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Die Fahrt aus der Haut

By Patricia Schmidt

«Krüppel» nennt er sich. Von Natur aus «zer­hackt, wie die Figuren des Malers Pablo Picasso.» Wucherndes Bindegewebe und eine kon­ka­ve Brust. Die Beschimpfungen, die er sich selbst zufügt, wir­ken als Impfung gegen die Kommentare von aus­sen. Keiner kann einem schlim­mer als man selbst. Die Narben, die er sich dabei selbst zufügt, sind not­wen­di­ges Übel – und Droge zugleich.

Die Erbkrankheit liess ihn völ­lig ent­stellt zur Welt kom­men. Sein Körper weicht von der Normalität ab. In Kleidung schützt er sich gegen die Blicke der ihm Wohlgesonnenen. Ausgezogen prä­sen­tiert er sich den Übrigen. Abends sitzt er allei­ne zuhau­se. Meidet Geburtstagsfeste, Abendessen und Einladungen aus Angst sich bei Trinkspielen ent­blös­sen zu müs­sen. Tags drauf geht er schwim­men. Spürt die Blicke auf sich. «Ist das ansteckend was Sie da haben?» Anderen abends spa­ziert er an Prostituierten vor­bei. Zahlreiche Angebote schlägt er ab.

Ein hal­bes Männerleben lang spiel­te er die­ses Spiel. Die Sucht nach Verletzung und die Sucht nach Erhabenheit. Die Suche nach einem fal­schen Stolz, nicht zu den Gescheiterten, den Einsamen und Zurückgeblieben zu gehö­ren. Zu Prostituierten gehen nur Gescheiterte, Einsame und Zurückgebliebene. «Jedes Mal sag­te ich nein und bereu­te es danach.» Und dann kam Lina.

«In die Fahrt aus der Haut» erzählt Martin Hamburger die Geschichte von Dieter Lantmann. Und von einem Selbstbild und dem Fremden. Subtil greift Hamburger so ins Leben. Und macht Lust auf mehr.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/die-fahrt-aus-der-haut/