Zürich expan­dier­ten und das koste­te uns zum Auftakt 50’000 Franken. Am Schlimmsten war natür­lich die Stadt Bern, die uns kopier­te, die publi­zi­sti­sche Oberhand behal­ten und uns schlicht aus dem Markt drän­gen woll­te.

Ich bin ziem­lich stolz, dass es „ensuite“ trotz­dem immer noch gibt. Die letz­ten 15 Jahre waren für mich wie ein Sprint und jedes Jahr ver­sucht jemand, mir noch eine Bleikugel mehr anzu­hän­gen. Ein har­tes Training.

Wie gelingt es Ihrer Zeitschrift, zu über­le­ben? – Wie haben sich die Zahlen (Umsatz, Abonnements) in den letz­ten Jahren ent­wickelt?
Überleben trifft es schon auf den Kopf. Das Problem ist, dass der Kulturmedienmarkt von den Tagesmedien aus­ge­höhlt und zer­stört wur­de. Ich spie­le damit auf die­se pseu­do Kulturbeilagen an, wie das «Z» bei der NZZ oder wie sie alle heis­sen. Diese Werbebeilagen gra­ben den Kultur- und Kunstmagazinen den Werbemarkt ab. Deren Zweck ist nur Werbung und «pro­duct pla­ce­ment» und das zer­stört im Umfeld die inhalt­li­chen Titel. Die inhalt­li­che Relevanz der Kulturmedien hat der Selfie-Kultur Platz machen müs­sen – wobei nie­mand wirk­lich Selfies sehen will.

Überrascht hat mich letz­tes Jahr Ringier, die im Februar das «Monopol» und «Cicero» raus­ge­wor­fen haben. Nach der Medienmitteilung klin­gel­te bei uns bereits am näch­sten Tag das Telefon und Werbeagenturen aus England, Deutschland, Italien und Österreich nah­men mit uns Kontakt auf. Diese Kulturmedien-Degeneration hat auch Vorteile: Wir wer­den «von selbst» immer mehr ins Rampenlicht gestellt, weil es kaum noch jemand in die­ser Grösse gibt. Unterdessen haben wir eine höhe­re Auflage als das «DU» oder das «Kunstbulletin» und dies mit einem Magazin, dem man eigent­lich kein Wachstum pro­gno­sti­ziert hat. 

Auf der ande­ren Seite ist da aber auch die Leserschaft, die ensuite sehr schätzt und die Abos Jahr um Jahr ver­län­gert. Wir haben immer noch kaum Abgänge und wach­sen immer noch. Die Werbeeinnahmen konn­ten wir eben­falls ruhig und gleich­mäs­sig hal­ten, weil wir uns im Markt nicht ver­spie­len. Grosses Highlight war natür­lich, als «Hermès Schweiz» oder «Volvo» bei uns ein­stieg und es ist auch span­nend, dass wir immer noch eine Medienpartnerschaft mit der Tamedia haben. Ich bin zuver­sicht­lich, dass wir in den näch­sten Jahren um eini­ges wach­sen wer­den. Unsere, aber auch die gesell­schaft­li­chen Entwicklungen bestä­ti­gen den Kurs.

Allerdings ist natür­lich klar, dass dies finan­zi­ell für uns noch immer nicht inter­es­sant ist. Aber eben: Was ist wich­ti­ger? Das Geld oder das inhalt­li­che Magazin? Ich will Zweiteres, das ist mein Beruf.

Wie ver­hin­dern Sie es, zum «rei­nen Propaganda-Werbeheftchen» zu ver­kom­men? Wo liegt die Grenze bezüg­lich Werbung in der Zeitschrift?
Das ist in der Tat wahn­sin­nig schwie­rig gewor­den, der Druck ist unheim­lich. Allerdings muss ich mir täg­lich vor Augen hal­ten, wozu wir unse­re Arbeit machen und für wen. Das hilft. Wichtigstes Kriterium ist, dass wir eine pri­va­te, ganz unab­hän­gi­ge Medienorganisation sind. Wir gehö­ren kei­ner Veranstalterin und kei­ner Behörde, kein Lobby-Verband kann Einfluss neh­men. Unser «Kundenfokus» rich­te­tet sich 1. auf die LeserInnen, 2. auf die Wirtschaft, 3. auf die Kultur- und Kunstszene. Selbst, wenn sich mal eine Kulturgruppe gegen uns stellt, dann ver­lie­ren wir «nur» ein paar Inserate – aber nicht die LeserInnen. Im Gegenteil: Wir gewin­nen ja an Relevanz, wenn wir öffent­lich unse­re Meinung sagen und Dinge laut kri­ti­sie­ren. Genau hier erhal­ten wir sehr gros­se Unterstützung von pri­va­ten Personen, die die­ses Engagement schät­zen und uns des­we­gen unter­stüt­zen. Dieses Geld ist unab­hän­gi­ges Geld.

