Die sechs besten Bücher zum Journalismus

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(Constantin Seibt) –

 

Der Augenblick ist gekom­men. Im Moment dreht sich der Deadline-Blog in den Walzen. Aus dem Blog wird ein Buch, und ich bin mir ziem­lich sicher, dass es das beste Buch über das Schreiben ist, das ich je geschrie­ben habe.

Aber das beste, das ich je gele­sen habe? Nun, hier die Rangliste mei­ner Top 6 der Lehrbücher zum Journalismus, in abstei­gen­der Reihenfolge.

Platz 6: Truman Capote – Musik für Chamäleons

Truman Capote war bereits ein aus­ge­brann­ter Schriftsteller, als er sich noch ein­mal zusam­men­riss und ein hal­bes Jahr im Keller sei­nes Apartmenthauses ver­schwand. Was ent­stand, ist ein fun­keln­der Bastard von Journalismus und Literatur. Im ersten Teil Porträts und Short Stories, dann ein (erfun­de­ner) kur­zer Tatsachenroman und schliess­lich eine Handvoll Dialoge, etwa mit Marilyn Monroe. Es ist eine Wundertüte an Möglichkeiten, eine Anthologie, wie man in Formen denkt, zart wie Seidenpapier und zugleich das letz­te Aufbäumen eines ster­ben­den Wunderkindes. Und im Vorwort steht der schö­ne, grau­sa­me Satz:

Talent ist eine Knute, und sie ist aus­schliess­lich zur Selbstgeisselung bestimmt.

Platz 5: Robert Gernhardt – Was gibt’s denn da zu lachen?

Es gibt eini­ge Bücher, die ein Thema so umfas­send und so viel klü­ger als die Konkurrenz abhan­deln, dass die per­fek­te Bibliothek zu die­sem Thema nur aus die­sem Buch besteht. Gernhardts Essayband ist so eines. Wer sich mit der Geschichte, Wirkung, Bewertung, Industrie oder der  Herstellung von Humor beschäf­tigt, der muss es kau­fen. Miese Witze, gros­se Pointen, Slapstick, eine Theorie der Komik, Werkstattstorys, Kritik – hier gibt es alles, so hell, klug und scharf gedacht wie etwa der Satz:

Es gibt kein niveau­vol­les Lachen, so wenig, wie es einen niveau­vol­len Orgasmus gibt.

Platz 4: Robert Neumann – Meisterparodien

Noch so eines die­ser Bücher. Die Bibliothek der Literaturparodien besteht aus Robert Neumanns Werk. Neumann hat­te den flies­sen­den Geist einer Amöbe. Er stu­dier­te Medizin, war Sportschwimmer, Matrose, Devisenhändler und Direktor einer Schokoladenfabrik. Er hat­te kei­ne Schwierigkeit, jede gege­be­ne Form, jeden Ton anzu­neh­men; er erschien unzäh­li­gen Frauen als der Mann ihres Lebens. Und schrieb unzäh­li­ge Bücher in fast jedem Stil aus­ser dem eige­nen.

Das, was davon blieb, sind sei­ne Parodien, die bril­lan­te­sten, töd­lich­sten der Literaturgeschichte. Es ist nicht nur ein Vergnügen zu sehen, wie Neumann die Literatur sei­ner Zeit – die 20er- und 30er-Jahre – in die Luft jagt: Weltliteratur, Groschenromane und poli­ti­sche Traktate. Seine Bücher sind auch unver­zicht­bar; wenn man etwa für eine Kolumne einen Stil sucht – bei Neumann fin­det man das Konzentrat von fast hun­dert Schriftstellern auf jeweils weni­gen Seiten. Und ihre Hinrichtung als Zugabe:

Die Parodie schleicht sich mit­hil­fe der zunächst harm­lo­sen Mimikry in die Welt des lite­ra­ri­schen Opfers ein, sie schreibt zunächst einen Absatz «mit frem­den Federn», segelt ein Stück unter «fal­scher Flagge» – aber erst, wenn in der Folge das so gestoh­le­ne Idiom dazu ver­wen­det wird, das Opfer zu attackie­ren, zu ent­lar­ven, in die Luft zu spren­gen: erst durch die Aggression wird, was als Nachahmung begann, am Ende zur Parodie.

