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Die Kunst der Freundschaft

Yasmina Rezas Riesenerfolg «Kunst» hand­le von der Definitionsfrage der Kunst, von der Verblendung der Kunstrezipienten und von der Dreistigkeit des Kunstmarktes, so die schein­bar land­läu­fi­ge Meinung. Aber das ist ver­mut­lich nur ein Nebengleis. Die Geschichte, die in der Komödie «Kunst» erzählt wird, han­delt viel­mehr von Freundschaft. Von der Schwierigkeit, lang­jäh­ri­ge Beziehungen zu pfle­gen, Freundschaften auf­recht zu erhal­ten und den neu­gie­ri­gen Blick auf das Gegenüber nicht zu ver­lie­ren, es immer wie­der in neu­em Licht zu erken­nen und die­sen eige­nen Blick nicht von den längst gemal­ten Bildern im Kopf bestim­men zu las­sen.

Wie viel Uneinigkeit ver­trägt eine Freundschaft?

Thomas Goritzki hat mit sei­ner Inszenierung von «Kunst» die­sen Aspekt deut­lich her­aus­ge­ar­bei­tet. Und das ist eine Wohltat. Am Theater Heidelberg hat Goritzki mit «Kunst» Ende Dezember 2011 Premiere gefei­ert und das Ensemble kam nun mit dem Stück erst­mals in die Schweiz. Im Theater Winterthur debat­tier­ten, strit­ten und intri­gier­ten die drei Freunde Serge, Marc und Yvan vor­der­grün­dig über ein Gemälde – und fak­tisch über ihre Freundschaft.

Serge (Stefan Reck) hat sich für viel Geld ein Bild gekauft, das nichts als weis­se Querstreifen auf weis­sem Hintergrund zeigt. Sein Freund Marc (Olaf Weissenberg) ist empört, ja tief erschüt­tert über die­se Tatsache und fragt sich, was denn er und sein Freund nun noch gemein hät­ten. Yvan (Steffen Gangloff) fin­det Marcs neue­ste Errungenschaft zwar irr­wit­zig, aber er sagt sich: Wenn es ihm gefällt und er es sich lei­sten kann, soll er doch sei­ne Freude dar­an haben. Ist das Toleranz? Oder Gleichgültigkeit?
Von sei­nem Freund Marc wird Yvan jeden­falls als cha­rak­ter­lo­ser, hybri­der, schlaf­fer Mensch bezeich­net (und das ist erst der Anfang) und erhält dazu noch die Zustimmung von Serge. Dieser wie­der­um fühlt sich von Marc nicht ernst genom­men, er sei selbst­ge­fäl­lig, her­ab­las­send und rück­sichts­los. Zu Yvan sagt er ein­mal: «Sieh ein, dass Marc am Absterben ist. Denn Marc stirbt ab.» Die Differenzen, Streitereien, Wortklaubereien und gegen­sei­ti­gen Vorwürfe stei­gern sich im Laufe des Stücks ins Absurde und am Ende scheint es, die Freundschaft zwi­schen den drei­en sei ein ein­zi­ger Scherbenhaufen. Weil Serge ein Vermögen für ein weis­ses Bild aus­ge­ge­ben hat.

Grandioses Ergebnis ohne Überraschungen

Das Theater Heidelberg hat mit soli­den Zutaten ein gran­dio­ses Ergebnis erzielt. Das Stück, das an ver­schie­den­sten Theatern unge­zähl­te Male umge­setzt wur­de, muss sich längst nicht mehr bewei­sen und bie­tet eine hand­fe­ste Grundlage. Die drei Schauspieler, die die mar­kan­ten Figuren ver­kör­pern, haben offen­sicht­lich bei­na­he alles auf dem Kasten: Vom gröss­ten Klamauk bis zum wuch­tig­sten Drama spie­len sie alles mit schein­ba­rer Leichtigkeit und Inbrunst gleich­zei­tig. Es wird gepol­tert, gewim­mert, geflü­stert, geweint, gekämpft und herz­haft gelacht auf der Bühne – und das alles in ver­hält­nis­mäs­sig kur­zer Zeit. Hinzu kom­men eine Inszenierung, die nah am Werk bleibt, aber jedem ein­zel­nen Wort eine eige­ne Lebenskraft gibt und ein Bühnenbild, das nicht zu viel und nicht zu wenig will. Damit die Vermengung die­ser Elemente zu einem Misserfolg wür­de, müss­te schon eini­ges schief lau­fen. Und so kommt ordent­lich auf sei­ne Rechnung, wer sich die­ses Gastspiel nicht ent­ge­hen lässt.

Freilich ist aber auf­grund die­ser Ausgangslage nicht mit gros­sen Überraschungen zu rech­nen. Abgesehen von eini­gen schö­nen non­ver­ba­len, teils etwas gar kla­mau­ki­gen Spielereien zwi­schen den Freunden ist wenig Unerwartetes zu sehen.

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