Was braucht es, damit «ensuite» mit­tel- bis lang­fri­stig über­le­ben kann?
Eigentlich recht wenig. Klar, wir brau­chen wie alle Abos und Werbung, aber da sehe ich noch viel Horizont. Ensuite ist aber im gros­sen und gan­zen selbst­tra­gend. Da wir aber kaum Gewinn machen kön­nen, ist es nur schwie­rig, die Altlasten los zu wer­den. Die sind momen­tan mit pri­va­ten Darlehen gedeckt. Zur Zeit ent­wickeln wir neue Produkte, um an fri­sches Geld ran­zu­kom­men. Und auch ganz gut: Das Interesse für Kultur und Kunst nimmt nicht ab.

Welchen redak­tio­nel­len Maximen folgt «ensuite»?
Es ist ein bewuss­tes Konzept, dass die Sprachqualität im ensuite enorm breit daher­kommt. Wir ver­su­chen hier kei­ne Einheit zu schaf­fen, wo es kei­ne Einheit gibt und auch nicht gefragt ist. Unsere Stärke ist die inhalt­li­che Breite und Tiefe. Inhaltlich geben wir den JournalistInnen sehr viel Freiheit, um die Motivation mög­lichst hoch zu hal­ten. Wir machen kei­ne gemein­sa­men Redaktionssitzungen und die rund 40 MitarbeiterInnen brin­gen ihre Themen ganz nach ihrem Erspüren. Damit lau­fen wir nicht in Gefahr, dass wir als Magazin «die» Kultur oder «die» Kunst zu defi­nie­ren begin­nen. Und des­we­gen fin­det man bei uns immer ein­zig­ar­ti­ge Geschichten, über die kaum nie­mand berich­tet hat oder nie­mand bringt. Zum Beispiel, als wir dem Betrüger Roberto di Pasquale auf die Schliche kamen – das war spek­ta­ku­lär und wir erhal­ten noch heu­te Zuschriften des­we­gen. Auch ein­zig­ar­tig waren das Interview von Sonja Wenger mit Simon Pegg oder Salvatore Pintos Geschichten aus Capri.

Ansonsten hal­ten wir uns an die Rechte und Pflichten vom Schweizerischen Presserat – was für den Kulturjournalismus auch nicht selbst­ver­ständ­lich ist.

«An erster Stelle ste­hen bei uns die LeserInnen»: Welche Entwicklung beob­ach­ten Sie bei ande­ren Medien?
Nun, wenn Ringier ein Magazin wie das «Monopol» ein­stellt, dann nur, weil es für die AktionärInnen nicht die gewünsch­te Rendite in einer gewis­sen Zeit erreicht hat. Das hat mit LeserInnen und Medien wenig zu tun. Es geht aber auch dar­um, dass in der Medienwelt nicht der Kunde «König» ist. Die «Meinung» ist viel­leicht «König». Und die ent­steht nicht dadurch, dass wir uns anbie­dern und den LeserInnen das erzäh­len, was sie eh schon den­ken. Wir müs­sen die LeserInnen rüt­teln und gedank­lich Unangenehmes so schrei­ben, dass sie uns lesen, dass sie über­rascht wer­den. Als ich mit den lan­gen redak­tio­nel­len Texten star­te­te, mein­ten vor allem JournalistInnen, dass dies «nie­mand lesen wer­de». Heute ist es gera­de der Grund, war­um wir noch exi­stie­ren: Wir schrei­ben und erzäh­len etwas. Viele Medien glei­chen heu­te der Werbepause im TV wäh­rend eines Films. Wer will sich das anse­hen? 

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