Die Ästhetisierung des Grauens

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Von Regula StämpfliTod, Konzentrationslager, Selbstmord und net­te After-Work-Drink-Events erge­ben den mor­bi­den Cocktail in der von Felix Hoffmann kura­tier­ten Ausstellung “Das letz­te Bild” in Berlin. Ausgehend von der irri­gen Annahme, den Tod durch das Bild zu ban­nen – dabei waren die ersten Porträts als Dokumentation des Lebens und nicht des Sterbens gedacht – wird seit Dezember 2018 im Amerikahaus Berlin u.a. ganz nor­ma­les Sterben den fürch­ter­li­chen Foltermorden in den NS-Konzentrationslagern gleich­ge­setzt. Wer durch die Ausstellung geht fühlt sich wie ein hobbsch´scher Voyeur, der den Mensch nur als Gewalt- und Abfallprodukt erkennt. Der Tod wird nicht in sei­ner wah­ren Dimension in Bezug des Leben und Weiterleben reflek­tiert, son­dern als tote Ware einer nihi­li­sti­schen Glaubensrichtung insze­niert. Die Ausstellung ver­neint alles, was den Menschen zum Menschen macht: Das kör­per­li­che Leiden und Sterben von Lebewesen ist letzt­lich nur Müll, ohne einen Hauch von Würde. Dies, weil die Totenbilder wort­los anein­an­der­ge­reiht sind, ohne Einordnung, ledig­lich zur Ästhetisierung des Grauens kon­text­los num­me­riert. Aus der poli­ti­schen Philosophie wis­sen wir, dass sich alle zeit­ge­nös­si­schen Menschen-Abbildungen naht­los in die jewei­li­gen poli­ti­schen Systeme ein­rei­hen. Was wir im “Das letz­te Bild” des­halb auf ersten Blick erken­nen sol­len ist das bit­te­re Resultat und Endstadium des­sen was der gros­se Soziologe und Holocaust-Theoretiker Zygmunt Bauman als das “Leben als Konsum” beschrie­ben hat.

So ist es wohl auch kein Zufall, dass im obe­ren Stock des Amerikahauses gleich­zei­tig Noboyoshi Araki mit sei­nen por­no­gra­fi­schen Mädchenfantasien eben­so Warenbilder en mas­se auf­hängt: Hier sind es vor­wie­gend Frauen, die als Fleischware den älte­ren männ­li­chen Stalker erfreu­en sol­len. Die namens­lo­sen Passantinnen fun­gie­ren dabei als begehr­li­che Objekte des por­no­gra­fisch-kaput­ten männ­li­chen Blicks. Der 78jährige Japaner wird in der Ausstellung als DER Nacktfotograf “radi­kal-rea­li­sti­scher Weisen” zele­briert, mit einem beson­de­ren Flair für “ver­stö­ren­de” Blickrichtungen (Zitate des Begleittextes). Asiatische Frauen wer­den zur “ästhe­ti­schen Erbauung dar­ge­bo­ten wie das Bild einer Landschaft“ (so die Kritik der Angry Asian Girls Association).

Überall über­flu­ten uns im Amerikahaus ech­te Bilder mit völ­lig fal­schen Menschenfiktionen. Der Kulturwissenschaftler Hans Belting erzählt davon, was die Referenz mit Körperbildern mit den Lebewesen anstellt: Die heu­ti­gen Bilder schei­nen heut­zu­ta­ge nicht nur ech­ter zu sein als die wirk­li­chen Körper, son­dern sie wer­den der Wirklichkeit regel­recht über­stülpt. Utopien und Dystopien wer­den mit Bildern ent­wor­fen: Im “Das letz­te Bild” und bei Noboyoshi Araki sehen wir die Auslöschung der Menschen, ja, wir dür­fen uns nicht mehr an die Zeit des Lebens erin­nern, so wuch­tig sind die Abbildungen des Menschen als tote Ware (unten) und als weib­li­ches Konsumprodukt (oben). Die “post­bio­lo­gi­sche Gesellschaft” (Hans Moravec) mani­fe­stiert sich nir­gend­wo kla­rer als in die­ser Ausstellung, in der Menschen nichts ande­res sein dür­fen als stum­me Materie. Selbstverständlich schei­nen dann dem Betrachter im Vergleich dazu Maschinen viel leben­di­ger, über­le­ben sie mit ihren tech­ni­schen Nicht-Körpern im Fortschritt jede Neudefinition ihres Apparates!

Dass die bis zum 9. März 2019 dau­ern­den Ausstellungen im Amerikahaus der Verherrlichung der Vernichtung des Menschen frö­nen, wirft schwer­wie­gen­de gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Fragen auf, die im sonst so debat­tier- und skan­dal­freu­di­gen Feuilleton bis­her nicht bespro­chen wur­den. Könnte es sein, dass Felix Hoffmann mit den bei­den Ausstellungen, unten eine Verhöhnung mensch­li­cher Vernichtung, oben die Verherrlichung eines “Sexbesessenen mit der Clown-Ferdinand-Frisur und den gefes­sel­ten nack­ten Frauen” exakt dem Topos der “Siegerkunst”, defi­niert von Wolfgang Ullrich ent­spricht? Sollen im Amerikahaus der Tod, das Sterben, die Bilder von den Konzentrationslagern und den jun­gen Frauen als ästhe­ti­scher Besitz und Investitionsobjekt initi­iert wer­den? Offensichtlich, denn die Botschaften bei­der Ausstellungen ist: Alles ist nur noch totes Bild, abge­stumpft, ohne Sinn und Zweck, ohne Freiheit und Selbstermächtigung.