Platz 3: Raymond Chandler – Die simp­le Kunst des Mordes

Chandler war 50, ein geschei­ter­ter Manager einer Ölfirma, als er mit dem Schreiben von Kriminalstories für Schundmagazine begann. Es war sei­ne letz­te Chance, und er tat es mit der Sorgfalt eines Verzweifelten. Und da er ein ein­sa­mer Mann war, schrieb er sei­ne gesam­mel­ten Überlegungen zum Handwerk in sei­ne Briefe. Herausgekommen ist eines der lei­den­schaft­lich­sten Bücher zum Schreiben. Nicht zuletzt, weil Chandler Neuland besie­deln muss­te, da der Krimi bis zu sei­nem Werk nicht als Teil der Literatur galt:

Aber las­sen Sie uns nie den Standpunkt hin­neh­men, dass Kriminalromane von Lohnschreibern aufs Papier gebracht wer­den. Noch die arm­se­lig­sten von uns ver­gies­sen ihr Herzblut über jedem Kapitel.

Platz 2: François Truffaut – Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?

Ein Monster-Interview über Hitchcocks Werk. Und ein Feuerwerk des dra­ma­tur­gi­schen Denkens: Hitchcock erzählt, wann, war­um, mit wel­chen Schwierigkeiten, wel­chem Erfolg, wel­chem Misserfolg er wel­che Techniken und Tricks ein­setz­te, um sein Publikum wie in einer Achterbahn auf Schienen zu len­ken. Man lernt enorm viel dar­über, wie man Sympathie, Furcht oder Nähe auf­baut, wie man sie zer­stört, wie man Informationen unauf­fäl­lig wei­ter­gibt, wie man Tempo macht oder ver­zö­gert. Kurz: Man lernt fast alles und das noch im Ton einer erst­klas­si­gen Cocktailparty ser­viert. Und wie jeder wah­re Handwerker redet Hitchcock nicht nur über sei­ne Erfolge. Sondern eben­so sou­ve­rän über sei­ne Flops:

Ich habe das erst bemerkt, als der Film abge­dreht war, als nichts mehr zu machen war. Weshalb ist kei­ne der Personen wirk­lich in Gefahr? Weil wir eine Geschichte erzäh­len, in der die Schurken Angst haben. Das ist die gros­se Schwäche des Films. Denn sie ver­stösst gegen die Hauptregel: je gelun­ge­ner der Schurke, desto gelun­ge­ner der Film.

Platz 1: And the win­ner is.…

Um die Spannung ins Unermessliche zu trei­ben, folgt das aller­be­ste Buch zum Journalismus erst im näch­sten Post. Dafür folgt eine klei­ne Zwischenbilanz.

Nicht ohne Grund beschäf­tigt sich kei­nes der Bücher, die mir im Job wirk­lich gehol­fen haben, direkt mit dem Journalismus. Zum einen, weil das, was einen an Büchern über das Schreiben wirk­lich inspi­riert, sel­ten die Regeln oder Rezepte sind. Sondern die Haltung dahin­ter. (Das läuft übri­gens ganz ähn­lich mit Zeitungsartikeln. Was bei einem Artikel mit­reisst, ist nicht die Information, son­dern die Haltung, mit der sie trans­por­tiert wird: etwa die Frechheit, das Mitgefühl, die Genauigkeit, der Zorn, die Grosszügigkeit, die Furchtlosigkeit, etc.)

Traditionelle Lehrbücher zum Journalismus haben nur sel­ten eine Haltung – sie sind didak­tisch. Und sie haben noch einen wei­te­ren Nachteil: Sie leh­ren das Bekannte, das heisst, sie tei­len die Standards der Branche mit. Und das wider­spricht dem Wesen des Journalismus, der im Kern ein Import-Export-Geschäft für auf­re­gen­de Neuheiten ist. Nicht nur in den Inhalten, son­dern auch in der Form. Das Grossartige an Büchern über Film, Literatur, Musik, Werbung, etc. ist, dass alle brauch­ba­ren Techniken, die man dort ent­deckt, auto­ma­tisch neu sind, sobald man sie in eine Zeitung trans­por­tiert.

Zum Dritten aber sind die obi­gen Bücher eng ver­wandt mit dem zen­tra­len ästhe­ti­schen Problem jedes Journalisten. Man arbei­tet in einem abge­grif­fe­nen, zwar popu­lä­ren, aber wenig pre­sti­ge­rei­chen Genre, das von kaum jeman­den für eine gros­se Kunst gehal­ten wird. Geschweige denn über­haupt für eine Kunst.

Doch es kommt dar­auf an, es wie Capote mit den Tatsachen, Gernhardt mit der Komik, Neumann mit der Parodie, Chandler mit dem Krimi und Hitchcock mit dem Thriller zu machen. Und sein Genre durch­zu­den­ken, um es neu zu erfin­den.

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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