Die Oper, der Belgien sei­ne Existenz ver­dankt

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Von Francois Lilienfeld – «La Muette de Portici» (Die Stumme von Portici) von Daniel-Francois-Esprit Auber (1782–1871) gehört zu den Opern, von denen, aus histo­ri­schen Gründen, jeder gehört hat, die aber die wenig­sten ken­nen. Das Werk ist berühmt gewor­den durch die Aufführung vom 25. August 1830 im – damals noch nie­der­län­di­schen – Brüssel. Die Folge war ein Aufruhr, der schließ­lich zur Abspaltung eines Teils der Niederlande unter dem Namen Belgien führ­te. Der Stoff des Librettos von Eugène Scribe und Germain Delavigne basiert auf dem Aufstand der nea­po­li­ta­ni­schen Fischer gegen die spa­ni­sche Herrschaft und ihre aus­beu­te­ri­sche Steuerpolitik, der 1647 unter der Leitung von Tommaso Aniello («Masaniello») statt­fand. Nach anfäng­li­chen Erfolgen geriet Neapel wie­der unter spa­ni­sche Herrschaft, Aniello jedoch ver­fiel dem Wahnsinn.

Dass die­ser Stoff im Brüsseler Hexenkessel des Revolutionsjahres 1830 genü­gend Zündstoff für einen Volksaufstand bot ist klar. Die Oper war sehr erfolg­reich (909 Aufführungen an der Opéra!); doch heu­te kennt man von Auber höch­stens noch die Opéra comi­que «Fra Diavolo», die auch in deutsch­spra­chi­gen Gebieten beliebt ist. Auber hin­ter­läßt ein sehr umfang­rei­ches Werk; sein Pech war, dass er in min­de­stens zwei Fällen spä­ter von Kollegen über­holt wur­de: Sein «Gustave III ou Le Bal mas­qué» hat­te nach der Uraufführung von Verdis «Ballo in masche­ra» kei­ne Chance mehr. Und sei­ne «Manon Lescaut» (ein wun­der­schö­nes Stück!) erhielt gleich zwei­mal Konkurrenz: durch Puccini (Manon Lescaut) und durch Massenet (Manon). Doch zu Lebzeiten war Auber berühmt, nicht zuletzt durch sei­ne Tätigkeit als Direktor des Pariser Conservatoire von 1842 bis 1870.

Wie es zu der stum­men Rolle der Fenella kam, erzählt der bedeu­ten­de Musikpublizist Eduard Hanslick in der «Presse» (Wien) vom 6. Januar 1864, in einer Besprechung über eine Aufführung des Werkes in der Wiener Hofoper:

«Masaniellos Schwester soll­te so gut eine sin­gen­de Person der Oper sein, als die übri­gen… Die Oper war… in die­sem Sinn skiz­zirt, als man an die Besetzung dach­te… An der Großen Oper in Paris hat­te man nach dem Abgang der Madame Branchu kei­ne dra­ma­ti­sche Sängerin ersten Ranges, wel­che eine Hauptrolle wie Fenella mit Erfolg durch­füh­ren, und der gefei­er­ten Coloratur-Sängerin Damoreau-Cinti, der Darstellerin der Elvira, wür­dig zur Seite ste­hen konn­te. Hingegen besaß die Oper damals eine Tänzerin, Demoiselle Noblet, deren geist­voll cha­rak­te­ri­si­ren­de Mimik gera­de in rein dra­ma­ti­schen Aufgaben sich am bewun­de­rungs­wür­dig­sten ent­fal­te­te… Dem Componisten wur­de die­se selt­sa­me äuße­re Nöthigung gera­de­zu eine Quelle der schön­sten künst­le­ri­schen Motive.»

In der Tat legen die Einwürfe Fenellas, in der Form wort­lo­ser Melodramen, bered­tes Zeugnis ab für Aubers Kunst der musi­ka­li­schen Aussagekraft und der deli­ka­ten Instrumentation.

Die Musik ist sehr ein­gän­gig, star­ke Einflüße von Rossini sind unüber­hör­bar. Auber war ein begna­de­ter Melodiker; als Beispiele sei­en die Arie der Elvire «O moment enchan­teur» oder die Barcarolle Masaniellos erwähnt. Eine zen­tra­le Rolle spie­len auch die zahl­rei­chen Chorszenen, deren emo­tio­na­les und musi­ka­li­sches Spektrum sehr breit ist: Jubel, Markttreiben, Naturbetrachtung, Gebet und natür­lich Aufruhr. Dramatisch beson­ders wirk­sam ist das Finale des fünf­ten Aktes mit dem Ausbruch des Vesuvs.

Man ist der Firma cpo größ­ten Dank für eine – wenn auch gekürz­te – Neuaufnahme die­ses nicht nur histo­risch, son­dern auch musi­ka­lisch wert­vol­len Werks schul­dig. Auf einer Doppel-CD (Bestell-Nr 777 694–2) inter­pre­tie­ren Kräfte des Anhaltischen Theaters Dessau, unter der dif­fe­ren­zier­ten Leitung von Antony Hermus, die Muette. Das Ensemble steht sowohl vokal wie sti­li­stisch auf sehr gutem Niveau, auch wenn die fran­zö­si­sche Aussprache manch­mal etwas unge­wöhn­lich ist… Das Booklet ist infor­ma­tiv und ent­hält das fran­zö­si­sche Originallibretto; aller­dings wäre ein etwas sorg­fäl­ti­ge­res Lektorat wün­schens­wert gewe­sen.

Es wäre schön, wenn die­se gelun­ge­ne Aufnahme unse­re Theaterintendanten dazu ermu­ti­gen könn­te, Aubers Werk wie­der auf­zu­füh­ren. Allerdings wünsch­te man sich dann eine sti­li­stisch kor­rek­te Inszenierung. Den Photos im Booklet nach zu beur­tei­len, gehör­te die Anhalter Aufführung von 2011 zur lei­der immer ver­brei­te­te­ren Kategorie der «modern dress pro­duc­tions»: Masaniello im «Bull Dogs T‑Shirt», die Chorsänger mit dunk­len Brillen usw. Auf den CDs ist davon glück­li­cher­wei­se nichts zu mer­ken…

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013

 

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