Beide Ausstellungen ver­mit­teln dem Besucher das Gefühl, dass sie als Nichts eine Berechtigung ihres Daseins nur noch im belang­lo­sen Schauen und in einer kom­pli­zen­haf­ten Mittäterschaft des Gezeigten fun­gie­ren sol­len.

Nun könn­te man der­ar­ti­ges Unternehmen als künst­le­ri­scher Fehlgriff unter ver­wirr­ten Zeitgeist abha­ken, stün­de hin­ter der­ar­ti­gen Kuratorengebaren nicht ein ideo­lo­gi­sches System. Wie kom­me ich dar­auf? Piper hat vor eini­ger Zeit den Vortrag von Hannah Arendt “Was heisst per­sön­li­che Verantwortung in einer Diktatur” mit einem äus­serst klu­gen Essay von Marie Luise Knott her­aus­ge­ge­ben. Darin erklärt die Philosophin, wie ver­nich­tend es für eine Gesellschaft und ein poli­ti­sches System ist, wenn Menschen dazu gebracht wer­den, kein Urteil mehr zu fäl­len. Wenn Menschen alle “gleich, glei­cher­mas­sen schlecht” sind und alle, die noch ver­su­chen, halb­wegs anstän­dig zu blei­ben ent­we­der als “Heilige” oder “Heuchler” lächer­lich gemacht wer­den. Solange man die Wurzeln des­sen, was Stalin oder Hitler getan haben, bei Hegel, Marx und Nietzsche sucht und fin­det, solan­ge die Massenmorde auf Systeme des tech­no­lo­gi­schen Wandels oder der Kraft der Ideologien zurück­ge­führt wer­den, ist der Mensch als Mensch von sei­ner Verantwortung ent­la­stet. Ähnlich die Ausstellung “Das letz­te Bild”. Alle dar­ge­stell­ten Menschen wer­den durch das Sterben und den Tod gleich­ge­macht, unab­hän­gig davon ob sie selbst Mörder waren, ermor­det wur­den, fried­lich an Altersschwäche ein­ge­schla­fen sind oder durch Krankheit ein lan­ges Sterben erlit­ten. Wenn es kei­ne Rolle mehr spielt, wie der Mensch gelebt und was ihn getö­tet hat, dann wird auch die Verantwortung jedes Einzelnen mit mäch­ti­ger Bildsprache aus­ge­löscht: Kollektivsterben als Kollektivschuld, das den Einzelnen von jedem demo­kra­ti­schen und mora­li­schen Handeln frei­spricht.

Viele Kunstausstellungen, meist von arri­vier­ten Kuratoren initi­iert, sind genau auf die­se Art nihi­li­sti­scher Botschaft der töd­li­chen Gleichmacherei, der Eroberung der Welt als tota­li­tä­res Bild ohne Ambivalenz aus­ge­rich­tet. Wenn eine Ausstellung auf zwei Stöcken die Eiseskälte pro­pa­giert und Mitgefühl ver­höhnt, wenn eine Ausstellung aus­schliess­lich auf das Objektiv fixiert, die Diskussion über den Blickwinkel ver­wei­gert, dann müs­sen die Zeichen auf Aufruhr ste­hen. Was als Verherrlichung von Konventionsbrüchen mit einem urteils­lo­sen Storytelling visua­li­siert wird, ist in sei­ner poli­ti­schen Wirkung nichts ande­res als eine mon­strö­se Verdinglichungsideologie alles Lebendigen. Der Werkinhalt, sprich Lebewesen, wer­den zugun­sten eines abgrund­tief nega­ti­ven Menschenbildes luxu­ri­ös für voy­eu­ri­sti­sche Kopfnicker mit gros­sem Portemonnaie insze­niert. Die bei­den Ausstellungen ver­fol­gen nicht das Ziel der Reflektion, Information oder des Denkanstosses, son­dern destruk­ti­ve Menschheitsfantasien, die die Folteropfer (unten) und die nack­ten Frauen (oben) völ­lig unkri­tisch als totes Kapital insze­nie­ren.

Wer alles nur abbil­den will, ohne sich der Urteilskraft gegen­über den Bildern zu bemü­hen, schafft sich eine bild­li­che Realität des Grauens.

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Die C/O Berlin ist eine gemein­nüt­zi­ge Stiftung, die seit 2000 inter­na­tio­na­le kul­tu­rel­le Programme und Ausstellungen prä­sen­tiert. Seit 2014 hat die C/O den Sitz im Amerika-Haus in Berlin. Vom 8.12.2018 bis 9. 3. 2019 lau­fen die Ausstellungen “Nobuyoshi Araki. Impossible Love – Vintage Photography” im obe­ren Stock und im unte­ren: “Das letz­te Bild. Fotografie und Tod”.

 

Regula Stämpfli ist Politologin. Sie hält im Sommersemester an der Universität St. Gallen eine öffent­li­che Vorlesung zu „Vita acti­va. Mit Hannah Arendt durch den poli­ti­schen Alltag.

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