Die Odyssee – frei nach Homer vom Puppentheater Roosaroos

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Von Irina Starmanns - Das erfolg­rei­che Schweizer Puppen- und Objekttheater-Duo Roosaroos bringt die läng­ste Heimreise der Antike mit Figuren und Masken aus Pappkarton, Schattenspiel, Filzungeheuern und gestrick­ten Götterhandpuppen auf die Bühne. Ihr erstes Stück für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren, erar­bei­tet unter der Regie von Frauke Jacobi, über­rascht mit einer höchst musi­ka­li­schen und fan­ta­sie­vol­len Umsetzung des bild­rei­chen Stoffs.

Odysseus ist ein Held. Nach lan­gen Jahren als Krieger begibt sich der König der klei­nen Insel Ithaka auf die ersehn­te Heimreise. Doch der Zorn der Götter beschert ihm kei­nen ein­fa­chen Weg. Zahlreiche Abenteuer muss Odysseus bestehen, bis er Ithaka erreicht und sei­ne gelieb­te Frau Penelope in die Arme schlies­sen kann.

Warum gera­de «Die Odyssee», fra­ge ich Silvia und Stefan Roos nach einer Vorstellung im Fabrikpalast in Aarau. Die Wahl des Stoffes habe durch­aus bio­gra­fi­sche Motive gehabt. Die Geschichte die­ser Sehnsucht und Liebe, die Hindernisse zu über­win­den hat, ist zeit­los. Fast jedes Paar kennt Momente der Distanz, nicht jede Beziehung besteht jedoch die Prüfungen, wel­chen sie sich aus­ge­setzt sieht.

Doch die Liebesgeschichte von Penelope und Odysseus hat ein «Happy End» – zumin­dest in der Homer’schen Version. Die recht umfang­rei­che lite­ra­ri­sche Vorlage besteht aus 24 Gesängen. Für die Inszenierung wur­de das Epos auf einen Handlungsstrang, Odysseus› Irrfahrten, redu­ziert. Für die Umsetzung der Textbearbeitung fin­det Roosaroos star­ke Bilder.

Die Inszenierung beginnt ganz still: Die Bühne ist spär­lich beleuch­tet. Zwei Spieler in Schwarz, jeder an einem Mikrofon, hau­chen etwas hin­ein, doch statt erwar­te­ter Worte kommt das Rauschen des Windes und des Meeres durch die Lautsprecher. Ein Rauschen, das all­mäh­lich zu einem Sturm anwächst. Von nun sind wir Zeugen, wie die Spieler einen leben­di­gen und sym­bo­li­schen Klangteppich mit Hilfe eines Aufnahme- und Loopgeräts live erschaf­fen und die Irrfahrten Odysseus› mehr­spu­rig illu­strie­ren. Die Musik spielt in die­ser Produktion eine ganz beson­de­re Rolle. Die aus­ge­bil­de­ten Musiker Stefan und Silvia Roos dür­fen ihre Talente voll ent­fal­ten, sei es stimm­lich oder instru­men­tal. Das aus­ge­feil­te Klanggerüst, mal jaz­zig, mal volks­tüm­lich, wird hin und wie­der von der ange­neh­men Stimme des Erzählers (Matthias Walter) über­la­gert. Die Stimme kommt vom Band, und das Erzählen wird nicht nur zur trei­ben­den Kraft der Inszenierung, son­dern bie­tet auch Spiel-Raum, ja wird zuletzt sogar mit einem Augenzwinkern von der Bühne «gewischt».

Das Bühnenbild ist ein­fach gehal­ten und birgt doch eini­ge Überraschungen. Sechs wan­del­ba­re Hocker – sie ste­hen sym­bo­lisch für die grie­chi­schen Inseln – sind ihrer eigent­li­chen Funktion mei­stens ent­frem­det und die­nen mit ihren auf­klapp­ba­ren Deckeln als Figurenhalter und Spielfläche. Weitere Hauptzutaten die­ser lust­vol­len Inszenierung sind Figuren und Masken aus Pappkarton, Schattenspiel, Filzungeheuer und gestrick­te Götterhandpuppen. Für jede Station auf Odysseus› Reise hat Roosaroos eine eige­ne Figuren- und Klangwelt geschaf­fen. Mit Witz begeg­nen sie den anti­ken Gestalten und zei­gen den Zyklopen als ver­wöhn­tes Papasöhnchen, die Götter im Olymp als Quasselstrippen im Kasperletheater und die Sirenen als Engelsstatuen, deren Gesang ohren­be­täu­ben­de Wirkung hat. Spielerisch schlüp­fen Roosaroos in neue Rollen und lei­hen den Figuren ihre Stimmen. Durch Mundart, Hochsprache oder Kauderwelsch erhält jede Figur schon nach weni­gen Sätzen einen ganz eige­nen Charakter. Die aus­ge­schnit­te­nen Masken und Pappfiguren wir­ken zudem in ihrer ein- bis zwei­di­men­sio­na­len Einfachheit und klas­si­schen Schönheit wie ein iro­ni­scher Kommentar zu der zeit­lo­sen und uni­ver­sel­len Liebesgeschichte. Die Ungelenkigkeit des Odysseus und sei­ner Krieger aus Karton setzt dabei eini­ges Geschick bei der Figurenführung vor­aus. Wie wun­der­bar die­ses Zusammenspiel funk­tio­niert, zeigt die berühm­te Geschichte, in wel­cher Odysseus den Zyklopen über­li­stet. Während Sylvia Roos mit einer gestrick­ten Zyklopenmaske fast blind­lings, aber sicher die Figuren bewegt, syn­chro­ni­siert Stefan Roos das Geschehen, indem er dem selbst­ver­lieb­ten Zyklopen eine tie­fe und krat­zi­ge Stimme ver­leiht.

In Schleifen nähert sich Odysseus sei­ner Insel, wird aber immer wie­der fort­ge­ris­sen. Viele wei­te­re Prüfungen und Irrfahrten muss er ertra­gen, die ver­füh­re­risch­sten Frauen hin­ter sich las­sen und sei­ne Klugheit unter Beweis stel­len, bis die Götter sich sei­ner erbar­men. Das Loopgerät scheint hier eine schö­ne Analogie zum Homer’schen Text zu sein. So setzt der Erzähler an, den letz­ten Gesang zu erzäh­len. Doch mal spricht er um ein viel­fa­ches schnel­ler, mal stockt und stot­tert er. Für Homer ist die Geschichte von Odysseus und Penelope nach ihrer Zusammenkunft noch nicht zu Ende, wei­te­re Abenteuer wer­den ange­kün­digt. Für die bei­den Spieler ist genau das der Moment, um einen Schlussstrich zu zie­hen. Sie schal­ten das Tonbandgerät ein­fach aus, um einen wei­te­ren «Loop» der Reise zu ver­hin­dern. Ob die­ser Schluss ein Happy End ist, darf jeder selbst ent­schei­den. Für das Aargauer Duo Roosaroos hat die Inszenierung jeden­falls eine Glücksträhne aus­ge­löst. Für die Odyssee wur­den die bei­den als «Pro Argovia Artists 2010/2011» aus­wählt.

Mehr Infos zu den Künstlern:
www.roosaroos.ch

Theater Stadelhofen
www.theater-stadelhofen.ch

Foto: zVg.
ensuite, März 2010

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